Es gut haben
Erntedankfest, 6. Oktober 2024
Predigt zu 1. Timotheus 4, 4-5
Gnade sei mit euch und Friede von Gott!
Liebe Gemeinde aus nah und fern!
In der letzten Woche stand ich in St. Georg an der Fußgängerampel, neben mir warteten zwei junge Männer. „Es geht ums Teilen, Mann!“, hörte ich den Einen laut zum Anderen sagen. „Wenn du reich bist, musst du abgeben! Das ist so.“ Der Schwarze ermahnte seinen weißen Freund: „Es geht ums Teilen, Mann!“ Dieser Satz hat mich in der Woche vor dem Erntedankfest begleitet.
Und eine zweite Geschichte begleitet mich, seitdem ich Mitte September in Südfrankreich im Kloster war. Eine der Schwestern in der kleinen Gemeinschaft von Karmelitinnen, die das Kloster bewohnt und die Stundengebete feiert, ist erst im August aus Madagaskar dazu gekommen. Nach der Messe am Sonntagvormittag brach es aus ihr heraus:
„So wenige Leute!“ (Ich fand die Messe mit etwa 70 Teilnehmenden gar nicht so schlecht besucht.) „Und wo sind die Kinder? Bei uns sind die Kirchen voll mit Kindern und Jugendlichen. Und die Leute hier freuen sich gar nicht. Immer ernst und traurig … Warum sind die Menschen hier nicht fröhlich? Sie haben doch alles!“
Zwei Stereotype, könnte man sagen: Ein Schwarzer, der seinen weißen Freund ans Teilen erinnert. Und eine Madegassin, die die Jugend und die Fröhlichkeit der Menschen in ihrem armen Heimatland vermisst.
Zwei Stereotype, die dennoch echt und wahr sind. Die wir vielleicht schon selbst so erlebt haben, wenn wir in Ländern des globalen Südens zu Gast waren. So wie ihr beide, Heidrun und Theo, von der Herzlichkeit, dem Singen, Lachen und den vielen jungen Menschen erzählt, wenn ihr wieder einmal das Projekt SEKEM in Ägypten besucht habt. So wie Helmy Abouleish uns ans Teilen erinnert, an unseren Reichtum, der uns doch nicht allein gehört.
Miteinander zu teilen, im Kleinen wie im Großen, geschwisterlich mit Brot und Reis, Wasser und Land umzugehen – das ist die eine Hälfte der Botschaft, um die es beim Erntedankfest geht. Uns zu vergegenwärtigen, dass Gottes Schöpfung, Gottes gute Gaben nicht einzelnen, nicht den Reichen, nicht den Finanz-Experten, nicht den Satten allein gehören. Dass Gottes Schöpfung vielmehr allen Geschöpfen Lebensraum, Lebensmittel und Lebenskraft schenken soll.
Das Evangelium nach Markus, die Geschichte von der Speisung der großen Menge, die drei Tage lang bei Jesus ausharrt und ihm zuhört, weil sie hungrig ist nach Lebenssinn und Lebenskraft, erzählt auf einer Ebene vom Teilen.
Alle können satt werden, wo Brote und Fische, wo Grundnahrungsmittel und Energieressourcen geteilt werden. – Wie viele Menschen satt werden können, wenn Land anders geteilt, wenn Böden anders bearbeitet, wenn andere Pflanzen angebaut werden – davon hat Helmy Abouleish eben ganz konkret berichtet.
Die andere Hälfte der biblischen Botschaft rund um das Erntedankfest ist die Aufforderung zu Lob und Dank, zur Freude. Der Predigttext heute, bloß zwei Verse aus dem 1. Timotheusbrief im 4. Kapitel, formuliert das so:
Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut.
Und nichts ist verwerflich, was mit Dank angenommen wird.
Denn es wird heilig durch Gottes Wort und durch unser Gebet.
