Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Warum?

Warum?

Predigt am 26. Februar
Pastorin

Dr. Claudia Tietz

Sonntag Invokavit, 26. Februar 2023

Predigt zu Hiob 2, 1–13

Predigttext: Hiob 2, 1–13

Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den HERRN traten, dass auch der Satan mit ihnen kam und vor den HERRN trat. 2 Da sprach der HERR zu dem Satan: Wo kommst du her? Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen. 3 Der HERR sprach zu dem Satan: Hast du acht auf meinen Knecht Hiob gehabt? Denn es ist seinesgleichen auf Erden nicht, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse und hält noch fest an seiner Frömmigkeit; du aber hast mich bewogen, ihn ohne Grund zu verderben. 4 Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Haut für Haut! Und alles, was ein Mann hat, lässt er für sein Leben. 5 Aber strecke deine Hand aus und taste sein Gebein und Fleisch an: Was gilt’s, er wird dir ins Angesicht fluchen! 6 Der HERR sprach zu dem Satan: Siehe da, er sei in deiner Hand, doch schone sein Leben! 7 Da ging der Satan hinaus vom Angesicht des HERRN und schlug Hiob mit bösen Geschwüren von der Fußsohle an bis auf seinen Scheitel. 8 Und er nahm eine Scherbe und schabte sich und saß in der Asche. 9 Und seine Frau sprach zu ihm: Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb! 10 Er aber sprach zu ihr: Du redest, wie die törichten Frauen reden. Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? In diesem allen versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen.

11 Als aber die drei Freunde Hiobs all das Unglück hörten, das über ihn gekommen war, kamen sie, ein jeder aus seinem Ort: Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama. Denn sie wurden eins, dass sie kämen, ihn zu beklagen und zu trösten. 12 Und als sie ihre Augen aufhoben von ferne, erkannten sie ihn nicht und erhoben ihre Stimme und weinten, und ein jeder zerriss sein Kleid, und sie warfen Staub gen Himmel auf ihr Haupt 13 und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.

 

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede von Gott!

Warum?

Als ich dieses Fragewort gegoogelt habe, erschienen auf meinem Bildschirm ganz oben drei Warum-Fragen in dieser Reihenfolge: 1. Warum hast du nicht Nein gesagt? 2. Warum ist der Himmel blau? Und 3. Warum ist die Banane krumm?

Eine wunderbare Zusammenstellung von Warum-Fragen, finde ich! Sie stellen einige der grundlegenden menschlichen Fragen in völlig weltliche, allgemeinverständliche Kontexte.

Die erstgenannte Warum-Frage: Warum hast du nicht Nein gesagt? erschließt sich sofort durch die verlinkten YouTube-Videos von Maite Kelly und Roland Kaiser. Es scheint ihr bester Schlagerhit zu sein, alle paar Jahre wieder in Neuauflage. Und es geht, natürlich, um die Liebe! Um Anziehung, Verführung und Untreue – um all das Schöne und Schreckliche, was zwischen zwei Menschen lodern kann und sprichwörtlich schon mit Adam und Eva angefangen hat.

Warum finden manche Menschen die Liebe – vielleicht sogar die Liebe ihres Lebens – und andere nicht? Und bleiben allein oder in unzufriedenen Beziehungen? Warum können Menschen manchmal nicht Nein sagen und tun das ihren Partnerinnen und Partnern an: Lügen, Fremdgehen und die Liebe verraten, die sie sich einmal versprochen haben?

Die Liebe, eins der größten Themen in unserem Leben – aber wir können sie nicht beherrschen. Eine Macht Gottes ist sie, unverfügbar und stark.

Die zweite, auf Google gelistete Frage lautet: Warum ist der Himmel blau?

Diese Frage hat mich überrascht: Denken wirklich so viele Menschen darüber nach, warum der Himmel blau ist?

Aber bei näherem Nachdenken fiel mir auf, dass es eigentlich wenige Themen gibt, die unterschiedlichste Menschen so lange angeregt ins Gespräch verwickeln können, wie Sterne und Planeten, die Entstehung des Universums oder besondere Naturphänomene, Meteoriten-Einschläge, Schneestürme oder Sonnenfinsternisse…

Die Suche nach Erklärungen für Phänomene, die einen überwältigen können, in denen uns vielleicht die numinose Macht des Göttlichen anweht und die sich unserem Einflussbereich vollkommen entziehen.

