Predigttext: 1. Könige 3, 5–15
Und der HERR erschien Salomo zu Gibeon im Traum des Nachts, und Gott sprach: Bitte, was ich dir geben soll! 6 Salomo sprach: Du hast an meinem Vater David, deinem Knecht, große Barmherzigkeit getan, wie er denn vor dir gewandelt ist in Wahrheit und Gerechtigkeit und mit aufrichtigem Herzen vor dir, und hast ihm auch die große Barmherzigkeit erwiesen und ihm einen Sohn gegeben, der auf seinem Thron sitzen sollte, wie es denn jetzt ist. 7 Nun, HERR, mein Gott, du hast deinen Knecht zum König gemacht an meines Vaters David statt. Ich aber bin noch jung, weiß weder aus noch ein. 8 Und dein Knecht steht mitten in deinem Volk, das du erwählt hast, einem Volk, so groß, dass es wegen seiner Menge niemand zählen noch berechnen kann. 9 So wollest du deinem Knecht ein gehorsames Herz geben, dass er dein Volk richten könne und verstehen, was gut und böse ist. Denn wer vermag dies dein mächtiges Volk zu richten? 10 Das gefiel dem Herrn, dass Salomo darum bat. 11 Und Gott sprach zu ihm: Weil du darum bittest und bittest weder um langes Leben noch um Reichtum noch um deiner Feinde Tod, sondern um Verstand, auf das Recht zu hören, 12 siehe, so tue ich nach deinen Worten. Siehe, ich gebe dir ein weises und verständiges Herz, sodass deinesgleichen vor dir nicht gewesen ist und nach dir nicht aufkommen wird. 13 Und dazu gebe ich dir, worum du nicht gebeten hast, nämlich Reichtum und Ehre, sodass deinesgleichen keiner unter den Königen ist zu deinen Zeiten. 14 Und wenn du in meinen Wegen wandeln wirst, dass du hältst meine Satzungen und Gebote, wie dein Vater David gewandelt ist, so will ich dir ein langes Leben geben. 15 Und als Salomo erwachte, siehe, da war es ein Traum. Und er kam nach Jerusalem und trat vor die Lade des Bundes des Herrn und opferte Brandopfer und Dankopfer und machte ein großes Festmahl für alle seine Großen.
Predigt
Gnade sei mit euch und Friede von Gott!
Liebe Gemeinde!
Es ist zwar schon einige Jahre her, aber ich erinnere mich ziemlich gut an den ersten Schultag meiner Tochter am Gymnasium. Er ist auch auf einem Foto festgehalten. Blass und ernst steht sie vor dem Eingangsportal der großen Schule. Ein bisschen eingeschüchtert und verloren drückt sie dennoch ihren Rücken durch, macht sich gerade für den neuen Lebensabschnitt, die neuen Aufgaben, die damals vor ihr lagen.
An dieses Bild, an ihren Ausdruck musste ich bei unserem Predigttext denken. Bei der Erzählung von Salomos Traum, den er träumt, kurz nachdem er als Nachfolger seines Vaters David zum König über Israel gesalbt wurde.
Im Traum sagt Salomo zu Gott: „Nun, Gott, hast du mich, deinen Knecht, zum König gemacht an meines Vaters David statt. Ich bin aber noch jung; ich weiß weder aus noch ein. Und ich, dein Knecht, stehe mitten in deinem großen Volk, so groß, dass es niemand zählen kann.“ (V. 7+8)
Wie jung Salomo tatsächlich war, wissen wir nicht. Seiner Thronbesteigung sind schon etliche Kämpfe um die Nachfolge mit seinen älteren Brüdern vorausgegangen. Und unmittelbar nach unserem Text spricht er erfahren, lebensklug und selbstbewusst das sog. Salomonische Urteil in dem Fall der beiden Frauen, die um ein Kind streiten.
Vermutlich wird Salomo kein ganz junger Mann mehr gewesen sein, schon gar kein Kind. Und dennoch: Als er sein großes Amt antritt, ist er verunsichert, wird unruhig, fragt sich, wie er dieser Aufgabe und Verantwortung gerecht werden kann.
Wir mögen an King Charles III. denken – welche Fragen ihn wohl umgetrieben haben, als er nach Jahrzehnten des Wartens doch noch als König eingesetzt und gesalbt wurde? Was er wohl geträumt hat rund um seinen Amtsantritt?
