Arnold Schönberg (150. Geburtstag)
17. Sonntag n. Tr.
Predigttext:
O, Du mein Gott: alle Völker preisen Dich
und versichern Dich ihrer Ergebenheit.
Was aber kann es Dir bedeuten, ob ich das auch tue oder nicht?
Wer bin ich, dass ich glauben soll, mein Gebet sei eine Notwendigkeit?
Wenn ich „Gott“ sage, weiß ich, dass ich damit von dem Einzigen, Ewigen, Allmächtigen,
Allwissenden und Unvorstellbaren spreche, von dem ich mir ein Bild weder machen kann noch soll.
An den ich keinen Anspruch erheben darf oder kann,
der mein heißestes Gebet erfüllen oder nicht beachten wird.
Und trotzdem bete ich, wie alles Lebende betet;
trotzdem erbitte ich Gnaden und Wunder: Erfüllungen.
Trotzdem bete ich, denn ich will nicht des beseligenden Gefühls der Einigkeit,
der Verbindung mit Dir verlustig werden.
[O, Du mein Gott, deine Gnade hat uns das Gebet gelassen,
als eine Verbindung, eine beseligende Verbindung mit Dir.
Als eine Seligkeit, die uns mehr gibt, als jede Erfüllung.]
(Moderner Psalm von 1950 Arnold Schönberg)
Predigt
Im Juni 1921 macht Arnold Schönberg Urlaub. Er fährt mit seiner Familie in eine mehrmonatige Sommerfrische nach Mattsee, nicht weit von Salzburg. „Von Schönberg kann ich Ihnen nur das Beste berichten“, schrieb der eine Schönberg-Schüler, (…) am 12. Juni 1921 an einen anderen (…): „Er ist gut gelaunt und arbeitet bis auf Spaziergänge den ganzen Tag. Er will bis zur Fertigstellung der ‚Jakobsleiter‘ in Mattsee bleiben. Auch seiner Familie geht es gut. Sie bewohnen ein sehr hübsches Haus ganz in der Nähe des Sees, mit riesigen Zimmern.“
Die gute Laune verging Schönberg schnell. Er hätte es wissen können. Kurz vor seiner Ankunft konnte man in der Salzburger Chronik folgende Meldung lesen: „Die heurige Fremden-Saison in Mattsee verspricht sehr gut zu werden. Hoffentlich gelingt es auch heuer dem rührigen Fremdenverkehrsverein unseren Badeort judenrein zu halten.“ Schönberg gehörte zu einer assimilierten jüdischen Familie, war 1898 lutherisch getauft worden. Aber als man in Mattsee von ihm den Nachweis forderte, dass er kein Jude sei, sah sich schließlich gezwungen, sein Sommerdomizil zu verlassen. Dieses sogenannte Mattsee-Ereignis prägte Schönbergs Nachdenken über sich und seine Identität nachhaltig. Man findet Spuren davon in zahlreichen Briefen und Schriften und auch in seinen Kompositionen.
Später wurde der Komponist nicht nur aus der Sommerfrische vertrieben. Seit 1925 hatte er eine Professur an der Preußischen Akademie der Künste inne, wo er Meisterkurse für Komposition gab. Max von Schillings, Präsident der Preußischen Akademie, erklärte Anfang März 1933 in Anwesenheit Schönbergs während einer Sitzung, dass der jüdische Einfluss in der Akademie gebrochen werden müsse. Im April wurde das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« verabschiedet, das sich insbesondere gegen Juden richtete. Schönberg zog die Konsequenzen. Am 17. Mai verließ er mit seiner Familie Deutschland und siedelte zunächst nach Paris um. Dort re-konvertierte er schließlich zum Judentum. In einem Brief an seinen Schüler Anton Webern schreibt er: »Ich bin seit langem entschlossen Jude zu sein […] Nunmehr bin ich vor einer Woche auch offiziell wieder in die jüdische Religionsgemeinschaft zurückgekehrt.“ (Brief an Anton Webern, 4. August 1933). Wenige Monate später zog die Familie Schönberg von Paris nach New York. Schon vor seiner Emigration aus Deutschland hatte sich Schönberg in Schriften mit dem Schicksal des Judentums auseinandergesetzt, in den USA veröffentlicht er weiter seine Ideen, wie das europäische Judentum befreit und gerettet werden könnte. Das war sozuzsagen sein politisches Engagement als Jude.
