Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Es geht anders

Es geht anders

Predigt am 6. April
Gottesdienst 1 zu Dietrich Bonhoeffer
Pastorin

Dr. Claudia Tietz

Sonntag Judika, 6. April 2025

Predigt zu Dietrich Bonhoeffers Glaubensbekenntnis

Glaubensbekenntnis von Dietrich Bonhoeffer

Ich glaube,
dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen,
die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.

Ich glaube,
dass Gott uns in jeder Notlage
soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im Voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben
müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.

Ich glaube,
dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind,
und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden,
als mit unseren vermeintlichen Guttaten.

Ich glaube,
dass Gott kein zeitloses Fatum ist,
sondern dass er auf aufrichtige Gebete
und verantwortliche Taten wartet und antwortet.

(DBW 8, S. 30f)

 

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede von dem,
der da ist und der da war und der da kommt!

„Ich glaube“, schrieb Dietrich Bonhoeffer Anfang 1943 in seiner engen, dunklen Zelle im Untersuchungsgefängnis der Wehrmacht in Berlin-Tegel. Trotz Rede-, Schreib- und Veröffentlichungsverbot schrieb er. Kritzelte auf Zettel, streute Lieder und Texte in Briefe an seine Familie ein, schmuggelte Nachrichten aus dem Gefängnis.

„Ich glaube“, schreibt Bonhoeffer und benennt damit in den ersten zwei Worten das Fundament seines Lebens. Das, was ihn als Person ausmacht. Nicht: „Ego cogito ergo sum“ – „Ich denke, also bin.“ Nicht: „Ich atme, also lebe ich.“ Sondern: „Ich glaube.“

Das ist wie ein Haus oder eine Heimat, in der Bonhoeffer lebt, auch im Gefängnis. Ein Haus, gebaut aus dem, was er in seinem großbürgerlichen Elternhaus und im Theologiestudium in Tübingen, Rom und Berlin gelernt und im Austausch mit namhaften Theologen seiner Zeit – mit Karl Barth, Reinhold Seeberg und George Bell – weiterentwickelt hat. Gebaut aus den beruflichen Erfahrungen, die er als Jugendsekretär des ökumenischen Weltbundes, als Leiter des illegalen Predigerseminars in Finkenwalde, als Gemeindepfarrer in Forest Hill bei London und als „Geheimagent“ der Abwehr gemacht hatte. Gebaut aus vielen Begegnungen mit US-amerikanischen, britischen und deutschen Christen auf der Suche nach Gott.

Bonhoeffers eigenes inneres Zuhause, über das sein Glaubensbekenntnis uns Auskunft gibt. Durch das wir ein Gespür für die Dynamik, die Fragen und Hoffnungen bekommen, die Bonhoeffer in den schwersten Jahren seines kurzen Lebens getragen haben.

So wie ja wahrscheinlich jede und jeder von uns in seinem oder ihrem eigenen Glaubenshaus lebt, mehr oder weniger bewusst. Das gebaut ist aus unseren Erfahrungen, Denk- und Suchbewegungen. Aus Gebeten, die wir früh gelernt, Bildern oder Kirchen, die wir gesehen, Menschen, die wir kennengelernt und die uns inspiriert haben.

Und damit verbunden die interessante Frage, welche Gestalt wir unserem Glauben geben würden? Mit welchen Farben, Strichen oder Stimmungen würden wir ihn malen? Welche Szenen oder Worte gehörten dazu?

Für die Jünger, von denen wir heute im Evangelium gehört haben, geht es offenbar stark um die Nähe zu Jesus. Die Brüder Johannes und Jakobus wollen wie auf der Erde so auch im Himmel ganz nah bei ihrem Freund und Vorbild Jesus sein. Sie denken: Was er kann, das wollen wir auch. Wie er in Verbindung zu Gott steht, das wollen wir auch. Wenn wir ihm auf seinem Weg genau folgen, dann werden auch wir Herrlichkeit und Gottesnähe erleben!

Starke Motivationen und große Hoffnungen – so höre ich sie. Und auch mit einem klaren Gespür für die feinen Unterschiede: Manche sind eben näher an Jesus dran als andere. Es ist gut, sich auch im Himmel die besten Plätze zu sichern.

Andere würden ihren Glauben vielleicht eher als ein Gefühl von Geborgenheit beschreiben. Ein unsichtbarer Schutz, womöglich durch Engel vermittelt, wie wir sie hier in der Kirche finden. Behütet durch Gottes liebevollen Blick auf uns, durch seine Ohren, die aufmerksam auf uns hören, und seine Hände, die uns leiten.

Wie eine gute Mutter, der wir vertrauen. Die ihren Mantel um uns breitet, uns beschützt und versorgt.

Wenn ich Dietrich Bonhoeffer richtig verstehe, dann beschreibt er seinen Glauben in unserem Text heute vor allem als eine dynamische wechselseitige Beziehung. Zwischen Gott und den Menschen, zwischen Bonhoeffer und Gott geht es in seinem Credo immer hin und her.

