Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Glück und Frieden

Glück und Frieden

Predigt zum Israelsonntag
Pastorin

Dr. Claudia Tietz

Israelsonntag (10. So. n. Trin.)

Predigt zu Psalm 122

Psalm 122

Ich freute mich über die, die mir sagten:
Lasset uns ziehen zum Hause des HERRN!
Nun stehen unsere Füße
in deinen Toren, Jerusalem.
Jerusalem ist gebaut als eine Stadt,
in der man zusammenkommen soll,
wohin die Stämme hinaufziehen,
die Stämme des HERRN,
wie es geboten ist dem Volke Israel,
zu preisen den Namen des HERRN.
Denn dort stehen Throne zum Gericht,
die Throne des Hauses David.
Wünschet Jerusalem Frieden!
Es möge wohlgehen denen, die dich lieben!
Es möge Friede sein in deinen Mauern
und Glück in deinen Palästen!
Um meiner Brüder und Freunde willen
will ich dir Frieden wünschen.
Um des Hauses des HERRN willen, unseres Gottes,
will ich dein Bestes suchen.

 

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede von Gott!

Liebe Gemeinde!

Am Freitag verabschiedete sich eine Nachbarin in den Urlaub. Samstag früh ging ihr Flieger nach Mallorca. Seit vielen Jahren schon fliegt sie Sommer für Sommer mit ihrem Mann auf die Insel. Immer zur selben Zeit, immer in dasselbe Ferienhaus von Freunden. Sie weiß genau, was sie erwartet, und das steigert nur ihre Vorfreude. „Wir steigen aus dem Flugzeug – und dann sind wir schon da, sofort im Urlaub!“, sagte sie strahlend und breitete die Arme aus. „Der blaue Himmel, die Wärme, die Luft – wunderbar!“

So unterschiedlich unsere Urlaubsreisen angelegt sind – ob als Strandurlaub, Wander- oder Städtereise, ob an wechselnde Orte oder jahrelang ins gleiche Quartier… – für viele von uns gleicht insbesondere der Sommerurlaub geradezu einer Wallfahrt. Hat er fast religiöse Züge, wenn man die wiederkehrenden Rituale, die emotionale Bedeutung und die erhofften Ziele betrachtet: Erfrischung, Gelassenheit, Einssein mit sich und soziale Verbundenheit, geistige Anregung…

An die Beschreibung meiner Nachbarin, wie sie aus dem Flughafengebäude hinaus den Boden der von ihr so geliebten Insel betritt, musste ich bei den ersten Versen von Psalm 122 denken:

Ich freute mich über die, die mir sagten:
Lasst uns ziehen zum Hause des HERRN!
Nun stehen unsere Füße
in deinen Toren, Jerusalem. (V. 1+2)

Den Moment, wo man sozusagen heiligen Boden betritt, den haben wir wahrscheinlich alle schon einmal erlebt. Dass man einen ersehnten Ort erreicht, ein bestimmtes Haus betritt oder in einem Land ankommt, auf das man sich schon lange gefreut hat. Sei es Rom, New York oder Jerusalem, sei es das Geburtshaus der Großmutter oder eines großen Künstlers, sei es ein Ort oder eine Landschaft unserer Träume…

Mir ging es einmal so, als ich bei einer Pilgerwanderung über das norwegische Fjell nach 12 Tagen Trondheim erreichte und vor dem großen Nidarosdom stand. So lange, so oft hatte ich mir das schon vorgestellt! Im „Jerusalem des Nordens“ zu sein, war doch der Nidarosdom über Jahrhunderte ein fast ebenso bedeutsames Pilgerziel wie das echte.

Im alten Israel, auch zu Jesu Zeiten, gehörten zu den drei wichtigsten Festen Pilgerreisen nach Jerusalem: zu „Pessach“ (zur Feier der Befreiung des Volkes Israel von der ägyptischen Herrschaft), zu „Schawuot“ (dem Wochenfest, das an die Übergabe der Tora am Sinai erinnert) und zu „Sukkot“ (dem Laubhüttenfest zu Erntedank).

