Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Licht der Welt

Licht der Welt

Predigt am 2. Februar
Pastorin

Dr. Claudia Tietz

Darstellung Jesu im Tempel bzw. Lichtmess, 2. Februar 2025

Predigt zu Lukas 2, 22–40

Predigttext: Lukas 2, 22–40

Und als die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz des Mose um waren, brachten sie ihn hinauf nach Jerusalem, um ihn dem Herrn darzustellen, 23 wie geschrieben steht im Gesetz des Herrn: »Alles Männliche, das zuerst den Mutterschoß durchbricht, soll dem Herrn geheiligt heißen«, 24 und um das Opfer darzubringen, wie es gesagt ist im Gesetz des Herrn: »ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben«.

25 Und siehe, ein Mensch war in Jerusalem mit Namen Simeon; und dieser Mensch war gerecht und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war auf ihm. 26 Und ihm war vom Heiligen Geist geweissagt worden, er sollte den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. 27 Und er kam vom Geist geführt in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, 28 da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: 29 Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; 30 denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, 31 das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern, 32 ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und zum Preis deines Volkes Israel. 33 Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde. 34 Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist dazu bestimmt, dass viele in Israel fallen und viele aufstehen, und ist bestimmt zu einem Zeichen, dem widersprochen wird – 35 und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen –, damit aus vielen Herzen die Gedanken offenbar werden.

36 Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuëls, aus dem Stamm Asser. Sie war hochbetagt. Nach ihrer Jungfrauschaft hatte sie sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt 37 und war nun eine Witwe von vierundachtzig Jahren; die wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. 38 Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten. 39 Und als sie alles vollendet hatten nach dem Gesetz des Herrn, kehrten sie wieder zurück nach Galiläa in ihre Stadt Nazareth. 40 Das Kind aber wuchs und wurde stark, voller Weisheit, und Gottes Gnade lag auf ihm.

 

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede von dem,
der da ist und der da war und der da kommt!

Was mögen Simeon und Hanna damals im Jerusalemer Tempel wohl gesehen haben, dass sie sich so freuten? Was sehen wir überhaupt zuerst von einem Menschen? Die äußeren Umrisse, vielleicht das Gesicht, die Gesten …

Damals im Tempel mögen Simeon und Hanna gesehen haben: eine junge Frau, vielleicht vorsichtigen Schrittes, ein Bündel im Arm. So, wie junge Mütter oft ein bisschen tastend, zugleich stolz und unsicher gehen, wenn sie die ersten Male mit ihrem Neugeborenen draußen sind.

Und daneben ein Mann, gerade Vater geworden, vielleicht einen halben Schritt hinter ihr, mit aufmerksamen Blicken auf Mutter und Kind. In der eigentümlichen Mischung aus Freude und Verwirrung, die jungen Vätern ins Gesicht geschrieben stehen kann.

Das Baby, knapp sechs Wochen alt, werden Hanna und Simeon jedenfalls nicht gleich gesehen haben. Zumal sie alt und ihre Augen wahrscheinlich schon schwächer waren.

Der Predigttext, die Erzählung von Simeons und Hannas Begegnung mit dem neugeborenen Jesuskind im Tempel, weist gleich dreimal darauf hin, dass geistgewirkt war, was sie sahen und erkannten. Dass Gottes Geist mit dem „gerechten und gottesfürchtigen“ Simeon war. Dass ihm vom Heiligen Geist prophezeit worden war, er würde noch zu Lebzeiten den Christus, den ersehnten Messias, sehen. Dass er von Gottes Geist in den Tempel geführt worden war.

Von Anfang an – so kann man diese Hinweise auf den Geist deuten – schieden sich an Jesus die Geister. Geschah seine Ankunft in der Welt kraft des Heiligen Geistes, wurde Gottes Geist der Liebe durch ihn in der Welt stark – traten ihm gegenüber aber auch die Gott widerstreitenden Geister der Welt offen zu Tage.

Die Geister der Welt zeigen sich schon im Kindermord zu Bethlehem, im unbedingten Machtstreben von König Herodes, der eher über Leichen geht, als womöglich dem kleinen neugeborenen König die Herrschaft zu überlassen. Sie zeigen sich später in der Verachtung, der Gleichgültigkeit, der Angst und dem Hass, die zu Jesu frühem Tod führen.

Unübersehbar, unüberhörbar widerstreitend die Geister der Welt auch heute. Die Geister der Menschenverachtung und Schöpfungsverachtung, der Gottesverachtung.

Geistbegabt aber, von Gottes Geist beseelt, werden die beiden frommen Menschen im Tempel geschildert, Hanna und Simeon.

Simeon, der wie ein Großvater oder Urgroßvater den kleinen Jungen zärtlich in die Arme nimmt, Gott für ihn dankt und die berühmten Worte spricht, das zum klösterlichen Nachtgebet oder zum Evensong der Kirche geworden ist, das sogenannte: das „Nunc dimittis“. Das Lied, das Simeon anstimmt, als er in Jesus als erster den verheißenen Messias erkennt:

Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren,
wie du gesagt hast;
denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,
das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern,
ein Licht zur Erleuchtung der Heiden
und zum Preis deines Volkes Israel. (Lk 2, 29-32)

Was mag Gottes Geist Simeon geholfen haben zu erkennen? Wofür hat er ihm die Augen geöffnet?

Simeon verwendet traditionelle fromme Worte, um zu preisen, was er in dem Neugeborenen erkennt: den „Heiland“, „das Heil“, „das Licht“… Heilung und Frieden, Schalom erblickt er im Gesicht des Neugeborenen. Für einen Moment hält er das „Licht der Welt“ behutsam in seinen Händen. Nun hat er alles gesehen und erlebt, was wirklich wichtig ist.

