Liebe im Dreieck
13. Sonntag n. Trin. 2023
Verabschiedung von Sabine Puhle, Reinigungskraft und Hauswirtschafterin
Text: 1. Johannes 4, 7–12
Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist aus Gott geboren und kennt Gott. 8 Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist Liebe. 9 Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. 10 Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. 11 Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. 12 Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen
Predigt
Gnade sei mit euch und Friede von Gott!
Wie viele Liebesgeschichten haben Sie, habt ihr wohl schon gehört? Auf Bahnfahrten von Fremden, am Gartenzaun von der Nachbarin oder auf langen Spaziergängen mit Freundinnen und Freunden, in Filmen oder Büchern…
Und welche Liebesgeschichten haben Sie, habt ihr wohl selbst schon erlebt? Als Jugendliche oder Erwachsene, in einer Beziehung, der Ehe oder einer Affaire, glücklich oder schmerzlich, offen oder heimlich…
Wie viele Liebesgeschichten gibt es nicht! Unterschiedlichster Art, manchmal staunt man, nichts ist unmöglich. Nicht umsonst sagt man: „Wo die Liebe hinfällt“ und lässt dabei offen, was einem nachvollziehbar und anständig erscheint und was nicht. Wo auch immer die Liebe hinfällt, wen sie treffen, beglücken oder verstören mag – Liebe ist aufregend und spannend für uns, egal in welchem Alter.
Besonders spannungsreich wird es meistens, wenn die Liebe nicht nur Zwei betrifft. Wenn eine oder einer zu einer Zweierbeziehung dazukommt, wenn man sich der Liebe eines Menschen nicht mehr hundertprozentig sicher ist oder das eigene Herz nicht mehr nur einem, sondern zwei Menschen gehört. Dann wird es meistens spannungsgeladen und schwierig.
Das gilt in gewisser Weise nicht nur für die romantische Liebe, für Liebesbeziehungen, sondern auch für die Familie. Wenn ein Paar ein Baby bekommt und aus Zweien Drei werden. Oft ist dann zu Beginn eine oder einer auf die Nähe zwischen den beiden anderen eifersüchtig: der Vater auf Mutter und Baby oder später das Kind auf das Elternpaar.
Es ist nicht leicht und kann Menschen lange beschäftigen, aus einer engen Zweierbeziehung in die Weite zu kommen, aus der Dyade in die Triade.
An solche Fragen der Liebe und Nähe musste ich bei unserem Predigttext aus dem 1. Johannesbrief denken. Er spricht von Gottes Liebe – wie ja die Bibel überhaupt viele Liebesgeschichten erzählt –, er lobt, preist, rühmt Gottes Wesen der Liebe, aber er schildert Gottes Liebe durchaus nicht nur als eine Zweierbeziehung zwischen Gott und Mensch, dir oder mir. Sondern eher als eine Dreiecksbeziehung.
„Niemand hat Gott je gesehen“ (V. 12), heißt es in unserem Text. „Niemand hat Gott je gesehen“, aber umso mehr fragen wir uns, fragen sich Menschen überall und immer wieder, wie man sich so etwas wie Gott, eine göttliche Macht oder Energie überhaupt vorstellen kann. Wer, was oder wo Gott wohl ist?
Die markante Antwort des Christentums lautet: Gott ist Liebe. Gottes Wesen ist wie Liebe, Barmherzigkeit oder Gnade. Wir können Gottes Wesen am ehesten in der Liebe begreifen oder uns ihm annähern. Eher als im Gebet oder in der Stille, eher als im Meditieren oder Nachdenken finden wir Gott im Lieben.
Aber diese Liebe beschreibt der Predigttext eben nicht als eine romantische oder freundschaftliche Zweierbeziehung zwischen Gott und dem, der Einzelnen, sondern als ein etwas unübersichtliches Geschehen zwischen mehreren, zumindest drei Personen.
Zum Einen heißt es: „Aus Liebe sandte Gott seinen Sohn auf die Erde“ (V. 9). Wie ein Stellvertreter Gottes oder ein lebendiges Zeichen oder ein Unterpfand seiner Liebe.
Das heißt, im Raum der Liebe Gottes kommen wir an seinem Sohn Jesus Christus nicht vorbei. Er ist Gottes Liebe. Er steht mit seinen Worten und Taten, mit seinem Leben und Sterben dafür ein, macht für uns konkret, was mit Gottes Liebe gemeint ist.