Zu diesen Festen pilgerten die Familien nach Jerusalem, wo sich Burg und Tempel, das politische, juridische und religiöse Zentrum des jüdischen Volkes befanden.

Pilgerreisen waren – und sind – Ausnahmezeiten. Getrennt vom Alltagsleben, Haus, Nachbarn und Arbeit, aber mit Weggefährten und Mitpilgerinnen unterwegs zu einem besonderen, religiös bedeutsamen Ziel, so wie damals zum Tempel, wo eine Berührung mit dem Göttlichen, eine Stärkung des Glaubens, eine Vergewisserung der Gegenwart Gottes zu erhoffen war.

Waren die Umstände und Strapazen der Reise, die Rituale und religiösen Gesetze damals anders als heute, so werden die Erwartungen, die Aufregung und Freude vielleicht doch ähnlich gewesen sein.

Auch heute ist Jerusalem einer der bedeutendsten Orte, zu dem Menschen aus der ganzen Welt aufbrechen, von dem sie sich geistliche Nahrung erhoffen. Manche von Ihnen, von euch mögen selbst schon dort gewesen sein und sich erinnern.

Jerusalem ist ganz modern und birgt zugleich unglaublich viel Geschichte. Die Altstadt, mit dicken Mauern umgeben, lässt sich nur durch große Tore erreichen. Tore, in denen früher einmal Recht gesprochen wurde, Gerechtigkeit im Namen Gottes und seiner Gebote. Bis heute mahnen diese Tore vor menschlicher Selbstgerechtigkeit.

Menschen werden hier „zusammengeführt“, heißt es in Psalm 122. Schon immer kamen Menschen aller Länder in Jerusalem zusammen, und bis heute leben Menschen verschiedenster Religiosität und Herkunft eng beieinander. Manche Familien sind hier schon lange verwurzelt, andere kamen erst vor wenigen Jahren von weit her, Touristinnen und Touristen reisen aus aller Welt an. Menschen unterschiedlichster Nationalität, verschiedener Sprachen, diverser Anschauungen, Lebensgeschichten und Hoffnungen…

Jerusalem, die heilige Stadt, ist für Juden ihr Zentrum, für Muslime einer der drei wichtigsten Wallfahrtsorte und für uns Christen der Ursprung unserer Religion.

Ein Wahrzeichen des Glaubens war Jerusalem schon zur Zeit Jesu, besonders durch den Tempel. Ein Ort, an dem Gott sich von Menschen finden ließ und spürbar war. „Höre, Israel! Höre, Welt, auf die Worte Gottes. Der HERR, dein Gott, ist ein einziger Gott…“ (vgl. 5. Mose 6, 4–9) Das Schma Jisrael, eins der wichtigsten jüdischen Gebete, kann man sich von hier ausgehend vorstellen.

Denn in Gottes Namen werden Menschen nach Jerusalem gerufen. Sind alle, die Gott suchen, willkommen. Sollen sie auf Gottes Gebote hören, die Grundregeln des Zusammenlebens für alle Menschen, die im Allerheiligsten aufbewahrt werden.

Doch Jerusalem steht auch für Krieg und Feindschaft. Drei Mal wurde der Tempel zerstört, und heute ist davon nur noch die Klagemauer erhalten. Juden, Muslime und Christen streiten um Besitzansprüche. Jeden Tag gibt es neue Auseinandersetzungen. Kaum ein Tag, wo nicht einem Menschen Gewalt angetan wird.

Und das ist umso schmerzlicher, als Jerusalem doch eine „heilige Stadt“ ist, wo nach biblischer Vorstellung Gott selbst wohnt, auf dem Berg Zion die Quelle allen Lebens entspringt.

