Himmel, Erde, Luft & Meer
Gottesdienst zur Ausstellungseröffnung
Bibelttext:
Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. Und wer diese meine Rede, meine Bergpredigt, hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß. (Matthäus 7, 24-27)
Impuls zu dem Bild „Blautöne“ – von Prädikant Wolfgang Gutzeit
Liebe Gemeinde,
das Beste kommt zum Schluss. Sie kennen diesen Spruch. Der Schlusspunkt der sogenannten Bergpredigt, der wichtigsten Rede Jesu, in der er deutlich macht, was Christsein ausmacht, hat es denn auch in sich. Ich habe ihn eben aus dem Matthäusevangelium gelesen. Auf diese Bibelstelle geht die Redewendung „Auf Sand gebaut haben“ zurück. Es bedeutet: Auf etwas vertraut zu haben, das in vielerlei Hinsicht unsicher ist. Wer würde schon auf Sand bauen, wenn es um die eigene Existenz geht? Schauen Sie doch bitte einmal auf das Bild „Blautöne“, das ich auf Graswarder vor Heiligenhafen fotografiert habe. Hier wird der Bibeltext ganz lebendig, ganz anfassbar.
Auf der Halbinsel in der Ostsee stehen 15 Häuser, meist reetgedeckt. Anfangs waren manche von ihnen nur notdürftig gegen Wind und Wellen geschützt, man könnte sagen, auf Sand gebaut. Die immer rauer werdende See, Hochwasser, die die Küste besonders hart getroffen haben, erforderten bald Maßnahmen zum Küstenschutz und zur Sicherung der Häuser. Zahlreiche Absicherungen der Häuser wurden nötig, meist wurde festes Material, Beton und Fels dafür verwendet. Sie können auf dem Foto erkennen, dass das blaue Haus – wie auch andere auf Graswarder – inzwischen nicht mehr auf Sand, sondern auf Fels gebaut sind.
Jesus richtet den Blick auf die Entscheidung, die beim Hausbau getroffen wird. Beide Häusen sind Platzregen, Überschwemmungen und Sturm ausgesetzt. Situationen, in denen sich ein Bauwerk bewähren muss. Mit Blick auf unser Lebenshaus: Auch das Leben, auch wir sind bedroht durch Stürme, Krisen, Krankheiten, Schicksalsschläge. Auch uns kann das Wasser bis zum Hals stehen, es können Stürme in unserem Leben toben, der sichere Boden wanken. Was gibt uns dann Halt?
Was ist denn nun das tragfähige, stabile Fundament, das uns Standfestigkeit und Halt geben kann? Führen wir uns nochmal die Schlussworte Jesu vor Augen: Wer seinen Worten glaubt und danach handelt, ist klug und baut auf ein stabiles Fundament. Gedankenlos ist, wer die Rede von Jesus hört und nicht tut, nicht danach handelt.
Sand und Fels: Ein Bild von Jesus. Vertrauen wir nicht auch oft auf die eigene Kraft und eigene Werke, meinen wir nicht alles im Griff zu haben? Trotz des scheinbar unaufhaltsamen Fortschritts in der Wissenschaft erfahren wir immer wieder, wie fragil und verletzlich die Welt und das Leben ist. Zerstörerische Fluten – inzwischen auch in Europa – Hitze und Dürre in weiten Teilen Deutschlands, Kriege auf der Welt: All das führt uns vor Augen, wie oft wir trotz all unseres Wissens machtlos sind. Auch heute noch gibt es – wie schon seit tausenden von Jahren – Situationen, in denen wir der Natur ausgeliefert sind. Auf Sand gebaut haben.
In seinem Gleichnis spricht Jesus vom „TUN“: Wer meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Die Bergpredigt – schauen Sie ruhig mal wieder rein – gibt so viele Hinweise, wie Leben gelingen kann. Streben nach Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Bemühen um Frieden, das sind nur einige der Inhalte. Aber das nur zu hören – heute würden wir vielleicht sagen: „Bei Instagram liken“ – ist eben nicht alles. Es geht darum, das, was unseren Glauben ausmacht, auch aus unserem Leben sprechen zu lassen. Es zu tun. So schwer es vielleicht auch manchmal fällt. Das Bild „Blautöne“ können Sie als Einladung verstehen, ihr Lebenshaus auf Fels zu bauen.
