Anleitung zum Fröhlichsein
Gottesdienst am 6. Sonntag nach Trinitatis
Predigttext:
Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer[1] und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, ihr Schatzmeister, war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja. Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen! Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest? Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. Die Stelle aber der Schrift, die er las, war diese: »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.« Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem? Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Schriftwort an und predigte ihm das Evangelium von Jesus. Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert’s, dass ich mich taufen lasse? Und er ließ den Wagen halten und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich. (Apg 8 26-39)
Predigt:
„Er zog aber seine Straße fröhlich.“
So endet unsere biblische Geschichte heute. Wann hat man das schon mal? Happy end – so ganz ausdrücklich. Wie schön! Und wie kommt man dahin? Die eigene Straße fröhlich zu ziehn?mDirekter Auslöser für diese Fröhlichkeit ist in unserer Geschichte die Taufe. Der fröhliche Mann kommt direkt aus dem Wasser. Da ist er: Nass und glücklich.
Taufen sind tatsächlich oft fröhliche Angelegenheiten. Meistens taufen wir ja Kinder. Da kommen dann die glücklichen Eltern mit ihren meistens ziemlich süßen Sprösslingen und natürlich auch die stolzen Großeltern und Freundinnen und Freunde, und alle feiern das neue Leben und sind dabei ziemlich fröhlich. Außer, wenn das Kind weint, das kommt natürlich schon mal vor. Es gibt aber auch Kinder die strahlen, weil sie spüren, dass sie das Zentrum der Aufmerksamkeit sind. Ich hatte schon mal einen kleinen Täufling, der lautstark mit „nochmal“ auf die Taufe reagiert hat. Oder kleine Gäste, die die Taufe mit „Ich auch kommentierten, unabhängig davon, ob sie schon getauft waren oder nicht. Also meistens ist das tatsächlich eine fröhliche Sache.
Diese Fröhlichkeit, die wir bei unseren Taufgottesdiensten erleben, verbindet uns mit unserer biblischen Taufgeschichte, die natürlich ein ganz anderes Setting entwirft. Hier wird ja ein Erwachsener getauft, wie das generell in den ersten christlichen Gemeinden üblich war. Für mich als Pastorin heutzutage ist das die Ausnahme. Aber es kommt schon vor, dass sich Menschen jenseits der 20, 30 oder auch 60 melden mit dem Wunsch, getauft zu werden. Das kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Anders als bei einer Kindertaufe ist die Vorbereitung dann gründlicher, dann es geht um die Frage, die Philippus auch dem Mann aus Äthiopien stellt: „Verstehst du das, was du liest! Verstehst du, worum es hier geht?“ – Und meistens kommen dann Rückfragen: Warum läuft ein Gottesdienst so ab und nicht anders? Wie muss man sich das vorstellen: „Er wird kommen zu richten die Lebenden und die Toten“? Was bedeutet das Sterben Jesu? Da gibt es viele Fragen. Und wenn wir – ich nehme an die meisten von uns sind getauft – wenn wir ehrlich sind, dann hören die Fragen nach der Taufe nicht auf. Das ist auch gut so! Meine Frage heute an diesen Text und an uns ist: Was genau macht hier eigentlich so fröhlich? Was lässt diesen Äthiopier glücklich seine Straße ziehen?
Zunächst einmal bekommt er Anleitung. Er bleibt nicht alleine mit seinen Fragen, sondern jemand nimmt sich Zeit, setzt sich zu ihm, hört sich seine Fragen an und geht darauf ein. Und dann versteht der Äthiopier. Sicher nicht alles, aber mehr als vorher. Das ist zutiefst befriedigend, das kennen wir ja: Wir versuchen etwas zu begreifen, aber es erschließt sich uns nicht. Und dann kommt jemand und macht die verschlossene Tür auf. Etwas öffnet sich, wir können es nachvollziehen, es bekommt eine Bedeutung für uns. Sowas macht froh. Ich glaube, der Kämmerer hatte so ein Aha-Erlebnis.