(1. Tim 4, 4-5)
„Nichts ist verwerflich, nichts ist schlecht oder umsonst, was mit Dank angenommen wird.“ Es kann wenig sein, es mag nicht ganz das Richtige sein, es mag einseitig sein oder nicht so gut schmecken …
So wie viele Menschen auf der Welt zu wenig oder immer das Gleiche zu essen haben. So wie viele Menschen unter uns unzufrieden sind mit dem, was sie haben oder erleben, wie mit ihnen umgegangen oder was ihnen zugemutet wird … So wie viele tatsächlich zu kurz kommen und andere das Gefühl haben zu kurz zu kommen, weil vielleicht auch ihnen Lebensnotwendiges fehlt …
„Was mit Dank und Lob angenommen wird, ist gut.“ Oder es wird gut durch unser Danken, weil sich dadurch unser Blick verändert. Weil sich meine Gefühle und Einstellungen verändern können, wenn ich danke – leise oder laut, anderen Menschen oder Gott.
Die Familien mit den vielen Kindern in Madagaskar, von denen die Schwester im Kloster erzählte, die vor Tagesanbruch aufbrechen, um zwei, drei Stunden zu Fuß zur Kirche zu laufen, die feiern und fröhlich sind, haben das vielleicht begriffen. Wie wichtig es ist zu singen, zu loben und zu danken und zu beten – weil es unser Herz und unsere Haltung verändert. Weil es uns stark macht.
Beides – das Teilen und das Danken oder Freuen – ruft uns in Gemeinschaft. Im Teilen wird uns unsere Geschwisterlichkeit bewusst, und im Dank wird uns unsere Beziehung zu Gott bewusst.
Deshalb ist es schön, dass ihr beide heute hier seid, Konstanze und Helmy, und vielleicht auch andere Gäste, die wir noch nicht entdeckt haben! Dass wir über unsere Gemeinde und unsere Stadt hinaus hier Gemeinschaft erfahren dürfen. Deshalb ist es schön, dass wir heute Abendmahl feiern! Dass wir uns in die große christliche Gemeinschaft weltweit stellen.
Deren Zentrum nach unserem Glauben Jesus Christus ist, Gottes menschliches Antlitz auf der Erde. Der uns als unser Bruder zuruft: „Es geht ums Teilen, Mann! Oder: Frau!“ und uns an den Dank und die Freude erinnert. Der uns in die Gemeinschaft miteinander und mit Gott ruft, dem Schöpfer und Erhalter unseres Lebens.
Davon spricht die Speisungsgeschichte im Markus-Evangelium auf einer zweiten, subtileren Ebene. Bei genauem Hinsehen ist hier das Austeilen der Brote und Fische wie eine Abendmahlsgeschichte gestaltet: „Jesus nahm die sieben Brote, dankte, brach sie und gab sie seinen Jüngern, dass sie sie austeilten“. Und auch über die Fische, heißt es, „sprach er den Segen.“ (Mk 8, 6-7)
Gottes Segen kommt zu uns im täglichen Brot, in den Lebensmitteln, die wir brauchen und genießen, in Sonne und Licht, im Regen, in den Farben und der Schönheit von Gottes Schöpfung. Und Gottes Segen kommt zu uns auch in Jesu Worten, die uns nähren. Die unseren Hunger stillen nach Lebenssinn und Gemeinschaft, nach Liebe und Hoffnung.
Unsere Antwort auf Gottes Segen, durch den er unser Leben erhält, ist unser Dank. Im Annehmen und Danken, im Freuen und Loben bleiben wir in Beziehung zu Gott, als Geschöpfe in Beziehung zu unserem Schöpfer.
Dankbar sein müssen, müssen wir mitnichten! Aber dankbar sein können, tut unserem Leben gut. Wer danken kann, fühlt sich beschenkt und reich. Wer Dankbarkeit empfindet, fühlt sich nicht klein oder nicht gesehen, nicht als Opfer. Wer etwas zu geben hat und geben kann – und sei es Dank! – handelt selbstständig und aufrecht.
Wenn wir uns beschenkt und dankbar wissen, dann ändert sich nicht automatisch unsere Lage, aber wir sehen sie anders. Die Freude kann uns zum Grundton des Lebens werden, die Großzügigkeit zur gewohnten Geste und das Lob Gottes zu unserem Lieblingslied.
Darum lasst uns Gott von Herzen Dank sagen, an diesem Erntedanktag und an jedem Morgen neu. Und uns freuen, dass wir begnadet und beauftragt sind, zu teilen und Gemeinschaft zu halten, wie Jesus es uns vorgelebt hat, und das Wunder geschah: Alle wurden satt.
„Lobet und preiset ihr Völker, den HERRN“, wie es in einem bekannten Kanon heißt, „freuet euch seiner und dienet ihm gern!“ Amen.