Denken wir daran: Wir haben eben nicht alles aus eigener Kraft im Griff, sondern Gottes wunderbare Schöpfung will von uns gepflegt und bewahrt werden. Unsere Mitmenschen auf allen Kontinenten und in allen Ländern, Pflanzen und Tiere und auch das Klima unserer Erde. Mit Gottes Hilfe wird das gelingen, wenn wir unseren Beitrag dazu tun. Wenn wir unser Lebenshaus auf Fels bauen, das uns auch in den Stürmen des Lebens trägt und darüber hinaus.
Amen.
Liedpredigt zu Himmel Erde, Luft und Meer – von Pastorin Andrea Busse
Liebe Gemeinde,
da ist ein Mann, den zieht es in die Natur. Immer wieder geht er raus, dorthin, wo er wenigen Menschen begegnet, meistens gar niemandem. Er wandert durch die Landschaft und nimmt alles um sich herum ganz genau wahr. Er sieht die Farben, grünes Gras, blauer Himmel, braune Erde. Er riecht den Wald, er spürt die Sonne und den Wind. Und all das – Licht, Wolken, Wind, Pflanzen und Tiere – all das lässt ihn einstimmen in ein großes Lob an den, der Himmel, Erde, Luft und Meer geschaffen hat.
Der Mann, übrigens ein Theologe, hat einen klingenden Namen: Er heißt Joachim Neander. Und am liebsten spaziert er durch das Tal, das später seinen Namen bekommt: das Neandertal. Es ist ein Talabschnitt der Düssel rund 10 km östlich von Düsseldorf und wäre vermutlich völlig unbedeutend, wenn man dort nicht fossile Überrest eines Urzeitmenschen gefunden hätte, der dann als Neandertaler ebenfalls den Namen unseres Naturfreundes erhielt. Eigentlich hieß die Familie ursprünglich schlicht Neumann, aber schon der Großvater lässt seinen Namen ins Griechische übertragen. Das war damals Mode.
1680 wird sein Enkel Joachim in Bremen geboren, besucht dort das Pädagogium, wo sein Vater unterrichtet. Mit 16, sein Vater ist inzwischen verstorben, wechselt er ans sogenannte Gymnasium illustre, eine Art Universität, wo er Theologie studiert. Nicht so sehr aus Leidenschaft, sondern eher aus Tradition, er stammt aus einer Pastorenfamilie, die bis zurück zur Reformation reicht. Mit 20, gegen Ende des Studiums, hört er zum Spaß einen pietistischen Buß- und Bekehrungsprediger an – jemanden, der auf persönlich Bekehrung und komplette Änderung des Lebenswandels drängt. Ein Freund von Neander (Johannes Heinrich Reitz) und sein späterer Biograph schreibt:
„Dannerho geschah es, dass unser Neander einsmals, nicht sowohl aus Neugierigkeit, als aus dem Absehen etwas zu hören, so man hernach übel ausdeuten und austragen mögte, mit zween anderen seiner Cameraden in dessen Predigt nach St. Martins Kirche gieng.“
Er geht also dorthin, um hinterher über diesen Mann zu lästern, aber stattdessen geschieht etwas, womit Neander nicht gerechnet hat: Die Predigt des Mannes ergreift ihn derart, dass er eine Art Bekehrungserlebnis hat, das ihn für den Rest seines Lebens prägen wird.
Nach dem Studium arbeitet Joachim Neander zunächst als Lehrer und Erzieher, er übernimmt als Kandidat des Predigtamtes Vertretungsdienste und verkehrt in frommen Kreisen. Mit 24 Jahren schließlich erhält er den Ruf als Rektor an die etwas heruntergekommene Lateinschule der reformierten Gemeinde Düsseldorf, wo er für einen Hungerlohn arbeitet. Nebenher war er auch noch „Hilfsprediger“ in dieser Gemeinde. Er unterrichtet also, hält hin und wieder Gottesdienst und soll sich um die Jugend der Gemeinde kümmern. Das macht er auch und zwar sehr eifrig, den Verantwortlichen bald zu eifrig. Er zieht nämlich gerne mit den jungen Leuten in die Natur und hält dort – im Neandertal – erbauliche Gottesdienste und Andachten. Dafür schwänzt er dann gerne auch mal den offiziellen Sonntagsgottesdienst der Gemeinde, in dem er ZITAT „Leben, Geist und Feuer“ vermisste. Darüber waren die leitenden Persönlichkeiten der Gemeinde nicht besonders glücklich, wie man sich vorstellen kann. Man befürchtet eine Abspaltung der Gemeinde, unser Joachim Neander, der so gerne in der Natur mit Gleichgesinnten die Schöpfung Gottes besingt, wird vermahnt, man droht ihm sogar mit Entlassung, wenn er nicht „Besserung“ gelobt. Das Presbyterium verzeiht ihm schließlich, aber er bleibt suspekt. Als in Düsseldorf ein Hilfsprediger eingestellt wird, wird er übergangen. Als er sich in Bremen auf eine Pfarrstelle bewirbt, hat er keinen Erfolg.