Und es lohnt sich, genauer auf das „Aha“ zu gucken. Also was erschließt sich ihm eigentlich und macht ihn glücklich? Er kämpft da in seinem Wagen mit einem Text des Propheten Jesaja (mit dem nach ihm weiterhin viele, auch Theolog:innen gekämpft haben): “Wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird, und wie ein Lamm, das vor dem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf.“
Als Predigerin würde mich natürlich jetzt brennend interessieren, was genau Philippus gesagt hat und wie. Aber wir kriegen nur eine Zusammenfassung: Philippus fängt bei dem Schriftwort, also bei den Fragen des Mannes an, und erzählt ihm das Evangelium, auf deutsch: die Frohe Botschaft von Jesus. Die frohe Botschaft macht ihn also fröhlich.
Wenn ich mit unserer heutigen Sprache die Lücken im Bericht füllen und Philippus Worte der Auslegung in den Mund legen müsste, dann würde ich vielleicht sagen: Ja, das gibt es auf dieser Welt, dass Menschen bedroht und mundtot gemacht werden. Jesus war einer von ihnen. Jesus hat all das Dunkle und Furchtbare der Welt ertragen. Am Ende ist er daran gestorben. Aber damit war es eben nicht vorbei. Weil er das ertragen hat, hat er Friede und Versöhnung möglich gemacht. Gott hat sich auf seine Seite gestellt. Gott hat sich damit auf unsere Seite gestellt, er ist bei uns.
Mhm. Diese Auslegung ist sicher theologisch richtig, aber macht das fröhlich? Ich sehe hier gerade niemanden lächeln. Theologische Wahrheiten per se, die machen noch nicht froh. Fröhlich macht nur das, was uns ganz konkret anspricht, mit dem, was wir sind und wonach wir uns sehnen. Den Kämmerer macht nicht die Lehre vom Gottesknecht bei Jesaja froh oder vom Sühneopfer Jesu. Sondern das, was der Text des Jesaja, was die Worte des Philippus für ihn ganz konkret bedeuten.
Dazu müssen wir den Mann aus Äthiopien ein bisschen besser kennenlernen. Er hat es ganz schön weit gebracht: Er ist ein Kämmerer, ein Mächtiger am Hof der Königin, ihr Schatzmeister. Erfolgreich ist er und reich. Er kann sich die weite Reise nach Jerusalem leisten und zwar in einem Privatwagen, und eine Schriftrolle kauft er auch noch. Die Lutherübersetzung verschleiert aber eine ganz entscheidende Information über ihn. Im griechischen Originaltext wird der Kämmerer als Eunuch bezeichnet und zwar gleich fünfmal. Wer am Hof der Königin von Äthiopien Karriere machen wollte, musste seine Zeugungsfähigkeit opfern. Es war für Herrscherin sicherer, sich mit Menschen zu umgeben, die keine Machtinteressen für die eigenen Nachkommen hatten. Unser Mann ist also verstümmelt worden, kastriert, vermutlich schon als Kind. Was für ein grausames Los. Wie schmerzhaft und wie demütigend. Er kann reich und mächtig werden, aber niemals Vater. Er kann eine Karriere vorweisen, aber Kinder UND Kult waren ihm verwehrt. Letzteres zumindest im Judentum, für das er sich ja offensichtlich interessiert, sonst wäre es nicht zum Tempel gereist und würde nicht die Heiligen Schriften studieren. In diesen Schriften steht aber: „Kein Entmannter oder Verschnittener soll in die Gemeinde des HERRN kommen.“ Vielleicht hat er das gerade auf seiner Reise erlebt: Dass er nicht dazugehören darf. Außen vorgelassen. Wie erniedrigend! Und dann liest er bei Jesaja: „In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen?“ Und Philippus, der erzählt ihm von einem, der sich selbst hat erniedrigen lassen, damit keiner mehr so niedrig ist, dass er außen vorbleiben muss. Das spricht ihn persönlich an, das öffnet seine innere Herzenstür, lässt ihn hoffen, dass er doch dazugehören kann. Und er macht die Probe aus Exempel: Darf ich wirklich dazugehören? Was hindert, dass ich getauft werde? Nichts hindert. Philippus tauft ihn. Kein Wunder, dass der Äthiopier fröhlich wieder auftaucht!
