Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Auf, auf, mein Herz, mit Freuden

Auf, auf, mein Herz, mit Freuden

Predigt im Osterfrühgottesdienst
Pastorin

Andrea Busse

Ostersonntag, 20. April 2025

Predigt zum Osterlied von Paul Gerhardt "Auf, auf mein Herz mit Freuden"

Predit zum Osterlied „Auf, auf, mein Herz mit Freuden“ (1647)
Text: Paul Gerhardt; Melodie: Johann Crüger

Liebe Gemeinde,
noch ist es sehr früh am Morgen. Noch sitzen wir hier im Dunkeln oder zumindest im Schummrigen. Und vermutlich tun wir das emotional auch: Wir kommen gerade erst aus der Pas­sions­zeit, in der wir uns mit Leiden und Sterben be­schäf­tigt haben. Da geht es um Fragen von Verrat und Schuld, von Angst, Unrecht und Grausamkeit. Fragen, die wir nicht nur aus dem Leben Jesu kennen, sondern die ja auch heute bei uns präsent sind, die uns umtreiben im Privaten oder auch im Blick auf die Welt.

Und jetzt der emotionale Umschwung: „Auf, auf, mein Herz, mit Freuden“ – so beginnt das Osterlied von Paul Gerhardt. Diese Wochen – erst die Fastenzeit und dann das Osterfest –sind eine emotionale Achterbahnfahrt und heute, genau jetzt haben wir den Umkehrpunkt erreicht, wo es aus dem tiefsten Punkt den Wagen wieder nach oben reißt. Und Pauls Gerhardt will uns ganz wörtlich mitreißen. In der 6. Strophe reißet uns Christus durch den Tod und die Welt, Sünd und Not bis in den Himmel. Und das „Reißen“ schreibt sich mit scharfem „ß“, es ist keine gemütliche Osterreise, zu der wir eingeladen werden. Das ist Achterbahn pur. Ich weiß nicht, ob Sie so früh am Morgen schon darauf eingestellt sind. Und ich muss gestehen, ich fahre nicht gerne Achterbahn. Weder körperlich noch gefühlsmäßig. Mir fällt dieser emotionale Umschwung an Ostern immer schwer und ich kriege ihn nicht gut hin ohne diesen Gottesdienst am Morgen, wo ich den Umkehrpunkt hautnah erleben kann, wenn das Morgenlicht die Nacht vertreibt.

Auch die biblischen Geschichten sprechen nicht davon, dass auf Knopfdruck am Grab das Freudengeschrei einsetzte. Das älteste Evangelium erzählt von Furcht und Entsetzen der

Frauen. Wir brauchen ein bisschen Zeit, um da gefühlsmäßig hinterher zu kommen. Und Paul Gerhardt will uns dabei helfen. Er gibt uns mit seinem Osterlied einen Schubs, zugegeben einen ziemlich kräftigen.

„Auf, auf“ – so geht es los mit einer Terz, die den Kuckuck imitiert und die wir schon im Lichtruf: „Christus Licht – der Welt“ gehört haben. Kuck- kuck – Hal-lo – aufwachen. Es ist Ostern! So ruft uns Gerhardt zu dem, was er ein „Freuden­spiel“ nennt, und das führt er in seinen 8 Strophen (ursprünglich waren es noch mehr) mit opulenten Bildern für uns auf.

1) Auf, auf, mein Herz, mit Freuden nimm wahr, was heut geschieht;
wie kommt nach großem Leiden nun ein so großes Licht!
Mein Heiland war gelegt, da, wo man uns hinträgt,
wenn von uns unser Geist gen Himmel ist gereist.

2) Er war ins Grab gesenket, der Feind trieb groß Geschrei;
eh er’s vermeint und denket, ist Christus wieder frei
und ruft „Viktoria“, schwingt fröhlich hier und da
sein Fähnlein als ein Held, der Feld und Mut behält.

 

3) Das ist mir anzuschauen ein rechtes Freudenspiel;
nun soll mir nicht mehr grauen vor allem, was mir will
entnehmen meinen Mut zusamt dem edlen Gut,
so mir durch Jesus Christ aus Lieb erworben ist.

