Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Trinität – DNA des christlichen Glaubens

Trinität – DNA des christlichen Glaubens

Predigt zu Trinitatis
Pastorin

Andrea Busse

Gottesdienst am 15. Juni

Predigt zu 2. Korinther 13, 11-13

Bibeltext:

Paulus schreibt:
Zuletzt, Brüder und Schwestern, freut euch, lasst euch zurechtbringen, lasst euch mahnen, habt einerlei Sinn, haltet Frieden! So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein. Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss. Es grüßen euch alle Heiligen. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! 

Predigt:

Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen, Amen.

Liebe Gemeinde,
„Küssen kann man nicht alleine“, singt Max Rabe mit seinem Palastorchester. Vielleicht kennen Sie das Lied:
„Alles krieg‘ ich alleine hin
Ihr staunt wozu ich fähig bin
Halt‘ meine eigenen Pokerrunden,
Psychoanalysestunden
Trag‘ mir selbst Gedichte vor,
sing‘ mit mir im Doppelchor
Besiege mich bei Schachpartien,
hab‘ mir das meiste selbst verziehen
Kann für mich eine Lanze brechen,
mich im Zweifel auch bestechen
Reich‘ mir selbst den Staffel-Stab
und nehm‘ mir auch die Beichte ab
Doch gibts nen Punkt an dem ich scheiter‘,
da kämen auch andere nicht weiter
Küssen, kann man nicht alleine.“

Auf die übliche charmante Art beschreibt und besingt Max Rabe, dass der Mensch – selbst wenn er Vieles alleine hin­kriegt, am Ende doch ein Beziehungswesen ist und bleibt. Ein Rudel­tierchen. Wir als Menschen sind immer in Beziehun­gen hineingestellt, in Beziehungen unterschiedlichster Art. Beziehungen können wahnsinnig schwierig, kränkend und verletzend sein und doch sind wir beziehungsbedürftig und finden in Gemeinschaft Glück und Geborgen­heit, Erfüllung und Sinn. Es gehört zu unserem Menschsein hinzu und deswegen ist es die Herausforderung unsers menschlichen Lebens, Be­ziehungen so zu gestalten, dass sie uns guttun, dass wir uns gegenseitig guttun und bei aller Ver­schie­denheit friedlich mitein­ander auskommen. Der Kuss ist sozu­sagen das Siegel, das Zeichen für gelingende Bezie­hun­gen.

So auch bei Paulus in seinem kurzen Briefabschnitt, den wir gehört haben. Auch da geht es um’s Küssen, um den heiligen Kuss, der besiegelt, dass die Gemeinschaft der Heiligen – man könnte auch sagen die Gemeinde der Gläubigen – Frieden mit­einander hält.

Wenn Paulus so zum Küssen auffordert, dann ist das kein frommes Gesäusel, denn er schreibt mitten in einer heftigen Be­ziehungskrise. Was sich zwischen Paulus und seiner Gemeinde in Korinth abspielt ist ein echtes Beziehungsdrama und dieser Brief ist sein letzter Versuch, das zerrüttete Verhältnis zu kitten. Paulus hat diese Gemeinde in Korinth gegründet und selbst ver­mutlich so ca. 1 ½, zwei Jahre lang geleitet, bevor er weiter­ge­zogen ist. Nach seiner Abreise kommen Fragen auf. Fragen, wie man den neuen Glauben im Alltag in einer heidnischen Umgebung leben kann oder soll. Unter­schied­liche Gruppie­rungen bilden sich, Fraktionen entstehen, auch neue Prediger wirken in Korinth und haben ihre eigenen An­hänger­schaft, die Paulus seine Kompetenz absprechen. Paulus schreibt Briefe und schickt seinen Kollegen Titus, um die Kon­flikte beizulegen. Als das alles nichts nützt, reist der Apostel selbst nach Korinth. Bei seinem Besuch kommt es zu harten Ausein­andersetzungen: Einige streiten Paulus wohl komplett das Recht ab, als Missio­nar aufzutreten, sie zweifeln an seiner Ehrlichkeit in Bezug auf die Kollekte, sie kritisieren sein persön­liches Auftreten. Es kommt zu einem Eklat! Ver­mutlich wird Paulus dermaßen heftig angegriffen und beleidigt, dass er keinen anderen Weg sieht, als wieder abzureisen. Und aus der Distanz setzt er sich hin und schreibt wieder. Im zweiten Korin­ther­brief legt Paulus einen scharfen Ton an den Tag, er argu­men­tiert so eindringlich, wie man das eben tut, wenn die eigenen Grundhaltungen und An­sich­ten in Frage gestellt sind.