Ein prominentes Beispiel dafür ist das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, das Jesus erzählt hat. Das wir heute gehört haben und im Medaillon gegenüber der Kanzel in Stein gemeißelt sehen. Wie ein Predigtbild, Sonntag für Sonntag.
Der Samariter, ein Fremder aus Samarien, der anders als die zwei Passanten vor ihm den Mann nicht liegen lässt, der zusammengeschlagen und ausgeraubt wurde. Der ihm so etwas wie 1. Hilfe zukommen lässt, ihn verbindet, tröstet und aufrichtet und ihn dann in ein Gasthaus bringt, wo er gepflegt werden soll, bis er wieder gesund ist.
Ein Beispiel für spontane Hilfe. Nicht überschwänglich, nicht für immer, aber direkt, spontan, von Herzen kommend.
Heute denke ich bei diesem Gleichnis an Sabine Puhle, zu deren Aufgaben in der Kirchengemeinde es ja gehörte, Menschen zu versorgen, Kaffee und Tee zu kochen, einzukaufen und Räume herzurichten. Die aber vielen vor allem deshalb in Erinnerung bleiben wird, weil sie weit darüber hinaus spontan und herzlich geben konnte: Kinder, die hingefallen waren, mit Pflaster und Worten trösten; die Bedürftigen bei der Essensausgabe mit einem Becher Kaffee empfangen; Älteren auf dem Weg helfen.
Ich denke auch an die drei ukrainischen Familien, denen wir als Kirchengemeinde zur Zeit versuchen zu helfen, indem sie bei uns im Gemeindehaus wohnen können. Oder an unsere langjährige Beziehung zum Verein Kanduyi Children e.V., dem Straßenkinderprojekt in Kenia.
Wo wir als Gemeinde und als Einzelne versuchen, etwas von der spontanen Hilfe und Liebe zum Nächsten zu leben. Und uns von Jesus, wie in der Geschichte, fragen lassen: Wem stellen wir uns als Nächste zur Seite? Wer braucht unsere Liebe und Hilfe?
Wenn wir versuchen, Gottes Wesen auf die Spur zu kommen, uns ihm anzunähern, dann kommt Jesus ins Spiel. Menschgewordene Liebe.
Und dann kommen in unserem Predigttext auch unsere Beziehungen untereinander ins Spiel. „Liebt euch untereinander“ (V. 7+11), heißt es. Liebe nicht nur hierarchisch oder als Einbahnstraße gedacht, von Gott über seinen Sohn zu uns, sondern als Netzwerk, mindestens als Dreiecksbeziehung zwischen Gott, dir und mir.
Manche von Ihnen, von euch kennen vielleicht als Konfirmanden, Erzieherinnen oder Lehrer das Gruppenspiel mit dem Wollknäuel: Eine Gruppe sitzt oder steht im Kreis. Einer hält ein dickes Wollknäuel in der Hand, das wirft er einem anderen in der Gruppe zu und hält dabei das Ende des Fadens fest. Man kann dabei den Namen desjenigen rufen, dem man die Wolle zuwirft, oder eine Frage stellen. Das Wollknäuel wird so lange weitergeworfen, bis alle ein Stück Faden in Händen halten und ein Netz zwischen allen gesponnen ist.
So ähnlich, denke ich, ist der Satz „Liebt euch untereinander!“ zu verstehen. Dass Gottes Liebe aus der Höhe in die Weite geht. Dass unsere Nächsten nicht immer die sind, die wir am liebsten haben, sondern die, denen wir ein Wort, einen Blick, eine Geste oder Gabe zuwerfen. Mit denen wir uns auf Augenhöhe in einer Haltung der Nächstenliebe vernetzen.
Ihr kennt sicher den populären Satz: „Gott liebt dich.“ Das stimmt – aber ich glaube, es ist nur zum Teil wahr.
Eher gilt wohl, dass es in Gott einen Raum der Liebe gibt, in dem wir durch den Heiligen Geist mit Gott, Jesus Christus und miteinander verbunden sind – und aus dem wir nicht hinausfallen können. Nicht in diesem und nicht im kommenden Leben. „Denn die Liebe hört niemals auf.“ (1. Kor 13, 8). Amen