Ostern ist eigentlich unglaublich. Es ist mit dem Verstand nicht zu begreifen. Deswegen spricht die erste Strophe gleich das Herz an. Was kognitiv schwer nachvollziehbar ist, die Gefühls­welt kennt das durchaus: Nämlich dass Menschen von der Trauer zurück zur Freude finden. Nichts anderes erzählen die Oster­berichte: Sie schildern ja nicht, wie der tote Jesus die Augen aufschlägt, wie sein Atem und Puls zurückkommen, wie er sich langsam erhebt. Ostern erfahren wir „nur“ gespiegelt in den emotionalen Reakti­o­nen der Zeug:innen, und zwar in der ganzen Bandbreit: Er­schrecken, ungläubiges Staunen und dann eben Freude und Zuversicht. „Auf, auf, mein Herz, mit Freuden“ – Ostern ist ein Herz-Fest.

Und was geht mehr zu Herzen als eine fröhliche Melodie? Die hat Johann Crüger, ein Berliner Kantor und Gerhardts Freund, denn auch diesem Ostertext verpasst: ein italienischer Tanz–rhyth­mus, walzerartig im 6/4 Takt zu Beginn, drängt die Weise vorwärts – ein Auferstehungstanz, der uns einlädt mitzutanzen bei diesem Freudenspiel.

Und eine Art Schauspiel ist es wirklich, was Gerhardt für uns da auf die Bühne bringt: Da wird gekämpft und gesiegt, geschrien und gerufen, Christus jubelt Victoria und weil es damals noch kein Viktory-Zeichen (vormachen) gab, schwingt er die Sieges­fahne. Sie ist auf vielen alten Osterdarstellungen zu sehen: Die weiße Fahne mit dem roten Kreuz symbolisiert die Aufer­stehung. Wenn nachher mehr Licht durch unsere Kirchen­fenster kommt, können Sie die Fahne auch erkennen – oben im 2. Kirchenfenster von rechts. Dort hält das Osterlamm die Fahne hoch.

Die Metapher vom Kampf findet sich mehrfach im Lied: das Dunkle, die Höll und ihre Rotten, der Tod mit seiner Macht im Kampf gegen das Licht und den, der von sich sagt, ich bin das Licht.

4) Die Höll und ihre Rotten, die krümmen mir kein Haar;
der Sünden kann ich spotten, bleib allzeit ohn Gefahr.
Der Tod mit seiner Macht wird nichts bei mir geacht’;
er bleibt ein totes Bild, und wär er noch so wild.

5) Die Welt ist mir ein Lachen mit ihrem großen Zorn;
sie zürnt und kann nichts machen, all Arbeit ist verlorn.
Die Trübsal trübt mir nicht mein Herz und Angesicht;
das Unglück ist mein Glück, die Nacht mein Sonnenblick.

6) Ich hang und bleib auch hangen an Christus als ein Glied;
wo mein Haupt durch ist gangen, da nimmt er mich auch mit.
Er reißet durch den Tod, durch Welt, durch Sünd, durch Not,
er reißet durch die Höll; ich bin stets sein Gesell.

Uns ist diese Bildwelt vermutlich fremd. So würde ich Ostern nicht beschreiben. Aber das Lied ist 1647 entstanden, d.h. ein Jahr vor dem westfälischen Frieden, mit dem der 30-jährige Krieg endete. Die das damals zu Ostern sangen, haben jahr–zehntelanges Gemetzel hinter sich. Viele Menschen kennen gar nichts anderes als Kämpfen, Leiden und Sterben. Sterben nicht nur im Krieg, sondern auch an den Pestwellen, die es immer wieder gab. Gerhardt selbst hat seinen Vater verloren, als er 12 war, seine Mutter 2 Jahre später, ein Bruder stirbt an der Pest. Von fünf seiner Kinder überlebt nur eines die Eltern. Der „wilde Tod“, der in der 4. Strophe auftritt, ist allgegenwärtig. Das Leid, das Paul Gerhardt in den Blick nimmt, ist nicht nur das Leid Christi, sondern sein eigenes, das seiner Mitmenschen, das seiner ganzen Umwelt. „Die Welt zürnt“ so beschreibt er es in der 5. Strophe.
Vielleicht kann, vielleicht muss man das auch über unsere Zeit heute sagen. Viele erleben unsere Welt heute auch als bedroh­lich und bedroht.

Und dieser Bedrohung – die Gerhardt ja nun hautnah erlebt und erlitten hat – der lacht er ins Gesicht: „Die Welt ist mir ein Lachen“, dichtet er und es folgen paradoxe Formulierungen: Trübsal trübt nicht, das Unglück ist mein Glück, die Nacht mein Sonnenlicht.

Ostern dreht alles um, so die Botschaft des Liedes, Ostern macht aus der Fahrt in den Abgrund eine Fahrt in den Himmel. Das Freudenspiel ist schon aufgeführt, das gute Ende schwingt in der Siegesfahne von Christus vor unseren Augen.

