Lesung:
Kleine Geheimnisse – von Fredrik Backman
Jemanden zu lieben ist, als würde man in ein Haus einziehen. Am Anfang verliebt man sich in all das Fremde, man ist jeden Morgen aufs Neue erstaunt, dass es einem plötzlich gehört, und hat ständig Angst, jemand könnte hereinstürmen und sagen, ihm sei ein grober Fehler unterlaufen und es sei gar nicht vorgesehen gewesen, dass man so ein schönes Zuhause bekommt. Aber mit den Jahren bröckelt die Fassade, das Holz reißt hier und da auf, und man fängt an, die Macken an diesem Haus zu lieben. Da kennt man bereits alle verborgenen Ecken und Winkel. Man weiß, was man tun muss, damit der Schlüssel nicht im Schloss stecken bliebt, wenn es draußen kalt wird. Welche Dielen etwas nachgeben, wenn man darauftritt, und wie man die Kleiderschranktüren so öffnet, dass sie nicht knarren. Und das sind all die kleinen Geheimnisse, die es eben genau zu deinem Zuhause machen.
Predigt zum Valentinstag
Sabine sitzt am Fenster, während ihr Mann in der Küche spült. „Schau mal“, ruft sie plötzlich, „dort geht Thomas mit der Frau, in die er so wahnsinnig verliebt ist“. Frank lässt die Tasse fallen, stürzt durch die Tür und reckt seinen Hals aus dem Fenster. „Wo?“, ruft er. „Dort“, zeigt sie, „vor dem Café“. „Du spinnst“, brummt Frank. „Das ist doch seine Frau!“ – „Ja eben!“, erwidert sie sanft.
Wahnsinnig verliebt bleiben – auf Dauer. Ist das möglich? Ist das die Vorstellung, mit der Sie als Paar in die Ehe gingen oder gehen werden? Ist das die Erfahrung, die Sie als langjähriges Paar machen? Vermutlich nicht. Schmetterlinge im Bauch sind wunderschön, aber auf Dauer wäre das Geflatter im Magen vermutlich gar nicht auszuhalten. Jedes Paar kennt Hoch-zeiten der Beziehung – und die Hochzeit ist sicher eine davon. Aber wenn man immer auf dieser Höhe bleiben würde, dann wird es ein Hochplateau und damit im Endeffekt auch eine Ebene.
Ich gehe also mal davon aus, dass auch Thomas und seine Frau, nennen wir sie mal Tanja, dass also auch Thomas und Tanja sich nicht ständig nur verliebt in die Augen schauen und händchenhaltend von einem Café ins andere ziehen. Sie werden auch miteinander in der Küche stehen und spülen. Oder einer ärgert sich über die andere, weil sie es eben nicht miteinander machen, sondern blöde Aufgaben gefühlt immer nur an einem hängenbleiben. Und darüber, was blöde Aufgaben sind, ist man sich vielleicht nicht mal einig. Aber Thomas und Tanja scheinen es zu schaffen, ab und zu den Abwasch Abwasch sein zu lassen und gemeinsam ins Café zu gehen. Vielleicht halten sie dabei Händchen, vielleicht küssen sie sich. Irgendetwas wird Sabine durchs Fenster gesehen haben, was deren Liebe zeigt. Und was sie sich offensichtlich mit ihrem Mann wünscht.
Jemanden zu lieben ist, als würde man in ein Haus einziehen – so haben wir eben gehört. Am Anfang ist man total glücklich mit der neuen Bleibe. Man hat sie sich ja ausgesucht. Ausgesucht, weil man sie schön findet, passend, weil man glaubt, sich dort wohlfühlen zu können. Zuhause, geborgen. Man zieht ein, weil man bleiben möchte. Möglichst für immer. Bei der Trauung verspricht man sich: Bis dass der Tod uns scheidet. In guten, wie in schweren Zeiten. Man weiß also schon, wenn man einzieht, dass das Haus vielleicht auch Tücken hat, die man auf den ersten Blick nicht sieht. Oder die sich erst mit der Zeit entwickeln.
Und das ist der Knackpunkt: Wenn die Fassade bröckelt und das Holz aufreißt – beginnt man die Macken zu lieben oder zu hassen? Versucht man verzweifelt dagegen anzukämpfen, drüber zu streichen und zu reparieren? Oder kann man sich gerade dann und damit weiter wohlfühlen. Lernt man, die knarrenden Dielen mit Leichtigkeit zu umgehen, einen kleinen Tanzschritt daraus zu machen oder ist es jedes Mal ein Angang? Kein Mensch findet ein Türschloss, das ständig hakt, charmant und liebenswert, wenn man mit den Einkaufstüten davorsteht und jetzt einfach nur schnell die Tür aufschließen will. Völlig normal, dass sich dann wünscht, dass das reibungslos läuft und nicht jedes Mal zusätzliche Energie kostet. Völlig normal, dass man den Schlüssel dann auch mal vor Wut durch die Gegend wirft. Keiner in einer Beziehung ist beglückt, wenn es immer an derselben Stelle hakt. Dann ist man sauer, dann fliegen vielleicht auch mal die Fetzen. Die meisten Paare, die zu mir ins Traugespräch kommen, kennen das. Aber es stellt nicht den Schlüssel in Frage oder das Haus. Über manche Macke kann man schmunzeln, manche Schwierigkeit muss und kann man beheben – in gemeinsamen Gesprächen oder mit Hilfe von anderen, die das Paar begleiten. Oft schaffen Paare es auch mit den Jahren, ihr Haus umzubauen. Veränderungen können miteinander gelingen, wenn die Beziehung, die man jung und verliebt begann, nicht mehr richtig passt.
