Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Sprachen der Liebe

Sprachen der Liebe

Predigt am 2. März
Pastorin

Dr. Claudia Tietz

Sonntag Estomihi, 2. März 2025

Predigt zu Lukas 10, 38–42

Predigttext: Lukas 10, 38–42

Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. 39 Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. 40 Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihnen zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! 41 Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. 42 Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden. 

 

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede von dem,
der da ist und der da war und der da kommt!

In Brüssel hängt in den Königlichen Kunstmuseen ein großes Gemälde des flämischen Malers Joachim Beuckelaer. Im Vordergrund sieht man, in kräftigen Braun- und Rottönen gemalt, eine sitzende Frau, im Begriff eine Gans zu rupfen. Ihr zur Seite steht eine jüngere Frau, in der einen Hand einen Bratspieß, auf dem schon ein großer Schinken steckt, in der anderen Hand ein gerupftes Huhn. Ein Küchenjunge sitzt am Feuer, bereit den bestückten Spieß zu übernehmen.

Erst auf den zweiten oder dritten Blick erkennt man durch einen Torbogen weit hinten im Bild eine weitere, sehr viel kleinere Personengruppe. Etwas verschwommen, in Tusche gezeichnet, sieht man redende, betende, hörende Männer und Frauen.

„Maria und Marta“ bzw. „Marta und Maria“ – denn während die tüchtige Hausherrin Marta den Vordergrund des Bildes dominiert, ist ihre Schwester Maria im Hintergrund kaum zu erkennen.

Manche von Ihnen und euch wissen, dass ich früher am Pastoralkolleg in Ratzeburg in der Weiterbildung der Pastoren gearbeitet habe. Dort ist auch das Predigerseminar, in dem Olivia Graffam viele Kurswochen verbringen wird, wenn sie nicht gerade bei uns in der Gemeinde ist. Die hauswirtschaftliche Versorgung der Gäste in Ratzeburg leisten Mitarbeitende der Vorwerker Diakonie, Menschen mit Behinderung. Sie arbeiten in der Küche, in der Wäscherei und der Raumpflege.

Als ich dort war, gab es jeden Montagmorgen eine Hausandacht. Auf keine meiner Andachten gab es so ein bewegtes Echo wie auf die, die ich einmal zur Geschichte von Maria und Marta hielt. Die jungen Mitarbeitenden der Diakonie waren sofort völlig parteiisch für Marta: „Sie macht doch die ganze Arbeit! Marta schuftet, und Maria sitzt bloß rum!“ Sie konnten sich kaum beruhigen …

Mehr oder weniger explizit sprachen sie aus, wie diese biblische Geschichte auch unsere Situation im Gästehaus in Ratzeburg spiegelte: Die Mitarbeitenden der Diakonie arbeiteten schwer in der Küche für die Gäste, während die Studienleiterinnen, die Pastorinnen und Vikare nur sitzen, reden und zuhören – und dabei scheinbar das bessere Teil gewählt haben, jedenfalls das mit mehr Ansehen und mehr Lohn.

Die Geschichte der Schwestern Marta und Maria, die zusammen mit ihrem Bruder Lazarus zu Jesu Freundeskreis gehörten, ist eine Geschwister- und vielleicht besonders eine Schwesterngeschichte, sie erzählt aber auch von der unterschiedlichen Bewertung und Bezahlung von Arbeit, wie wir es bis heute kennen: Körperliche Arbeit wird schlechter bezahlt als geistige Arbeit. Gehen, heben, tragen, ziehen gilt weniger als sitzen, denken, reden, tippen …

Martas Empörung über die Ungerechtigkeit, in der Küche zu schuften, während ihre Schwester Maria zu Füßen des Meisters sitzt, werden viele Menschen teilen können. Ob sie als ältere Geschwister mehr im Haushalt mithelfen müssen als die jüngeren, ob sie im Handwerk oder in der Pflege deutlich weniger verdienen als andere am Schreibtisch, oder ob sie in der Familie, im Betrieb, auf der Straße das Gefühl haben, für die anderen nur die Drecksarbeit zu machen.

Dahinter die Frage, ob meine Arbeit und Anstrengung gesehen werden? Ob ich gesehen und wertgeschätzt werde in dem, was ich für andere tue, wo ich mir Gedanken mache, wo ich vielleicht auch eigene Bedürfnisse zurückstecke oder über meine Grenzen gehe …

Die zutiefst menschliche Unsicherheit, ob ich gesehen, gemocht, geliebt werde? Unsere Unsicherheit, dessen im Herzen gewiss zu sein.

Viele von uns hören Kritik lauter als Lob. Ein leichter Tadel kann uns länger in den Ohren klingen als ein herzlicher Dank … Eine wahre Last ist das manchmal! Die sich leicht zwischen uns legen kann, zu Missstimmungen und Missverständnissen führen kann.

Marta und Maria – sie zeigen Jesus auf unterschiedliche Weise ihre Zuneigung und Freundschaft. Marta, die als Hausherrin und Gastgeberin vorgestellt wird, nimmt Jesus und seine Jünger auf. Sie „macht sich viel zu schaffen, ihm zu dienen“ (Lk 10, 40), heißt es. Sie setzt all ihre Kraft, ihre Fähigkeiten und ihre Zuneigung ein, um es für die Gäste schön zu machen, damit es ihnen an nichts fehlt!