Für Paul Gerhardt ist die Geschichte vom Leiden, Sterben und Aufer­stehen Jesu keine Erzählung aus ferner Vergangenheit, son­dern sie betrifft unser Leben, meines und Ihres. Wir hängen alle mit drin, wir hängen mit dran: „Ich hang und bleib auch hangen an Christus als ein Glied“. Wir sind keine unbeteiligten Zuschauer und Zuschauerinnen, wir spielen mit. Das macht schon der Auftakt klar: „Auf, auf mein Herz!“. Das „Ich“, das „Wir“ ist allgegen­wärtig in Gerhardts Stro­phen. „Mein Heiland war gelegt, da wo man uns hinträgt.“ Das, was da geschieht, hat ganz essentiell mit meinem, mit Ihrem Leben und Sterben zu tun. Gerhardt geht es nicht um das Osterereignis an sich, sondern das, was es für Sie und mich bedeutet. Und er malt das aus für die Menschen seiner Zeit. Sie sind bedroht – aber sie werden siegen. Das Leben ist eine Achterbahnfahrt, aber die endet nicht im Abgrund. Und weil wir das wissen, können wir manches gelassener sehen, können wir uns manche Sorgen und Ängste besser vom Leib halten, manches Scheitern mit Humor nehmen. Es ist ein Mutmachlied, dass wir – egal was uns begegnet in dieser zürnenden Welt – keine Angst haben müssen, darin unterzugehen. Das, was da aufgeführt wird, ist keine Tragödie, auch wenn manche Szene so anmuten mag, es ist ein Freudenspiel. Eines, das uns direkt in den Himmel führt.

7) Er dringt zum Saal der Ehren, ich folg ihm immer nach
und darf mich gar nicht kehren an einzig Ungemach.
Es tobe, was da kann, mein Haupt nimmt sich mein an,
mein Heiland ist mein Schild, der alles Toben stillt.

8) Er bringt mich an die Pforten, die in den Himmel führt,
daran mit güldnen Worten der Reim gelesen wird:
Wer dort wird mit verhöhnt, wird hier auch mit gekrönt;
wer dort mit sterben geht, wird hier auch mit erhöht.

Viele Gesangbuchlieder landen dort, wo uns die beiden letzten Strophen hinführen: An der Himmelspforte oder im Jenseits. Man könnte meinen: Weltflucht ist der einzige Ausweg aus dieser zürnenden Welt, erst recht vor der Kulisse des 30-jährigen Krieges. Aber das wird der Frömmigkeit eines Paul Gerhardt nicht gerecht. Diese „Himmelsstrophen“ nenne ich sie jetzt mal, heben hervor, dass der christliche Glaube eine Hoffnung in sich trägt, dass das, was hier bruchstückhaft und unbefriedigend bleibt, später vollendet und ins rechte Licht gerückt wird. Dieses Leben hier ist das Vorletzte und nicht das Letzte. Es ist ein Leben mit Höhen und Tiefen, manchmal muss man sich durch­kämpfen, manchmal hat man das Gefühl, vom Schicksal hin- und hergerissen zu werden, Achterbahnfahrt eben. Aber wir sind diesem Auf und Ab nicht willkürlich ausge­liefert. Da hat jemand das Steuer in der Hand. Der, der das Toben stillt, wie es die 7. Strophe besingt. Dieser Ausblick auf das Jenseits, kann dem Lebensgefühl im Hier und Jetzt eine andere Wendung geben. Gerhardt will gerade mit seinem Hölle- und Himmel-Szenario uns Mut machen für das tägliche Auf­stehen im Leben:

Wenn Menschen sich dem Leben anver­trauen, Ängste über­winden, Drohungen keinen Raum gehen, Hoffnungsvolles sehen, andere darauf verweisen, dann können wir die Sieges­fahne des Lebens sehen. Den Sieg des Lebens beschreibt Gerhardt als das große Licht, das kommt. Es kommt so un­wider­ruflich wie heute morgen das Licht kommt. Sie werden alle in einen hellen Morgen hinausgehen. Das ist Ostern.

Vielleicht brauchen auch wir einen Schubser, ein „auf- auf“, um uns freuen zu können. „Auf, auf – mein Herz freue dich“, denn wir leben im Horizont von Leben, das stärker ist als alles, was es bedroht. Also freut euch mit mir darauf, in das Licht des Tages hinauszugehen, freut euch an diesem Fest. Lasst uns Ostern feiern. Amen.