Warum ist der Himmel blau, das Gras grün, die Sonne hell? Warum sehe ich die Welt so, wie ich sie sehe? Was kann ich in dieser Welt beeinflussen, ändern und gestalten – und was auch nicht?

Ich denke, solche Fragen stecken darin: nach unserer menschlichen Macht und Ohnmacht, den Grenzen unseres Verstandes und unserer Fähigkeiten.

Die dritte Frage: Warum ist die Banane krumm? ist ja weniger eine echte Frage, als eine rhetorische Frage. Die Frage, die spaßhaft für alle Warum-Fragen steht und auf unzählige Arten zu beantworten ist: Weil niemand in den Urwald geht und die Banane gerade dreht, oder: Weil niemand in den Urwald zog und die Banane gerade bog usw. Und alle diese Antworten beantworten aber nicht wirklich die Frage, warum denn nun die Banane krumm ist.

Insofern spielt die dritte Frage mit der kindlichen oder allgemein-menschlichen Fragelust, die mitunter völlig ergebnislos und nutzlos ist. Für die vielen kleinen und großen Warum-Fragen, auf die wir keine Antwort finden.

Sinnbildlich für die wohl größte Warum-Frage steht die biblische Gestalt Hiob. Warum lässt Gott diesen guten, gerechten Menschen leiden? Warum gibt es überhaupt so viel Schmerz, Leid und Böses in der Welt? – Und darin zugespitzt die Frage: Kann es überhaupt einen Gott geben, wenn es so viel Leid in der Welt gibt, Kriege, Krankheiten und Katastrophen? Warum lässt Gott das zu?

Nach der alttestamentlichen Erzählung gerät Hiob in einen Handel zwischen Gott und Satan. Die Wette lautet: Bleibt Hiob gerecht, fromm und rechtschaffen, bleibt er bei Gott, wenn ihm alles genommen wird? Oder glaubt er, bleibt er nur so lange bei Gott, wie er sich von Gott gesegnet fühlt durch seine große Familie, seinen Reichtum – Vieh, Häuser, Bedienstete – und seine Gesundheit?

Im Hebräischen steckt im Namen Hiob oder Ijob diese Frage: Wo ist Gott? Ist er in dem, was wir als Segen oder Gnade oder Wohltaten Gottes erfahren? Oder ist, existiert Gott außerhalb unserer vermeintlichen Gotteserfahrungen?

Als Hiob alles verloren hat, erst durch Krieg, dann durch Naturkatastrophen, dann durch Krankheit, da setzt er sich – so haben wir es eben gehört – „in die Asche“. Das heißt, er trauert. Seine Frau rät ihm, von Gott abzulassen. Seine Freunde kommen und trauern zunächst mit ihm. Aber als Hiob anfängt zu klagen, Gott anzuklagen und zu verklagen für all das Leid, das ihm geschah, da beginnen die drei Freunde nach Erklärungen zu suchen.

Auf Hiobs Warum-Frage: Warum gibt Gott das Licht dem Mühseligen und das Leben den betrübten Herzen? (Hiob 3, 20), antworten die Freunde mit Ermahnungen und Belehrungen. Letztlich machen sie Hiob selbst für sein Leid verantwortlich: Wenn du doch fester an Gott glauben, wenn du doch besser leben, wenn du doch abwarten und vertrauen würdest…

Ich denke, diese Art von Erklärungen und Tröstungen kennen die meisten von uns, auch ohne dass wir so viel Leid erfahren hätten wie Hiob. Die Gedanken, wo wir Fehler gemacht, falsche Entscheidungen getroffen oder etwas nicht rechtzeitig erkannt haben. Zermürbende Fragen, ob wir zu naiv, zu uninformiert, zu unfähig – oder auch zu übermütig oder zu undankbar waren?

Hiob lässt sich von seinen Freunden nicht auf diese Fährten locken. Er beharrt darauf, dass er unschuldig ist, Gott aber verantwortlich. Er bleibt bei seiner lauten Warum-Klage gegenüber Gott.

Sie werden, ihr werdet vielleicht wissen, wie die Geschichte ausgeht: Gott segnet Hiob schließlich abermals und wendet sein Los. Hiob bekommt neuen Besitz und neue Kinder. Und stirbt am Ende „alt und lebenssatt“.