Wir mögen an Angela Merkel oder Annalena Baerbock denken, an Menschen, die sich in öffentliche Verantwortung haben rufen lassen mit allen Konsequenzen, die sich daraus für ihr persönliches Leben ergeben, mit allen Aufgaben, die sie bewältigen sollen, mit allen Fragen und Selbstzweifeln, die sich ihnen stellen werden.
Und vielleicht denken wir auch an uns selbst, auch wenn wir weder Könige noch Kanzlerinnen sind… An Situationen, wo wir vor neuen Aufgaben oder Herausforderungen standen oder stehen: eine neue Stelle anzutreten, ein Team zu übernehmen, eine Firma oder einen Verein zu gründen… Oder im privaten Bereich: eine Ehe zu schließen, ein Kind zu bekommen… Und bei aller Vorfreude, allen Ideen und gutem Willen überfällt einen früher oder später die Frage: Kann ich das überhaupt? Was bringe ich mit an Fähigkeiten und Kenntnissen? Wie soll ich das schaffen?
Der junge König Salomo träumt in einer solchen Situation von einem Gespräch, einer Begegnung mit Gott. Wobei, wie bei vielen Träumen in der Bibel, Traum und Wirklichkeit verschwimmen. Gottes Präsenz wird in den Träumen jedenfalls ebenso unzweideutig real geschildert wie beim Wachen.
Vielleicht kennen manche von uns solche bedeutsamen Träume, die uns in schwierigen Lebenssituationen wichtige Hinweise gaben, Traumbilder oder Traumworte, die uns halfen, etwas Wesentliches zu erkennen. Oder auch Träume, in denen wir mit jemand sprechen, als wäre sie oder er wirklich ganz real da… Und beim Aufwachen wundern wir uns, dass wir doch allein sind und der Besuch, das Gespräch nur im Traum stattgefunden hat.
Salomo begegnet Gott in seinem Traum. Und Gott eröffnet die Begegnung mit dem Satz: „Bitte, was ich dir geben soll!“ (V. 5)
Ein Wunschtraum vielleicht, dass ihm, dass uns diese Frage gestellt würde: „Was wünschst du dir?“ Allzumal in einer Situation, wo wir unsicher sind, Sorge haben, nicht gut genug vorbereitet oder ausgerüstet zu sein.
Wenn ich an meine Tochter beim Übergang aufs Gymnasium denke und mir vorstelle, was sie sich in ihrer unruhigen Nacht vor dem ersten Schultag wohl gewünscht hat… Vielleicht freundliche Mitschülerinnen und Mitschüler, vielleicht nicht so strenge Lehrer, vielleicht Mut, Kraft oder Geschicklichkeit…
Interessanterweise wird in der Bibel anders als im Märchen – selbst im Traum! – nicht danach gefragt: „Was wünschst du dir?“ Sondern Gott sagt zu Salomo: „Bitte, was ich dir geben soll!“ Eine Bitte soll er äußern, wie ein Gebet. Ob Gott ihm diese Bitte erfüllen wird, bleibt zunächst offen.
„Bitte, was ich dir geben soll!“, das klingt in meinen Ohren konkreter, direkter, viel weniger verspielt als die berühmten drei freien Wünsche, die einem die Fee mit dem Zauberstab erfüllt. Es scheint hier nicht ums Träumen und Wünschen, sondern ums Bitten und Wachen zu gehen.
So, wie meiner Erfahrung nach Menschen, die beten und Gott um etwas bitten, meistens sehr wach sind. Und genau wissen oder spüren, dass es in der Beziehung zu Gott nicht um „Wünsch-dir-was“ geht, sondern ums Bitten und Geben, Suchen und Finden, Sprechen und Hören. Um eine vertrauensvolle Beziehung und um einen aktiven Prozess.
„Bitte, was ich dir geben soll!“
Salomo könnte um eine starke Befestigung der Hauptstadt Jerusalem bitten, um Schwäche seiner Feinde, um viele Nachkommen… Aber wir, die wir wahrscheinlich alle im Kopf schon einmal die verlockenden drei freien Wünsche und die damit einhergehenden Fallen durchgespielt haben, wir wüssten die passenden Entgegnungen: Was nützt dir eine befestigte Stadt, wenn der Feind das Südland einnimmt? Was nützen dir schwache Feinde, wenn eine Dürre und Hungersnot kommt? Was nützen dir viele Kinder, wenn es Unruhe oder Aufstand im Volk gibt?