Etwas davon kann leicht nachempfinden, wer schon einmal ein Neugeborenes in den Armen gehalten hat, es gerochen und geküsst hat. Dass es einem scheinen kann, als begegne einem wirklich ein Gotteskind, ein Engel oder Bote aus einer anderen Welt.

Simeon erkennt in diesem Moment nicht nur seine persönliche Erfüllung, sein eigenes Glück, sondern die Erlösung der Welt. Gottes Geist hilft ihm, zu sehen, zu fühlen, zu glauben, dass in diesem Kind die Rettung, die Erlösung der Welt liegt.

An Jesus scheiden sich die Geister … Jesus kann Liebe, Hingabe und Verehrung wecken. Jesus kann bis heute Menschen auf Abstand bringen. Jesus kann einen herausfordern, Entscheidungen zu treffen und ins Handeln zu kommen. Jesus kann uns helfen, Stellung zu beziehen und uns zu bekennen.

Ich denke bei Simeons Begegnung mit Jesus daran, wie sich manche erwachsenen Täuflinge mit Jesus auseinandersetzen. Menschen, die als junge oder mittelalte Erwachsene den Wunsch haben, getauft zu werden, und sich in den Taufgesprächen auch mit Jesus Christus beschäftigen. Wie sie seine Rolle, sein Wesen, seine Botschaft verstehen.

Und ich bin sicher, wenn sich jemand als Erwachsene, als Erwachsener für die Taufe entscheidet – vielleicht auch jemand unter euch? –, dann ist auf die eine oder andere Weise der Heilige Geist dabei. Dann hilft Gottes Geistkraft dabei, sich zu öffnen oder zu suchen oder zu verstehen.

Ich denke an eine Chinesin, etwa 40 Jahre alt, die sich taufen ließ. Sie war viel stärker mit Jesus als mit Gott beschäftigt, mit seiner Sanftmut und Gerechtigkeit. Es war für sie kaum zu glauben – zugleich revolutionär-verstörend als auch ungemein anziehend –, dass Jesus den Evangelien nach mit allen Menschen Brot teilte. Dass es zu seiner Überzeugung und Lebenspraxis, zu Gottes Willen gehört, alle Menschen satt zu machen. Mehrmals fragte sie nach, ob auch böse Menschen Brot bekommen sollten? Auch Verbrecher, auch Menschen im Gefängnis?

Sie konnte sich kaum satthören an der liebevollen Gerechtigkeit, kaum sattsehen an dem warmen Licht, die mit Jesus in die Welt einziehen. Für sie lag darin Erlösung: Unabhängig von persönlicher Anstrengung und Leistung satt und glücklich werden zu dürfen.

Ich denke an einen jungen Mann, der als Jugendlicher eher muslimisch geprägt war. Wir saßen bei unserem letzten Taufgespräch hier vorne in der Kirche, am Taufbecken. Er blickte auf das vergoldete Kreuz im Hochaltar. Und brachte zum Abschluss noch einmal deutlich sein Ringen, seine innere Auseinandersetzung mit Jesus vor: Ein Retter, ja – aber leider irgendwie kein richtiger Held. Dass dieses Männerbild schwer verständlich für ihn sei und auch schmerzlich. Dass Jesus dadurch aber der Welt auch die Wahrheit zeige, dass Mannsein und Menschsein eben nicht in äußerer Stärke und Heldentum aufgingen … Dass Liebe und Schmerz, Ohnmacht und Leidenschaft zusammengehören können.

Ich denke, Gottes Geistkraft half ihm, in Jesus Wahrheit zu finden. Wahrheit über sich selbst, über das angespannte Verhältnis zwischen den großen Religionen, zwischen den Völkern und auch zwischen den Geschlechtern. Dass es nicht um ein Entweder Oder, um Sieg oder Niederlage geht, sondern um Erkenntnis und Versöhnung, die Mitgefühl, Selbstzurücknahme und Toleranz voraussetzt.

Ein dritter Taufanwärter schließlich fasste seine Beobachtungen zu Jesus nach der Lektüre des Markus-Evangeliums mit den Worten zusammen: „Jesus hilft dort immer allen. Ich denke, dass er auch mir hilft.“

Der Glaube, dass Gottes Liebe in Jesus Christus auch zu uns kommt, zu dir und mir, damals wie heute. Als Licht, als Trost oder als Freund.

Was Simeon als Erlösung, als Frieden und Licht beschreibt – das mögen wir heute, die Simons und Hannas, die Jing-Jings, Enes‘ und Fabians unserer Zeit als Gerechtigkeit erkennen, als Wahrheit oder Liebe. Gottes Geist hilft uns dabei, die für uns wichtige Botschaft zu erkennen.

Und natürlich kennen wir auch – und erkennen im Lichte nur umso deutlicher – die Geister, die dagegen aufstehen, in der Welt, in der wir leben, und auch in uns selbst. Die Geister, die in uns kämpfen und uns herausfordern, dass wir in unserem Glauben an Jesus Christus Entscheidungen treffen und Stellung beziehen.

Wir müssen dabei nicht übermenschlich mutig oder total konsequent sein. Ich glaube, Gott ist im Blick auf seine Menschen fehlerfreundlich und gnädig. Aber es geht um unsere innere Ausrichtung am Licht, am Frieden, an der Barmherzigkeit, die Jesus in unserer Welt hat aufleuchten lassen. Es geht um unsere Geisteshaltung. Dass wir für uns fassen mögen, was schon Simeon und Hanna erkannt haben:

Das Heil, das Gott bereitet hat für alle Völker,
ein Licht zur Erleuchtung der Welt. (Lk 2, 31f)

Amen.