Solche verfahrenen Streitsituationen kennen wir auf allen Ebenen. Man kann täglich in den Nachrichten hören, wie sich Konfliktlinien in kriegerischen Auseinandersetzungen oder als Handelsstreit über Jahre hinziehen. Im gesellschaftlichen Mit­ein­ander scheint es immer schwieriger, verschiedene Positi­o­nen friedlich miteinander ins Gespräch zu bringen. In Kirchen­gemeinden wird gestritten über die Haltung zur Migra­tions­frage, gender­gerechte Sprache oder politisches Engage­ment von Christ:innen überhaupt. Sogar der Heilige Kuss ist durch die Miss­brauchsfälle in Verruf ge­kommen. Und neben all dem scheitern wir auch in unseren persönlichen Umfeldern – Familie, Freundes­kreis, Kollegium – immer mal wieder daran, Ausein­andersetzungen friedlich beizu­legen.

Also wie Konflikte entstehen, wie sie eskalieren, das alles müssen wir von Paulus nicht lernen, das kennen wir. Aber was können wir uns von ihm abschauen, wenn es darum geht, kon­struktiv mit Konflikten umzugehen?

Zum einen kehrt Paulus nichts unter den Teppich. Er diskutiert das Problem aus, auch wenn das schmerzhaft ist. Aber ent­scheidend ist das letzte Wort, das worauf es hinausläuft. Man könnte erwarten, dass er in einem krönenden Schlussplädoyer die Bilanz all seiner Argumente zieht und die wäre natürlich, dass er Paulus im Endeffekt doch Recht hat. Das macht Paulus nicht. Den Schlusspunkt setzt die trinitarische Formel:

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! 

Am Schluss steht das Verbindende: Warum sind die Korinther denn in Beziehung mit einander, warum sind sie in Beziehung mit Paulus, auch wenn das alles sich schwierig gestaltet: weil der Glaube an diesen Gott sie verbindet. In ihrer ganzen Unter­schiedlichkeit verbindet. Und der Clou daran: Diese Unterschiedlichkeit ist kein Zufall, denn auch Gott ist in sich vielfältig, nichts anderes sagt die Trinität aus. Gott präsen­tiert sich uns als Beziehung. Wenn wir als Beziehungs­wesen, die wir nun mal sind, Ebenbild Gottes sind, dann hat sich auch Gott auf Beziehung hin ausgelegt. Gott-Vater-Sohn-und-Heiliger Geist ist in sich ein Beziehungs­wesen und tritt in Beziehung zu uns.

Deswegen haben wir – glücklicherweise – kein statisches Gottes­­bild, das besagten würde: So ist Gott und nicht anders. Und nur wer ihn so bekennt, der oder die hat Recht. Nein, Gott ist ein dreieiniger Gott. Ein Gott, der vielfältig ist und sich auf unterschiedliche Weise offenbart hat, als Vater, als Sohn, als Heiliger Geist. Und wir Menschen sehen und erleben diese Offenbarungen auf tausend verschiedene Arten und Weisen, eben so vielfältig, wie wir sind:
Wenn wir in die Natur schauen und Gottes Schöpferwerk betrachten, so bringen uns ganz unterschiedliche Dinge zum Staunen: den einen eine blühende Wiese, die andere die kom­plexe Formel einer chemischen Zusammensetzung. Wenn wir eine biblische Geschichte von den Wundern Jesu Christi lesen, dann hören wir sie mit tausend unterschiedlichen Ohren und in unserem Herzen kommen unterschiedliche Saiten zum Klingen. Und das Wirken des Geistes in unserem Leben er­leben wir alle ganz individuell: Eine ist von einem Bach-Konzert be-geistert, ein anderer ist von einem Satz ergriffen, der im richtigen Moment den guten Weg weist. Wir Menschen erleben Gott unterschiedlich und glauben unter­schiedlich. Und dass das gut so ist, sagt uns die Trinitätslehre.