Aporien, in die auch wir manchmal geraten, wenn wir uns zum Beispiel einen trockenen, sonnigen Sommer wünschen – und doch wissen, dass die Böden in den letzten Jahren ausgetrocknet sind. Wenn wir uns gute Bildung, schöne Wohnungen, Wohlstand und Sicherheit für unsere Kinder wünschen – und zugleich wissen, dass andere Kinder Bildung und sichere Wohnungen noch viel dringender brauchen. Wenn wir uns Frieden wünschen – und uns dabei fragen müssen: Wie und um welchen Preis?
Bitten wollen gut überlegt sein. So, wie wir uns im Gebet oft auf das Wichtigste beschränken – oder im Beten erst zum Wichtigsten gelangen.
Salomo, dessen Weisheit nicht umsonst sprichwörtlich geworden ist, bittet klug. Er bittet um etwas Unverlierbares, das ihm nichts und niemand nehmen kann. Um etwas, das ihm in seinem ganzen Leben, im öffentlichen Amt wie in seiner großen Familie, nutzen wird. Das in ihm bleiben und zu ihm gehören wird im Wandel der Zeiten: Salomo bittet um ein „gehorsames Herz“, um ein Herz, das hören und folgen kann (V. 9).
Es ist hier nicht ein „artiges“ Herz, ein kleines Hasenherz gemeint, das nicht nach links und rechts fühlen, sich nichts Verbotenes wünschen darf… So klein denkt die Bibel nicht! Es geht um ein Herz, das das Wesentliche hören und in sich aufnehmen kann, das verstehen kann, „was gut und böse ist“, wie er sagt (V. 9).
Das Wichtige hören, zwischen Gut und Böse entscheiden, sich am Wesentlichen ausrichten können – das möchte Salomo. Und er weiß, dass es dazu nicht nur das Gefühl braucht – so, wie es der beliebte Satz von Saint-Exupéry nahelegt: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ – sondern dass es auch Verstand, Klugheit und Urteilskraft braucht, um „mit dem Herzen zu hören“.
Salomo gilt als vorbildlicher Herrscher, dem es um die wesentliche Verantwortung für sein Volk und um die wesentliche Beziehung zu Gott geht. Auch wir heute können uns solche Regierenden nur wünschen! Die hören, was das Volk braucht. Die sich am Guten orientieren, an Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Frieden. Die die unterschiedlichen Stimmen und Ideen in unserer Gesellschaft aufnehmen können, wie mit den Herausforderungen unserer Zeit umzugehen ist.
Und auch uns selbst legt die Geschichte von Salomo die Bitte um ein „hörendes Herz“ nahe. Ein Herz, das hört und folgt, das mitfühlt und mitdenkt, von sich selbst absehen kann, das Wesentliche wahrnimmt, unterscheiden und entscheiden kann… Ein Herz, das hört, als eine kluge Bitte, die Gott ihm gewährt.
Mögen wir darum bitten: um ein solches „Herz, das hört“? Könnte das für uns eine dringende Bitte, ein großer Wunsch werden? Und was könnte dies für uns bedeuten?
Ich denke, ein „hörendes Herz“ wäre für uns in zweierlei Hinsicht (mindestens!) wichtig und schön. Einerseits im Blick auf das große Bedürfnis so vieler Menschen, mehr im Moment zu leben. Nicht ständig im Kopf mit Gedanken, Plänen, Aufgaben und Fragen beschäftigt zu sein, sondern einfach da zu sein. Wach und präsent, konzentriert und entspannt. Nicht im Gestern und Morgen, sondern im Hier und Jetzt zu sein. Wahrzunehmen, was jetzt ist. In mir, um mich herum, zwischen mir und anderen, zwischen mir und Gott. Hören, wie mein eigenes Herz schlägt, Takt und Rhythmus meines Lebens vorgibt, meinen Körper versorgt und belebt…
Ganz da sein mit dem Herzen. In Kontakt sein mit Gottes Geist.
Und andererseits könnte ein „hörendes Herz“ uns, unseren sozialen Beziehungen, ja unserer Gesellschaft insofern unendlich guttun, wenn wir tatsächlich besser oder mehr zuhören könnten. Uns für andere öffnen, uns anderen aufmerksam und geduldig zuwenden, ohne gleich zu bewerten, was die oder der andere sagt. Wahrnehmen und nachklingen lassen, was uns anvertraut wird, auch die leisen Botschaften und versteckten Signale aufnehmen.
Das würde Resonanzräume zwischen uns eröffnen, von denen wir wenig ahnen. Raum für das Wirken des Geistes zwischen uns.
So gebe Gott uns ein „hörendes Herz“ als Einfallstor für Gottes Geist in unserer Welt, in dir und mir und unserer Gemeinschaft. Amen.