Manchmal habe ich Paare wie Thomas und Tanja im Traugespräch – kein echtes erstes Traugespräch, sondern sie wollen dann ihre Silberne Hochzeit in der Kirche feiern oder sogar ihre Goldene. Solche Paare erzählen von Umbauten, von den hakenden Schlüsseln und den knarrenden Dielen. Von den Hoch-zeiten und auch den Tiefpunkten ihrer Beziehung – und von den langen Ebenen dazwischen, in denen es einfach so läuft, ohne große Anstrengung, weil es eben flach ist. Wohltuend sei das – aber man müsse auch ein bisschen aufpassen, dass es sich nicht ver-läuft, wenn alles so glatt läuft, dass man nicht unbemerkt auf eine schiefe Ebene gelangt, die bergab führt.
Wenn Paare zu mir kommen, dann tun sie das, weil sie sich den Segen Gottes wünschen – sei es zu Beginn oder bei Jubiläen der Ehe. Sie kommen, weil sie ein Gefühl dafür haben, dass es nicht allein in ihrer Macht liegt, dass das Beziehungshaus auf Dauer für beide ein guter Ort sein kann. Es ist immer auch ein Geschenk, wenn man den anderen so sein lassen kann, wie er/wie sie ist. Wenn man sich nicht damit abkämpft, dass doch alles so gut wäre, wenn er nur ein bisschen mehr das oder sie ein bisschen weniger so sein könnte. Wenn das Haus nur ein Zimmer mehr hätte oder höhere Decken, dann wäre doch alles so schön und kann man das nicht ein bisschen so hinbiegen? Wenn man die zu tiefen Decken und den Platzmangel nicht nur als notwendiges Übel akzeptiert, sondern liebenswert finden kann – das ist wirklich ein Geschenk, eine Gnade. Ein Segen.
Es ist ein Segen, wenn Menschen sich kennenlernen und sich zueinander hingezogen fühlen. Wenn Nähe entsteht, wenn man das Miteinander Sein genießt. Wenn man sich nacheinander sehnt, wenn man sich gegenseitig entdeckt. Wenn man es dann wagt, dem anderen auch die eigenen Schwächen zu zeigen und trotzdem weiter geliebt wird. Wenn man die Macken des anderen entdeckt und trotzdem weiter lieben kann. Es ist ein Segen, wenn man miteinander Hochzeit feiert, die Hoch-zeiten im Laufe der Beziehung weiter zelebriert, sich auf den Ebenen, im Alltag miteinander ausruhen kann und bei den Tiefpunkten umeinander kämpft und sich nicht aufgibt. Es ist ein kostbares Geschenk, wenn man immer wieder mal die Schmetterlinge spürt, sich immer wieder daran erinnert, wie es ist oder auch wie es war, wahnsinnig verliebt zu sein. Es ist ein Geschenk, wenn man das, was einen umtreibt, miteinander teilt, im Gespräch bleibt, sich widerspricht, herausfordert, gegenseitig immer weiter verändert, weil man es will. Es ist ein Geschenk, wenn man zu jemandem gehört, weil man sich dafür entschieden hat und zu dieser Entscheidung stehen kann.
Die Liebe trägt immer auch einen göttlichen Funken in sich, etwas Unverfügbares. Dafür hatte Bischof Valentin ein besonderes Gespür. Sein Namenstag erinnert uns daran, dankbar für dieses Geschenk zu sein – sei es noch ein ganz neues Geschenk oder eines, an dem wir uns schon viele Jahre freuen. Die Liebe ist ein Geschenk und sie ist doch bedürftig: Sie braucht Pflege. So wie ein Haus Pflege braucht – je mehr es in die Jahre kommt, desto mehr. Man muss aufmerksam durch ein Haus gehen, gerade dann wenn es einem sehr vertraut ist, damit man die schleichenden Veränderungen bemerkt. Und zwar nicht erst, wenn das Haus kurz vor dem Zusammenbrechen ist. In ein Haus muss man immer wieder investierten – seine Zeit, seine Energie, sein Geld. Die Liebe bleibt nicht automatisch. Vielleicht muss man manchmal auch aus dem Fenster schauen und die Thomas und Tanjas sehen und merken, was fehlt. Die Kunst ist, das dann nicht dem anderen vorzuwerfen. Sabine – so erzählt es die kleine Geschichte – spricht ganz sanft. Sie erlaubt ihrer Sehnsucht zu Wort zu kommen und vielleicht kann sie damit auch Franks Sehnsucht anrühren. Gemeinsames Sehnen ist ein guter Beginn, um auch gemeinsam zu machen.
Die Liebe braucht Pflege und sie braucht Zuspruch. Bei jeder Hochzeit gibt es Zuspruch in Form eines Trauspruches, den sich das Paar selbst aussuchen kann. Das ist ein Bibelvers, der Sie als Paar begleiten und vor allem an den Tiefpunkten stärken soll. Wer also hier von Ihnen sitzt und schon kirchlich geheiratet hat, kann sich vielleicht erinnern an das Wort, das Sie gemeinsam ausgesucht haben und das wie ein Zuspruch, wie eine Verheißung, wie eine Anleitung fürs gemeinsame Leben über Ihrer Ehe steht.
Die Liebe braucht Pflege, Zuspruch – und Segen. Wer möchte kann sich deswegen noch in diesem Gottesdienst als Paar den Segen Gottes zusprechen lassen. Damit das Haus, das Sie gemeinsam – sei es gerade erst neu bezogen haben oder schon lange bewohnen – damit dieses Haus für Sie beide ein aufregender, ein schöner ein geborgener Ort bleiben kann. Amen.