Predigttext: Johannes 14, 15–19. 23–27
15 Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. 16 Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: 17 den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. 18 Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. 19 Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.
23 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. 24 Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat. 25 Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin. 26 Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
27 Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
Predigt
Gnade sei mit euch und Friede von Gott!
„Pfingsten, das liebliche Fest war gekommen“, heißt es in Goethes „Reineke Fuchs“, „es grünten und blühten Feld und Wald“.
„Das liebliche Fest“, zu dem manche Ausdrücke gehören, die einmal für fest etablierte Bräuche standen: der Pfingstochse, das Pfingstbier, der Pfingst- oder Maibaum … Pfingsten – das Fest der ersten Sommerfreuden, dem Ansegeln oder Angrillen, Radtouren oder dem ersten Bad in der Ostsee …
Das alles wird traditionell mit dem Fest des Heiligen Geistes verbunden, das irgendwie für gute Laune, frische Luft und Lachen steht, für Geselligkeit und Gemeinschaft. Und etwas davon bringt auch die Pfingsterzählung aus der Apostelgeschichte zum Ausdruck, wenn sie von Wind und Feuerflammen, einer großen Gemeinschaft und einem Tauffest spricht.
Wenn ich aber in Gedanken die letzten Wochen durchgehe, meine persönlichen und beruflichen Erlebnisse, wenn ich darin suche nach Spuren des Heiligen Geistes, dann kommen mir – abgesehen vom Aufstieg des HSV und der großen Feier auf dem Rathausmarkt – gar nicht solche entflammten, begeisterten Bilder in den Sinn.
Ich denke zum Beispiel an ein Gespräch mit Freundinnen am letzten Wochenende, das mir nachging. Eine erzählte, sie würde jetzt mit dem E-Bike zur Arbeit fahren und im Urlaub weitestgehend auf Flugreisen verzichten. Selbst nach London käme man gut mit dem Zug! Und die andere antwortete, indem sie auf die bereits eingetretenen Klimaveränderungen verwies: die Waldbrände, Dürren und Überschwemmungen, der gestiegene Meeresspiegel, unter dem schon jetzt die Länder litten, die selbst am wenigsten zum Klimawandel beigetragen hätten wie Somalia, Pakistan oder Haiti. „Es bringt gar nichts!“, meinte sie. „Was wir hier tun und lassen, ist völlig egal.“
Ich denke an ein anderes Gespräch über die Wahlen in Polen. Die Enttäuschung: Noch ein Nationalist in Europa, noch ein Vertreter der neuen Hypermännlichkeit, die körperliche Stärke und Aggressivität betont. Stumpfe Parolen und nachgewiesene Lügen oder Straftaten scheinen Menschen heutzutage nicht davon abzuhalten, vermeintlich starke Männer zu wählen.
Ich denke an die Begegnung mit einer älteren Dame auf der Straße, die nicht fassen konnte, wie die Hausverwaltung mit ihr als Mieterin umgeht: Telefonisch war wochenlang niemand zu erreichen, und als sie dann endlich eine Mitarbeiterin erreichte, wäre ihr auf sehr unangenehme Weise klar gemacht worden, dass sie nun gar nichts zu melden hätte.
Gespräche und Begegnungen hier im Stadtteil mit aufgeschlossenen, interessierten – man könnte sagen: geistreichen – Menschen, die geradezu entgeistert sind über die Welt, in der wir im Kleinen und im Großen leben. Gespräche, die ins Verstummen führen, Erfahrungen, die enttäuschen und deprimieren. Immer wieder bei vielen das Gefühl: Diese Welt, diese Zeit ist von allen guten Geistern verlassen.
Gottes Wirken durch den Heiligen Geist, wie er uns in der Pfingstgeschichte verheißen ist, können viele von uns zur Zeit kaum spüren.
Vielleicht darum habe ich den Predigttext zu Pfingsten dieses Jahr sehr aufmerksam gelesen. Mit der Frage nach Gottes gutem Geist, nach dem Heiligen Geist, durch den Gott versprochen hat, in der Welt zu wirken.
Woran können wir ihn erkennen? Wann, wo, wie soll er wirken?
In den Abschiedsreden im Johannes-Evangelium, aus denen der Predigttext heute stammt, versucht Jesus vor seinem Tod, den Jüngerinnen und Jüngern zu erklären, was passieren wird, wenn er durch Tod, Auferstehung und Himmelfahrt wieder zu seinem Vater in den Himmel zurückkehrt. Er wird Gott bitten, dass er seinen Heiligen Geist auf die Erde sendet, wie einen Stellvertreter. Und er charakterisiert diese Geistkraft mit zwei Begriffen: als „Tröster“ oder Beistand – und als „Geist der Wahrheit“.
Ein Tröstergeist – Trost für die trauernden Jünger damals, die sich ein Leben ohne ihren Freund und Meister nicht vorstellen mochten, die alles auf ihn gesetzt hatten, ihre Hoffnungen, ihre Zukunftsperspektiven, ihre ganze Lebensweise.
Trost, den sie damals und den wir heute brauchen, in unserem persönlichen Leben, wenn es um unsere eigene Verletzlichkeit oder Begrenztheit geht, um Streit oder Abschiede, die uns treffen. Trost, den wir in gesellschaftlichen Umbrüchen und Krisen brauchen, wenn wir uns überfordert oder überflüssig fühlen, unsicher, wohin es gehen wird und was wir dazu beitragen können.