Daneben aber trieb ihn auch auf einer persönlichen Ebene der Gottesgedanke um. Mehrere unvollendete Werke mit religiösem Inhalt – das Oratorium die Jakobsleiter, die Oper Moses und Aron und der Zyklus Moderne Psalmen erzählen davon. Einen dieser modernen Psalmen haben wir vorhin gemeinsam gesprochen. 16 solcher Psalmtexte hat er kurz vor seinem Tod geschrieben, nur den ersten – und auch den nicht ganz – vertont. Ursprünglich wollte er ihn mit „151. Psalm“ überschreiben und ihn damit als eine Fortschreibung der 150 biblischen Psalmen kennzeichnen.
O, du mein Gott: alle Völker preisen dich und versichern dich ihrer Ergebenheit.
Mit diesem Lobpreis setzt Schönberg ein. Das klingt tatsächlich gut alttestamentlich, ganz Psalmensprache. Aber schon beim zweiten Vers wird die Harmonie gestört, das kann Schönberg ja gut. Das, was wir erwarten zu hören, kommt nicht. Es wird gebrochen. Dissonanten Töne.
Was aber kann es Dir bedeuten, ob ich das auch tue oder nicht?
Wer bin ich, dass ich glauben soll, mein Gebet sei eine Notwendigkeit?
In Schönbergs modernem Psalm geht es um das Beten. Psalmen sind ja selbst eine Art Gebet. Gebete, in denen sich Menschen an Gott wenden, ihn loben oder auch schmerzlich vermissen, ihm ihr Leid klagen oder ihre Freude singen. Was aber kann es dir bedeuten, Gott, ob ich das tue oder nicht? Hier stellt Schönberg das, was er gerade tut, nämlich sich an Gott wenden, komplett in Frage. Und dann tritt er noch einen Schritt weiter zurück und fragt: Wer ist das überhaupt, mit dem ich da zu sprechen versuche?
Wenn ich Gott sage, weiß ich, dass ich damit von dem Einzigen, Ewigen, Allmächtigen, Allwissenden und Unvorstellbaren spreche, von dem ich mir ein Bild weder machen kann noch soll.
Das Bilderverbot – eines der 10 Gebote, hat Schönberg schon früher umgetrieben, als er sich mit Mose beschäftigt hat. 1925 griff er in seinen „Vier Stücken für gemischten Chor“ im zweiten Stück „Du sollst nicht, du musst“, dieses zweite Gebot auf – sein Text dazu:
Du sollst dir kein Bild machen!
Denn ein Bild schränkt ein, begrenzt,
fasst, was unbegrenzt und unvorstellbar bleiben soll.
Der undefinierbare Gott. Und ihm Gegenüber das Ich, das zu ihm spricht und – so Schönberg – keinen Anspruch hat, beachtet zu werden. Kann das funktionieren? Also macht Beten Sinn?
Das ist wirklich eine moderne Frage, vielleicht auch eine zeitlose, die sich Menschen schon immer gestellt haben. Schönberg stellt sie hier in seinem Psalmzyklus, den er als „Psalmen, Gebete und andere Gespräch mit Gott“ beschrieben hat um, ZITAT „zu den Menschen unserer Zeit in unserer Sprache zu sprechen von unseren Problemen.“
Ja, Beten kann ein Problem sein. Das höre ich immer wieder. Menschen haben das Gefühl, dass ihre Worte im Leeren verhallen. Dein Wort in Gottes Ohr, Mensch, und dann geht es da rein und da wieder raus. Nichts geschieht, zumindest nicht das, was gewünscht und erhofft wird. „Gott scheinen meine Gebete herzlich egal zu sein“, hat mir mal jemand gesagt. Das ist nahe dran an Schönberg’scher Formulierung. Und trotzdem, trotzdem bricht Schönberg in seinem Psalm eine Lanze für das Gebet. Und trotzdem bete ich – schreibt er und wiederholt diese Zeile zweimal.
Und trotzdem bete ich, wie alles Lebende betet.
Beten ist ein menschliches Grundbedürfnis, scheint Schönberg zu sagen, und begründet das gleich zweifach: Zum einen haben Menschen nun mal ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche, ihre Sehnsüchte. Und die projizieren sie an den Himmel, die legen sie ins Gebet, damit liegen sie Gott in den Ohren.
Trotzdem erbitte ich Gnaden und Wunder: Erfüllungen.
Und zum zweitens brauchen Menschen die Verbindung mit Gott, mit ihrem Schöpfer, mit der anderen Spiegelseite ihrer Ebenbildlichkeit, weil sie sonst selbst kein vollständiges Bild sind. Weil sie sich sonst die Wurzeln ihres Menschenseins abschneiden, so verstehe ich diesen Mann, der konvertiert und re-konvertiert ist auf der Suche nach seinen religiösen Wurzeln, während er seine heimatlichen und sprachlichen Wurzeln im 3. Reich verloren hat.