Maria „setzt sich dem Herrn zu Füßen und hört seiner Rede zu“ (Lk 10, 39). Sie zeigt Jesus all ihr Interesse, ihre Konzentration, ihre Zuneigung, indem sie ihm zuhört, seine Worte in sich aufnimmt, sich ihm auf ihre Weise widmet.

Eigentlich – könnte man sagen – ist doch alles in Ordnung! Menschen zeigen ihre Freundschaft, ihre Liebe, ihr Engagement auf unterschiedliche Weise: Die Einen kümmern sich gerne praktisch, sie kaufen ein, kochen, schneiden die Hecke, helfen mit dem Handy oder dem PC … Andere sind zärtlich, sie trösten, rufen an, hören zu … Wieder andere zeigen ihre Zuneigung in Geschenken, sie organisieren Feste oder Reisen, laden ein … Jede und jeder von uns wird Liebe auf unterschiedliche Weise zeigen, wird eine eigene Sprache, einen eigenen Dialekt der Liebe sprechen.

Und das wird in gewisser Weise auch für dich, liebe Olivia, im Vikariat gelten: Dass du deine Sprache der Zuwendung als Pastorin kennenlernst oder entwickelst. Deine eigene Art, dich in Worten und Taten auszudrücken, sei es eher praktisch oder künstlerisch oder intellektuell, verspielt oder seelsorglich …

Martas Sprache der Liebe sind Taten: andere bekochen, bedienen und umsorgen. Bloß Marta scheint nicht sicher zu sein, ob ihre Sprache der Liebe gehört wird, ob sie wahrgenommen und wertgeschätzt wird, ob dies die richtige Art ist oder ob nicht alle im Haus ihre Zuneigung auf dieselbe Weise ausdrücken sollten?

Wie es uns manchmal ärgern kann, wenn wir nicht das zurückbekommen, was wir selbst geben an Zeit, Geschenken, Einladungen oder Freundlichkeit … Und wir uns wünschen, dass sich die anderen genauso verhielten wie wir.

Jesus antwortet Marta in ihrem Ärger wiederum in seiner Sprache der Liebe: „Marta, Marta!“ – zweimal spricht er sie mit Namen an, um sie zu unterbrechen, damit sie ihm wirklich zuhört und auch damit sie weiß, dass jetzt wirklich sie gemeint ist (Lk 10, 41).

„Marta, du machst dir viel Sorge und Mühe.“ Jesus sieht, was Marta tut. Er sieht vielleicht, dass sie zu viel tut. Dass sie erschöpft ist. Dass sie den Besuch der Gäste vielleicht gar nicht genießen kann. Dass die ganze Hausarbeit zu schwer für sie ist.

„Eins aber ist Not“, sagt er, „Maria hat das gute Teil gewählt.“ (Lk 10, 42) – Diesen Satz höre ich wie eine Aufforderung an Marta, sich zu besinnen: Was ist jetzt notwendig? Was ist jetzt dran? In der Vielzahl der Aufgaben und Gedanken, die einen bestürmen, einen hetzen und stressen können, innehalten und überlegen: Was ist jetzt, in diesem Moment, wirklich wichtig – oder noch wichtiger als das auch wichtige?

Jesus weist auf Maria und sagt: „Sie hat das gute Teil gewählt, das soll ihr nicht genommen werden“ (Lk 10, 42).

Maria als diejenige, die in dieser Situation leichter spürt oder weiß, was dran ist: Sich zu freuen, dass Jesus zu Besuch gekommen ist, dass sie mit ihm zusammen sein, ihm zuhören und mit ihm sprechen kann. Dafür wird nicht mehr viel Zeit sein.

Jesus spricht – anders als Marta und auch anders als Maria – in seiner Sprache der Liebe. Macht Menschen aufmerksam dafür, dass Gottes Liebe in ihm jetzt und hier da ist. Dass Gottes Liebe auf der Erde geschieht und sich ereignet. Dass sie Gestalt annimmt, wo Menschen zusammenkommen, reden, zuhören, trösten, helfen und essen. Dass Gottes freundlicher Blick jetzt auf uns Menschen fällt – und wir sollen vor lauter „Sorge und Mühe“ nicht verpassen, dies zu bemerken.

Denn das ist wohl das Eine, was nötig ist: Dass wir es aufmerksam wahrnehmen, wenn Jesus zu Besuch kommt und bei uns anklopft, wenn Gott uns ansieht oder anspricht.

Und dazu braucht es bei aller Arbeit und Anstrengung Momente, wo wir wie zum Beispiel jetzt hier still werden, zuhören, träumen, abschalten, laut oder leise nachdenken …

Dass Jesus zu uns zu Besuch kommen kann und wir ihm die Tür öffnen und ganz da sind. Für einen Moment. Für das, was uns heute nötig ist. Für das liebevolle Wort oder den freundlichen Blick Gottes, den Segen, der uns unmissverständlich spüren lässt, dass Gottes Liebe in all unseren Unsicherheiten, Ängsten und Vergleichen auch uns gilt, dir und mir.

Gott versteht unsere Gedanken und Taten und Sprachen der Liebe von Ferne. Amen.