Jesus beschreibt den Heiligen Geist als einen tröstenden Beistand. Als eine Macht, in der Gott uns hält und tröstet, „wie einen eine Mutter tröstet“ (Jes 66, 13) oder „wie ein treuer Freund“ (Sir 6, 16).
Ja, wie tröstet Gott uns? Wie tröstet er euch? Wodurch fühlt ihr euch getröstet?
Vielleicht durch vertraute Menschen oder vertraute Worte. Vielleicht durch die Schönheit der Schöpfung, durch Pfingstrosen, Schwertlilien und Jasmin. Vielleicht durch Paare, die heiraten, Kinder, die geboren werden, Feste des Lebens, die wir feiern. Vielleicht durch die Musik.
Vielleicht lassen wir uns auch trösten durch die Visionen der Jungen und die Träume der Alten, von denen in der Apostelgeschichte die Rede ist (Apg 2, 17). Junge Erwachsene, die ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr machen; Jugendliche, die bei den Pfadfindern oder in Sportvereinen Kinder fördern; Jüngere, die an der Vision eines ökologischen Gleichgewichts festhalten.
Und genauso wie die Visionen der Jungen brauchen wir die Träume der Alten! Die Träume vom Frieden für die Kinder und Enkel; das Engagement der Älteren, die Deutschunterricht geben, vorlesen oder Geld spenden; die Omas gegen Rechts und die Opas im NABU.
Welch ein Trost – die Visionen der Jungen und die Träume der Alten!
Neben dem Trost, dem Tröstergeist spricht Jesus vom „Geist der Wahrheit“. Gottes Kraft, die uns hilft, die Wahrheit zu erkennen und zu ertragen. Unbequeme Wahrheiten vielleicht im Blick auf uns selbst oder unsere Familien. Wahrheiten über das, was zerrissen und unversöhnt ist. Wahrheiten über die Verteilung der Güter und Ressourcen, über unseren Umgang mit anderen Menschen und mit der Natur.
Der Geist der Wahrheit, der uns zu Selbsterkenntnis und Welterkenntnis leitet und vor allem – so das Johannes-Evangelium – zu Gotteserkenntnis.
Es berührt mich in unseren Zeiten, dass Jesus den Heiligen Geist in dieser doppelten Ausrichtung beschreibt: als Trost und Wahrheit. Denn ohne Trost und ohne die Anerkennung von Wahrheit wird es keine Veränderung zum Guten, keine guten Entwicklungen geben.
Wir wissen ja, wie wir selbst oder andere, die aus unterschiedlichen Gründen traurig, gekränkt oder verletzt sind, zuerst Mitgefühl und Trost brauchen, das Gefühl, in ihrem Schmerz wirklich gesehen und ernstgenommen zu werden, bevor sie sich für Neues öffnen können. In Abschieden oder Enttäuschungen brauchen wir Trost, bevor wir neue Perspektiven einnehmen, neue Schritte gehen, neue Beziehungen knüpfen können. Das gilt für manche, die sich in unserer Gesellschaft abgehängt fühlen, ebenso wie für die, die ihre Heimat verlassen mussten oder die ihr Leben unter schwierigsten Umständen zu meistern versuchen.
Trost brauchen wir, um Kraft zu schöpfen, Freude und Nähe zu empfinden, um Lust zu haben, weiterzumachen, weiterzuleben.
Und zugleich darf das, was uns tröstet, nicht die Wahrheit verdecken oder verleugnen. Ist es wichtig, Wahrheit, Realität anzuerkennen – so unangenehm und schwer erträglich sie manchmal sein kann.
Gottes Heiliger Geist – so verstehe ich Jesu Worte – hält uns lebendig in unserer Welt und in unserer Zeit. Durch das, was uns tröstet und ermutigt, durch die Menschen, die uns halten und Geborgenheit schenken. Und auch durch die Wahrheit, die uns befreit von Lügen, Manipulationen und Selbsttäuschungen, die uns frei macht für wichtige Veränderungen.
In diesem Sinne gleicht das Pfingstevangelium in diesem Jahr vielleicht weniger Feuerflammen und Begeisterungsstürmen als den zarten Tönen, dem leisen Wehen, dem frischen Wind und den alltäglichen Wirkungen von Gottes Geistkraft.
Weniger eine prächtige, leuchtende Pfingstrose als ein gewöhnlicher Löwenzahn mit Graswurzelkraft. Leuchtend gelb ist eine Löwenzahnwiese bis sie verblüht und die Blüten sich zurückziehen. Und dann dauert es nicht lange und es entstehen Pusteblumen, fast durchsichtige, kleine graue Wolken, zarte Federbälle. Ein Lufthauch, ein Atemstoß und die Samen fliegen wie kleine Fallschirme durch die Luft, zart und beharrlich. Und das Leben, das Wachsen und Blühen geht weiter!
„Frieden lasse ich euch“, sagt Jesus am Schluss seiner Rede, „meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ (Joh 14, 27)
So schenke Gott uns Trost und Wahrheit und seinen Geist des Friedens! Amen.