Ein Wunder allerdings, dass Philippus ihn tauft. Heute wäre das nicht so einfach. Heute sind wir eine institutionalisierte Kirche und für den Vollzug der Taufe gibt es natürlich Richtlinien. Z.B. dass bei Kindertaufe mindestens einer der beiden Eltern in der Kirche sein muss, ein Pate oder eine Patin evangelisch. Das macht ja auch Sinn: Wie sollen Eltern oder Pat:innen versprechen, ein Kind christlich zu erziehen, wenn sie selbst der Kirche den Rücken gekehrt haben? Das sind doch gute Hinderungsgründe, oder?
Auch Philippus hätte gute Hinderungsgründe gehabt. Denn der Äthiopier ist ja nicht mal Jude. Und in den Anfängen war die Jesus-Bewegung eine reine inner-jüdische Angelegenheit. Die Frage, wer alles dazugehören kann, war noch gar nicht geklärt in der jungen Gemeinde. Darüber wird später heftig diskutiert: Können Menschen, die nicht Juden sind, können Unbeschnittene überhaupt getauft werden? All das ist noch nicht entschieden und Philippus tauft erstmal einfach. Er klärt nicht vorher die Richtlinien, er stimmt sich nicht mit seinen Mitgläubigen ab. Er taucht einfach am Straßenrand auf, und dann taucht er mit dem Fremden ins Taufwasser ein und dann taucht er genauso wieder ab.
Heute nennt man so ein spontanes Auftauchen kirchlicher Mitarbeiter auf den Straßen Pop-Up-Church. Es ist ein Versuch unserer Kirche, weniger behördenhaft daherzukommen, weniger regulativ, sondern eben spontaner und offener, näher an den Menschen. Konkret sah das in Hamburg z.B. so aus, dass auf dem Jungfernstieg Pastor:innen im Talar standen und Vorbeigehenden Segen anboten. In dem Bericht, den ich darüber gesehen habe, sah das ehrlich gesagt nach einer ganz fröhlichen Angelegenheit aus.
Für uns kirchlich Geprägte ist das vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig. „Taufe to go“ – ist das ok oder macht sich da die frohe Botschaft zu billig? Stmoment, die Ritualagentur unseres Kirchenkreises, probiert es aus. Auf ihrer Homepage heißt es: „Du möchtest gerne spontan getauft werden? Dann bist du bei unserem „Goldmoment“ am 6. September in der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi genau richtig. Du kannst an diesem Tag
einfach vorbeikommen und musst vorher nichts tun. Vor Ort kannst du dich anmelden, lernst dein*e Pastor*in bei deinem Taufgespräch kennen, und wirst in einem geschützten Rahmen getauft.“ So schnell und unkompliziert kann es gehen. Was hindert, dass jemand getauft wird?
Das Ergebnis einer solchen Taufe ist dann vielleicht nicht ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinde (davon ist bei unserem Kämmerer übrigens auch nicht die Rede). Das Ergebnis ist vielleicht / hoffentlich, dass Menschen ihre Straße fröhlich ziehen.
Vor der Hauptkirche St. Jacobi jedenfalls, wo diese Spontan-Taufen gefeiert werden sollen, steht eine Bank, auf der steht: „Er zog aber seine Straße fröhlich.“ Die Bank steht unter den Pilgerwegweisern, denn der Heilige Jakob ist ja Schutzpatron der Pilger. Da passt unser Eunuch gut hin. Er ist ein Reisender, ein Sinnsuchender. Unterwegs mit seinen Verletzungen und mit der Sehnsucht, Heilung zu finden. So wie wir alle eigentlich. Wir suchen nach dem Beständigen, wenn unser Leben oder wenn die Welt aus den Fugen zu geraten scheint. Und vielleicht, schickt uns Gott ja auch einen Engel oder einen Philippus. Jemand der aufploppt in unserem Leben, der Zeit hat für unsere Fragen, der uns Türen öffnet, damit die frohe Botschaft auch uns ganz persönlich erreicht und die Pilgerreise unseres Lebens fröhlich wird. Unsere Kirche, sei sie nun spontan oder behördenhaft, sie hat mit Taufe und Abendmahl, mit dem Segen und den alten Worten Schätze zu bieten, die uns stärken können, damit auch wir unsere Straße fröhlich ziehen. Amen.