Eine echte Antwort im engeren Sinne hat Hiob auf seine Warum-Frage nicht bekommen. Die einfache Gleichung Warum-Darum gibt es nicht für unsere großen Fragen, ob sie das Leid oder die Liebe betreffen, die Farbe des Himmels oder die Höllen auf Erden. Es gibt keinen eindeutigen Zusammenhang von Tun und Ergehen im Blick auf Gottes Segen. Gott lässt sich nicht dingfest machen – aber er ist trotzdem da.

Neben oder in der großen Nicht-Antwort, dem Ausbleiben des Darum, das in Hiobs Geschichte erzählt wird, stecken viele andere Antworten, verborgen und leise. Antworten oder Ahnungen, die sich weniger aussprechen als erfahren lassen. Die Menschen auch unterschiedlich für sich entdecken, wie Geheimnisse des Glaubens. Deshalb deute ich sie auch nur an:

Eine Antwort auf Hiobs Geschichte ist die Einsicht, dass Hiobs Leid keine Strafe ist, dass es keinen Schuldzusammenhang gibt. Das ist schwer begreiflich. Denn obwohl die meisten von uns nicht an einen strafenden Gott glauben oder ihn sogar ablehnen, steckt doch tief in vielen von uns die Erwartung, dass wir im Leben belohnt oder bestraft werden. Hiob hingegen erfährt: Ob er Kinder hat oder ob sie ihm genommen werden, ob er reich ist oder arm, gesund oder krank – das hat nichts mit seinem Wohlverhalten oder seiner Frömmigkeit zu tun. Wir werden von Gott oder vom Schicksal oder vom Karma nicht mit Liebe, Wohlstand und Gesundheit belohnt – oder bestraft, indem sie uns entzogen werden.

Das ist erstaunlich schwer zu fassen. Aber diese Antwort macht vielleicht den Weg in uns frei, um wirklich an einen barmherzigen, liebevollen Gott zu glauben, der uns nah ist. Uns ihm zu öffnen und anzuvertrauen in allem, was geschieht.

Ein anderes Geheimnis, das Hiobs Geschichte enthält, lautet, dass die Beziehung zwischen Gott und Hiob bestehen bleibt, auch im Leid. Dass das Band zwischen Hiob und Gott bleibt. Hiob mag daran mit seinen Anklagen ziehen und zerren – dieses Band ist stärker.

Heute denken wir bei diesem Band besonders an Rudi. Seine unverbrüchliche Verbindung zu Gott hat heute durch die Taufe sichtbar und spürbar Ausdruck bekommen. Gottes Bund mit Rudi wird bestehen bleiben, ganz unabhängig von seinem Lebensweg. Was das für Rudi bedeutet, gilt es für ihn selbst zu erforschen und zu erleben.

Und schließlich erzählt die Hiob-Geschichte auch davon, wie unsere Beziehung zu Gott aussehen könnte: Dass zu ihr nämlich nicht nur Dankbarkeit und Ergebenheit gehören, Vertrauen und Liebe. Sondern dass wir als Gottes Gegenüber, zu dem er uns ja geschaffen hat, Gott anklagen, sogar verklagen dürfen, wie Hiob. Für das, was in der Welt himmelschreiend ungerecht und grausam ist. Dass wir Gott zur Rechenschaft ziehen, ihn sozusagen an den Rockzipfeln oder Mantelaufschlägen packen und schütteln können und ihm vorhalten, was auf der Erde, in seiner Schöpfung entsetzlich falsch läuft.

Wir wissen, dass wir zu manchen Katastrophen viel selbst beitragen. Aber daneben gibt es vieles, das unbegreiflich und unerträglich ist – und Gott sollte dazu Stellung nehmen, er sollte sich einmischen und helfen!

Die Beziehung zu Gott, der Bund oder das Band, das uns mit ihm verbindet, bleibt – wenn wir fragen, rufen, bitten, danken und auch klagen oder wüten.

Auf unsere Frage: Warum? antwortet Gott nicht mit: Darum. Aber er antwortet – so wir ihm denn im Gespräch auf den Fersen bleiben – leise und verborgen. Wie wir es je und je für uns erleben und verstehen mögen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.