Erst 1679 kann er nach Bremen zurückkehren – als Hilfsprediger für die Aufgaben, die niemand machen will, z.B. den Frühgottesdienst morgens um 5 Uhr zu halten für die Knechte und Mägde und Fischer. Das tut er, allerdings muss er sich oft aus Krankheitsgründen vertreten lassen. Schon mit 30 Jahren stirbt er, man vermutet an Tuberkulose. Er war nie richtiger Pfarrer, nie verheiratet, hatte keine Kinder – sein Grab ist unbekannt.
Aber: noch im Todesjahr erscheint eine Sammlung seiner Lieder, der Titel: „Bundes-Lieder und Dank-Psalmen – zu singen auf Reisen, zu Hause oder bei Christenergötzungen im Grünen“. In diesen Liedern spiegelt sich seine starke Naturverbundenheit wider: In der Natur findet er Gott, dort offenbart sich Gott für ihn. Von Jesus singt er fast nie, er ist völlig auf Gott als Schöpfer konzentriert – auch damit hatte er sich bei Kirchenleuten seiner Zeit verdächtig gemacht.
Aber bei den einfachen Leuten waren seine Lieder beliebt. Sehr beliebt. Das hing auch damit zusammen, dass das gängige Gesangbuch der reformierten Gemeinde damals ziemlich dröge war. Es bestand hauptsächlich aus Übersetzungen der Psalmen. Dabei war aber wesentlich, dass die alten hebräischen Texte möglichst wörtlich übersetzt waren, das war wichtiger, als dass es gut klang. So entstanden schlechte Reime, die auf eintönige Melodien gesungen wurden. Neanders Lieder waren ganz anders, sie gingen mit Text und Melodie zu Herzen. Damit war Joachim Neander damals ziemlich provokant. Er wählte Melodien wie für fröhliche, weltliche Lieder. Das hatte man zuvor für ernste geistliche Texte nicht gewagt. Geistliche Inhalte sozusagen im Dreivierteltakt – ist das erlaubt? Neander machte es einfach und seine Lieder wurden gesungen, wurden geliebt, sie verbreiteten sich und landeten schließlich im Gesangbuch.
„Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehren“ ist wohl noch heute eines der bekanntesten und beliebtesten Gesangbuchlieder. Er schließt damit an die Lobtradition der Psalmen an, vor allem der Schöpfungspsalmen:
Himmel, Erde, Luft und Meer zeugen von des Schöpfers Ehr.
Oder
Seht das große Sonnenlicht, wie es durch die Wolken bricht.
Das können auch heute noch viele Menschen nachvollziehen. Wenn sie am Strand in die Weite blicken, wenn sie die Wolkenformationen am Himmel sehen, wenn sie das Farbspiel eines Sonnenauf- oder -untergangs bestaunen, dann liegt ihnen der Gedanke an Gott vielleicht näher als im Sonntagsgottesdienst. Aber es muss ja keine Alternative sein, es kann ja auch ineinandergreifen, dann nämlich, wenn wir im Gottesdienst das Lob des Schöpfergottes besingen.
Meine Seele, singe du; bring auch jetzt dein Lob herzu.
„Seht, seht, seht“ – so beginnen die meisten Strophen des Liedes. Neander möchte uns die Augen öffnen. Die Augen für Mond und Sterne, Wälder und Felder, für Quellen, Bäche, Ströme, Meere. Für Tiere und Menschen. Für die Schönheit der Schöpfung.
Man kann natürlich sagen: Wenn ich die Augen öffne, dann sehe ich Waldbrände und Überschwemmungen, dann sehe ich Artensterben und im Himmel nicht nur Gestirne, sondern Weltraumschrott, Drohnen, Bomben. Wenn ich die Augen öffne, dann sehe ich, was Menschen mit der guten Schöpfung Gottes gemacht haben und machen, auch wir. Wenn ich die Augen öffne, dann sehe ich nicht nur Freundliches und Schönes, dann sehe ich nicht nur Gottes Spuren, im Gegenteil, dann vermisse ich ihn, dann frage ich, warum greift er nicht ein, warum lässt er das zu? Terror und Tränen, Hungernde und Flüchtende. Wie soll man da noch sein Lob trällern?