Das friedliche Zusammenleben aller Völker in der Stadt Gottes war und ist eine Vision für die ganze zerrissene Welt. Im Glauben hoffen wir, dass Gott eines Tages die ganze Menschheit miteinander versöhnt und Menschen in ihrer Verschiedenheit verbindet. Frieden, Gerechtigkeit und Einmütigkeit, wie sie schon im Alten Testament allen verheißen sind.

In Psalm 122, der als Lied auf den Pilgerreisen nach Jerusalem gesungen wurde, wird diese große Vision der Völkerwallfahrt und des umfassenden Friedens in Jerusalem ganz einfach und persönlich ausgedrückt:

Frieden und Glück wünsche ich dir! (vgl. V. 6–8)

Dem Tempel ebenso wie der Stadt. Den Brüdern und Schwestern im Glauben ebenso wie denen, die anders an Gott glauben. „Um Gottes willen“ will ich dein Bestes suchen, wünsche ich dir Glück und Frieden. – Oder wie es mit dem alten lateinischen Pilgergruß heißt, den man noch heute auf dem Jakobsweg oder dem Franziskusweg hören kann: „Pax et bonum“!

Denn an Gott glauben, Gott vertrauen und lieben – das heißt ja immer, Gottes Botschaft laut machen, wie sie für uns im Alten wie im Neuen Testament bezeugt ist: die Botschaft von Gottes Liebe und Barmherzigkeit, von Glück und Frieden. Daran festhalten bei allem, was dagegen streitet und schreit, gerade in Israel und Palästina, aber auch im Niger, in der Ukraine…

Daran festhalten als Sendbotinnen und -boten Gottes auf der Erde, die diesen Brief, diese Botschaft in der Reisetasche haben: „Glück und Frieden“ zu bringen, denen wir begegnen. Ob wir sie brauchen oder sie uns. Ob wir Gastfreundschaft und Hilfe anbieten oder selbst suchen. Ob wir in der Familie oder in der Gesellschaft Ausgleich und Kompromisse anstreben.

„Glück und Frieden“ lasst uns auf unseren Lebenswegen und -reisen anderen wünschen und dabei helfen, dass sie Wirklichkeit werden im Großen wie im Kleinen. Mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, mit Diplomatie oder Bauerschläue, Herzlichkeit oder Sturheit, Phantasie oder Einfältigkeit.

Vielleicht so freundlich-listig, wie es in einer rabbinischen Geschichte erzählt wird:

„Da sind zwei Männer Samuel und Ruben. Beide sind angesehene Persönlichkeiten der Gemeinde. Aber sie haben Streit. Also geht der Rabbi zu Ruben und sagt: ‚Komm, lass uns zu Samuel gehen und Frieden schließen.‘ Aber Ruben erwidert wütend: ‚Nein, das kann ich nicht, nach allem, was vorgefallen ist! Er soll sich zuerst bei mir entschuldigen!‘ Da erwidert der Rabbi: ‚Ich habe mit Samuel gesprochen. Er hat große Hochachtung vor dir. Er ist beeindruckt von deinen vielen Fähigkeiten, deiner ehrlichen Gottsuche und deinem guten Geschick. Deswegen ist er neidisch auf dich, aber dafür schämt er sich. Er kann es einfach nicht zugeben.‘ Ruben stutzt: ‚Ach so ist das!‘ Da lächelt er großzügig und geht federnden Schrittes davon. Schnell läuft der Rabbi zu Samuel und bittet ihn, mit Ruben Frieden zu schließen, doch Samuel will nicht. Da lächelt der Rabbi und sagt: ‚Ich habe mit Ruben gesprochen. Er hat großen Respekt vor deinen Leistungen und deiner Frömmigkeit. Er schämt sich aber, weil er neidisch ist auf dich.‘ Samuel stutzt und schlendert schmunzelnd davon. – Und so wuchs zwischen zwei gereizten Männern eine im besten Sinne reizende Beziehung.“

Welche Gaben auch immer wir im Gepäck haben, lasst sie uns einsetzen, um Glück und Frieden zu bringen, wie sie uns allen verheißen sind! Amen.