Gott ist drei-einig, d.h. in seiner Vielfalt ist er eins – und des­wegen können wir auch in unserer Vielfalt einig bleiben. Nichts anderes sagt Paulus in seinen wenigen Schlussversen mitten in einer Situation, in der die Einheit in Frage steht, und damit öffnet er einen Raum für Versöhnung.

Er tut das in einem Dreischritt: Er beginnt beim kleinen Kreis der verstrittenen Korinther und gibt ihnen Regeln mit für das Zusammenleben: das tut er ja öfter: Einig sein, Frieden halten. Nicht so einfach in einer verfahrenen Situation.
Deswegen weitet er das Ganze. In einem Konflikt auf Abstand gehen können, ist meistens schon mal hilfreich. Es geht hier nicht nur um eine Gemeinde und auch nicht nur um Paulus: Es ist ja eine viel größere Gemeinschaft: „Es grüßen euch alle Heiligen“ schreibt er. Auch wir sind manchmal so auf unsern kleinen Dunstkreis, die eigenen Probleme fixiert, für die es in diesem engen Rahmen auch keine gute Lösung geben kann. Da ist es durchaus entlastend mal über den Horizont hinauszu­schauen. Das werden wir auch als Gemeinde lernen müssen. Wir fühlen uns unter unserem eigenen Kirchturm wohl. Aber wir wissen auch, dass wir Gemeindeglieder verlieren und auch per­sonelle und finanzielle Ressourcen. Das kann beängstigen. Aber wir sind ja nicht allein, es grüßen alle Heiligen. Gemein­sam – und nur gemeinsam – können wir Wege finden, weiterhin miteinander zu beten, zu feiern und Probleme zu meistern.
Paulus jedenfalls lenkt den Blick von der kleinen (zerstrittenen) Gemeinde auf die große Gemeinschaft und darüber hinaus auf die Klammer die alles zusammenhält: auf Gott. Auf Gott in seiner ganzen für uns Menschen erfahrbaren Weite.

Und als Vorzeichen für das alles schreibt er: Freut euch!
Freut euch, denn wir haben einen großen Freiraum, der in Gott selbst angelegt ist. Wir haben Raum für Beziehung – und dass die schief gehen können, das blendet Paulus 13 Kapitel lang nicht aus. Aber unsere Beziehungen sind in eine viel größere, in eine heilsame Beziehung hineingestellt: In die Beziehung Gottes mit uns. Und in diesem Gott ist angelegt, was unsere Verheißung ist, nämlich dass wir in unserer Vielfalt einig sein können.

Das ist die DNA unseres christlichen Glaubens, die wir jeden Sonntag im Glaubensbekenntnis benennen: ein großer Gott, der sich uns vielfältig zeigt, ein weiter Raum, in dem Glauben auf unterschiedliche Weise möglich ist und eine Klammer, die Einheit verheißt und uns als Gemeinschaft auch in Beziehungs­krisen zusammenhält.

Und Gemeinschaft, Beziehung brauchen wir. Denn – ich komme nochmal auf den Anfang zurück – „Küssen kann man nicht alleine“. Der heilige Kuss ist ein Ritual oder besser war es in den damaligen Gemeinden. Übrig geblieben davon ist bei uns der Friedensgruß, den wir nachher beim Abendmahl aus­tauschen werden. Ich erinnere mich, dass ich früher dabei befangen war. Da soll ich jemand wildfremden die Hand geben, wenn man hier bei uns doch so schön anonym in der Kirchen­bank sitzen darf. Inzwischen mag ich das: Es ist ein sichtbares Zeichen, dass es etwas gibt, das uns verbindet, auch wenn wir uns gar nicht kennen und das erste Mal begegnen. Nämlich Gott, zu dem wir vorher singen: „Gib uns deinen Frieden.“ Und so reichen wir uns den Frieden sichtbar weiter, strecken die Hand nach der anderen aus und werden berührt. Und dann stellen wir uns in einen großen Kreis – so unterschiedlich wie wir sind, so unter­schiedlich wie wir glauben, so unterschiedlich wie wir Gott erleben oder auch an ihm zweifeln.

Wir tun dies im Vertrauen, dass wir die Gegenwart Gottes erleben: Und so möge auch für uns die Gnade unseres Herren Jesu Christi, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes für spürbar werden. Amen.