Lob, das wusste schon Joachim Neander, ist immer Protest. Ein Trotzdem gegen die Wirklichkeit mit ihren Schattenseiten. Lob ist ein Potential an Hoffnung, Lob will zu Vertrauen locken, dass Gott uns und die Welt dennoch in seinen Händen hält. Dass wir bei ihm eben nicht auf Sand, sondern auf Fels gebaut haben. Neander war nicht naiv. Er hatte schließlich wirklich keinen leichten Lebensweg, ist ausgebremst, angefeindet worden. Auf dem Sterbebett mit gerade mal 30 Jahren soll er gesagt haben:
„Ach, es ist nicht leicht, sich seiner Gemeinschaft in Gott zu versichern, wenn man auf dem Kranken- oder Sterbebett liegt. Aber ich will mich lieber zu Tode hoffen, als durch Unglauben verlorenzugehen.“
„Lieber zu Tode hoffen“ – was für ein wunderbarer Ausdruck! Davon würde ich mich gerne anstecken lassen. Ein bisschen in seine Fußstapfen treten. Die Augen aufmachen für das Hoffnungsvolle, das Lebendige, das Schöne, was wir um uns herum sehen.
Auf seine Art in Neanders Fußstapfen getreten ist ein anderer Mann, den es auch in die Natur zieht. Der durch die norddeutsche Landschaft wandert, der ein Auge hat für den Himmel, die Wolken, das Wasser, den Sand, für Vögel und Insekten, für Licht- und Schattenspiele. Und der in all dem auch nicht nur „hübsche Natur“ sieht, sondern Gottes Werk. Wolfgang Gutzeit drückt sein Lob nicht in Liedern aus, sondern in Bildern, in Fotographien, die uns die Augen öffnen wollen und können für die Einzigartigkeit der Schöpfung. Und die er deswegen mit biblischen Worten kommentiert, meistens mit Psalmversen.
„Du fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen / und kommst daher auf den Fittichen des Windes“ – heißt es in Psalm 104 und so heißt es unter einer Fotographie mit dem Titel Rapsgewitter, auf man im Himmel drohende dunkle Gewitterwolken sieht und auf der Erde strahlend gelb der Raps leuchtet.
„Was betrübst du dich, meine Seele?“ fragt der Beter in Psalm 42 und so fragt Wolfgang Gutzeit im Anblick der Seerobbenruhe. Also das Bild müssen Sie sich anschauen! Es wird Sie einfach zum Schmunzeln bringen, wie die Robben da genüsslich im Sand liegen, drei von ihnen in einer Reihe den Kopf etwas heben, den Betrachter anschauen und etwas spöttisch zu fragen scheinen: „Was ist eigentlich dein Problem?“.
Und dann gibt es ein Bild, Sie sehen es im Aufsteller zur Ausstellung, das den Fotographen selbst zeigt, in forschem Schritt am Strand entlang, die Kamera gezückt in der Hand. Und kommentiert mit Worten aus Psalm 139: Wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele.
Wir selbst gehören hinein in das Bild, in die Bilder, sind Teil dieser Schöpfung, wunderbar gemacht – trotz allem. „Ich danke meinem Gott, dass ich so wunderbar gemacht bin!“ heißt es in Psalm 139 weiter. Oder um noch einmal mit den Worten von Joachim Neander aus seinem Lied Himmel, Erde, Luft und Meer zu sprechen:
Ach, mein Gott, wie wunderbar, stellst du dich der Seele dar! Drücke stets in meinen Sinn, was du bist und was ich bin.
Neander erinnert uns mit seinem Lied Himmel Erde, Luft und Meer, Wolfang Gutzeit erinnert uns mit der Ausstellung, die nicht zufällig hier in unserer Kirche diesen Titel bekommen hat, genau daran: Was du bist und was ich bin: Schöpfer und Geschöpf. Ursprung von allem, was ist, und sein Ebenbild.
Ein Biograph beschreibt den Tod von Joachim Neander: „An einem Pfingsttag wird er irgendwo auf einem Friedhof verscharrt. Bis heute weiß niemand, wo er begraben liegt. (…) sang- und klanglos wird er von seiner Gemeinde verabschiedet; aber seine Lieder singen und klingen. Er hat kein abgeschlossenes Lebenswerk hinterlassen, aber dafür: Lob aus der Tiefe und Liebe zu Gottes Schöpfung.“ Mögen wir uns davon anstecken lassen und mögen die Lieder und Bilder uns dabei helfen. Amen.