Trotzdem bete ich, denn ich will nicht des beseligenden Gefühls der Einigkeit, der Vereinigung mit dir, verlustig werden.
Dieses trotzige Plädoyer Schönbergs für das Gebet rührt mich an. Weil ich mich selbst darin so gut wiederfinde. Ich kann nicht behaupten, dass ich in meinem Leben oft konkret nachvollziehbare Gebetserhörung erlebt habe und trotzdem brauche ich das Gebet zum Leben, wie kaum etwas anderes. Mein Beten erdet mich. Und es verleiht meinen Sehnsüchten und Träumen Flügel. Zu fassen kriege ich Gott dabei nicht, aber oft fühle ich mich angefasst. Wo könnte mich das Gebet hintragen auf seiner Reise zu Gott? Könnte ich bei mir selbst ankommen? Ich glaube, solche Räume mit Gott anzusteuern, ist lebensnotwendig. Ich suche den Abstand zu mir und die Nähe zu Gott. Um mich und meine Anliegen mit anderen Augen zu sehen. Wer bin ich, dass ich glauben soll, mein Gebet sei eine Notwendigkeit – so fragt Schönberg zu Beginn. Ich denke, hier gibt er die Antwort. Das Gebet ist eine Notwendigkeit, nicht für Gott, aber für den Menschen.
Wohin das Gebet uns führt – das ist offen, unvollendet. So wie Schönbergs Psalm: Nach dem letzten Takt des Werkes – einem Sopraneinwurf mit dem Text „und trotzdem bete ich“ – bleibt ein weiterer leerer Takt, an dessen Ende der Taktstrich fehlt. In diesem (vermutlich zufälligen) Detail wird das Unvollendete dieses Werks anschaulich.Berührend ist auch die Widmung, die Gertrud Schönberg, die Frau des Komponisten, einer Veröffentlichung seiner modernen Psalmen später vorangestellt hat: „Diese Psalmen gebe ich denen, die hassen und lieben, verzweifeln und hoffen, verfluchen und beten. Denen, die diese Seele verstehen werden, weil sie selbst eine besitzen.“
Ja, ich glaube, Beten ist ein menschliches Grundbedürfnis. Jeder und jede braucht ein Gegenüber für seine Seele. Und insofern ist das Gebet ein Geschenk, so wie es der letzte -unvertont gebliebene – Vers von Schönbergs modernem Psalm sagt:
O du mein Gott, deine Gnade hat uns das Gebet gelassen, als eine Verbindung, eine beseligende Verbindung mit Dir. Als eine Seligkeit, die uns mehr gibt, als jede Erfüllung.
Das Gebet selbst also, nicht unbedingt die Gebetserhörung ist es, was uns im Leben hilft. Beten hilft, Gedanken zu klären, sich seiner Bedürfnisse bewusst zu werden, sie – bei Gott – loszuwerden, auch loszulassen. Und Beten für andere hilft, deren Bedürfnisse im Blick zu behalten, das Gewissen wach zu halten, auch mit der eigenen Hilflosigkeit umzugehen, wenn die Geschehnisse in der dieser Welt uns umtreiben und wir uns machtlos fühlen. Beten hilft, zurückzutreten, eine andere Perspektive einzunehmen. Es ist eben doch mehr als ein Selbstgespräch. Insofern hat auch das öffentliche Gebet seine wichtige Funktion, weil wir andere mit hineinnehmen, weil wir – ich wiederhole Schönberg „zu den Menschen unserer Zeit in unserer Sprache sprechen von unseren Problemen.“
„Unspielbarer Wahnsinn“ also? Vielleicht. Schwierig sich reinzuhören allemal, das werden Sie gleich merken. Das trotzig Trotzdem von Schönbergs Gebet möge sich aber in unsere Seele sprechen oder singen und manch ein verzagtes Gebet mutiger machen. Amen.
https://www.kirchengemeinde-ansgar.net/redaktion/websites/predigttext/2016_08_14_Schönberg%20Psalm.pdf
www.schoenberg.at/index.php
https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/schoenberg-center-antisemitismus-mattsee-ausstellung-online-100.html
https://www.schoenberg.at/index.php/de/joomla-license-sp-1943310035/moderner-psalm-op-50c-1950-unvollendet
Sommerreihe 2016 – Moderne Psalmen Pastor Tobias Götting https://www.kirchengemeinde-ansgar.net/redaktion/websites/predigttext/2016_08_14_Schönberg%20Psalm.pdf