„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.“ Auch in seiner, in der NS-Zeit, die viele äußerlich oder innerlich emigrieren, die viele verzweifeln ließ, Bonhoeffers Glaube, dass Gott Gutes entstehen lassen kann und will. – Auch in unserer Zeit, füge ich hinzu, die ebenfalls viele in Depressionen, in Angst oder auch in Gleichgültigkeit treibt.

Aber damit Gott Neues und Gutes schaffen kann, braucht er, so Bonhoeffer, „Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.“ Menschen, die nicht an der Dunkelheit ihrer Tage verzweifeln, sich zurückziehen oder ihre Kraft in der berechtigten Ablehnung und Kritik ihrer Zeit aufbrauchen. Sondern „sich alle Dinge zum Besten dienen lassen“.

Das ist eine sehr schöne Formulierung, finde ich, die Bonhoeffer aus der Bibel hat (vgl. Röm 8, 28)! Die Mut macht hinzusehen, anzunehmen und zu nutzen, welche Mittel und Wege uns dienen können, damit Gott Gutes entstehen lassen kann.

Ich denke heute an eine nur kleine Begebenheit von Freitagabend, als wir hier mit 15 Erwachsenen zur Kirchenübernachtung zusammenkamen. Menschen, die sich vorher nicht oder nur wenig kannten. Ein Wagnis, das auch Angst machte! Und vielleicht gerade deshalb brachten alle köstliche Speisen für ein wunderbares Abendessen mit. Alle hatten sich – ohne Aufforderung – zuhause gut überlegt und viel Mühe gemacht, etwas besonders Leckeres oder schön Angerichtetes mitzubringen – ohne genau zu wissen, für wen.

Mich hat dies bewegt: die Bereitschaft, für unbekannte Menschen in einem unvorhersehbaren Setting so gutes Essen vorzubereiten! Und so das Abendessen „zum Besten“ zu wenden.

„Ich glaube,“ schreibt Bonhoeffer im zweiten Absatz seines Credo, „dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.“ Wahrscheinlich sind dies für viele die wichtigsten Sätze in seinem Text.

Ich selbst habe sie schon oft anderen zugesprochen. Menschen, die aufgrund einer schlimmen Diagnose große Angst hatten. Oder die an ihrer elenden familiären Situation verzweifelten. „Gott gibt uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft, wie wir brauchen.“ So viel, dass wir durchhalten und wir selbst bleiben können. Das möchten oder können wir im Voraus oft nicht glauben. Wir ahnen nicht, welche Kräfte – ob Ausdauer, Liebe, Mut, körperliche oder seelische Kraft – Gott in uns freisetzen kann, bis es soweit ist.

Aber es geschieht. Menschen können schwere Krankheiten und belastende Therapien überstehen. Eltern und Kinder ohne Kontakt können wieder Wege zueinander finden, zerstrittene Paare Wege aus dem Rosenkrieg hinaus. Gott kann uns Kraft zuwachsen lassen – und dabei hilft es oft am meisten, unsere großen Ängste loszulassen.

„Ich glaube,“ schreibt Bonhoeffer weiter, „dass Gott kein zeitloses Schicksal (oder Fatum) ist“, das irgendwie von Ferne die Geschicke der Welt lenkt, den Masterplan hat und unser Leben schicksalhaft vorherbestimmt. So einen überzeitlichen, unpersönlichen Gott lehnt Bonhoeffer ab.

Es widerspricht dem, was er von Gott erwartet, und auch seinen Erfahrungen mit Gott. Denn er macht ja unter den härtesten Bedingungen von Rede- und Schreibverbot, von Haft und Kontaktsperre die Erfahrung, dass Gott ihm Widerstandskraft gibt. Dass er trotz aller Beschränkungen, Einsamkeit, auch Angst und Traurigkeit, festhalten kann am Leben. An dem, was er denken, fühlen, träumen und heimlich schreiben kann. An seiner Liebe zu seinen Nächsten. An der Verbundenheit mit Freunden und Gleichgesinnten. Dass er er selbst bleibt – in der Nähe und im Gegenüber zu Gott.

Das ist sicher eine der größten Erfahrungen, die man im Glauben machen kann: unabhängig von den äußeren Umständen, „in jeder Notlage“ lebendig, aufrecht und verantwortlich bleiben zu können – aus der Beziehung zu Gott heraus. Der auf unsere „aufrichtigen Gebete“ hört und auf unsere „verantwortlichen Taten wartet“ und der uns „antwortet“ – indem er uns Kraft schenkt.

Wie ein Glaubenshaus voller Leben und Beziehung – so empfinde ich Bonhoeffers Credo. Ein Gespräch, das hin und hergeht, das nach Gottes Rolle in unserem Leben, und nach unserer Beziehung zu Gott fragt. Im Vertrauen, dass wir in allen Lagen unseres Lebens und unserer Zeit geborgen sind von Gottes guten Mächten und getrost erwarten dürfen, was kommen mag. Amen.