Untertan der Obrigkeit
Gottesdienst am 23. Sonntag nach Trinitatis
Predigttext:
Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen. Denn die Gewalt haben, muss man nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, dann wirst du Lob von ihr erhalten. Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst. Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht die Strafe an dem, der Böses tut. Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht. So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt. (Römer 13, 1-7)
Predigt:
(P. Helge Martens)
Liebe Gemeinde,
auf klandestinen Wegen erreichte mich ein Brief an den Briefschreiber, welchen ich Ihnen hiermit gerne zu Gehör bringen möchte:
Sehr geehrter Herr Paulus,
mit einer gewissen Irritation las ich Ihren Satz: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet.“ Zu den grundsätzlichen Fragen werde ich später kommen, mein Erstaunen aber ist zunächst jenem Satz ein paar Zeilen zuvor geschuldet, der mir so anders angelegt zu sein schien: „Lasset euch dieser Welt nicht gleichschalten!“
Überdies meinte ich, sie hingen nach Ihrer Konversion jenem Jesus von Nazareth an, der von eben jener Obrigkeit nicht etwa durch das Schwert, sondern durch die wesentlich brutalere Hinrichtungsart der Kreuzigung ermordet worden war. Gewiss, aus Sicht der Römer völlig zu Recht, hatte er doch im Tempelbezirk randaliert, Tische der Opfertierhändler und Geldwechsler umgeworfen und so – zumal an Pessach – derart für Aufruhr gesorgt, dass den Römern zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung nichts anderes blieb, als staatlich zu intervenieren.
Dennoch vermute ich, dass Sie, geehrter Herr Paulus, jenen Jesus von Nazareth nicht als Bösen, zu Bestrafenden, erachten, wären Sie doch sonst kaum zu seinem Anhänger geworden. Ja, und was mich noch mehr erstaunt, ist der Umstand, dass auch Sie von eben jener Obrigkeit, die sie als gottgegeben ansehen, mehrfach in Haft genommen worden waren und oft nur durch ein Wunder, durch Erdbeben etwa, fliehen konnten und der Verurteilung, mutmaßlich auch zum Tode, entgingen. Und da behaupten Sie, die Obrigkeit sei „Gottes Dienerin dir zugut“?
Ja, wenn ein späterer Theologenkollege von Ihnen, ein Herr namens Martin Luther, die Obrigkeit anhimmelte, und verkündete, Gott wirke durch 2 Regimenter, das geistliche und das weltliche, dann ist mir das nachvollziehbarer, da er doch ganz und gar auf den Schutz und die Gunst seiner Obrigkeit angewiesen war, wollte er nicht dem Schicksale des Johann Hus, der 100 Jahre zuvor verbrannt worden war, ausgeliefert sein, ließ sich also im politischen Kampf seines Landesherrn gegen den spanischen Kaiser gerne instrumentalisieren, schlug m. E. aber doch über die Stränge, als er empfahl, aufständische Bauern abzuschlachten.
Aber Sie – mit Ihrer Geschichte?
Oder handelt es sich um taktische Aussagen, weil Sie mutmaßten, der römische Geheimdienst könnte Ihre Post öffnen und Sie, hätten Sie Ihre wahren Ansichten offenbart, erneute Verhaftung zu gewärtigen hätten?
Und wollten Sie die Gemeinde in Rom, jene, die im Zentrum des Bösen im Endkampf zu überleben suchte, zur Vorsicht ermahnen? Das schiene mir durchaus möglich, denn Sie schreiben: „Es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet“, genauer übersetzt: „Denn nicht ist Obrigkeit, wenn nicht von Gott, aber die bestehenden sind von Gott eingesetzt.“ Die bestehenden Ihrer Zeit von Gott eingesetzt? Das war zur Zeit der Abfassung Ihres Briefes Kaiser Nero!!! Und der hielt sich – in guter Kaisertradition – selbst für göttlich und war den Christen alles andere als wohlgesinnt!
(Auch wenn die gängige Hypothese, Nero hätte den Brand Roms den Christen in die Schuhe geschoben unlängst von einem britischen Historiker durch eine Neubewertung der entsprechenden Stelle bei Tacitus infrage gestellt wurde – wovon zum Glück Peter Ustinov – „oh loderndes Feuer“ – noch nichts wissen konnte).
Also: Ist dann wohl Ihre letzte Zeile der eigentliche Schlüssel? Ich zitiere: „So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.“ Das ließe sich – geschickt, geschickt – auch so verstehen: der Obrigkeit gebühren Zoll und Steuer, alles andere aber ist Gottes!
Ja, die Steuern, die entrichte ich auch. Nun ja, ich gebe nicht immer alles an, was ich so unter der Hand hinzuverdiene, denn nicht mit jeder Verwendung der Steuern bin ich einverstanden, betreibe hier also – natürlich in bescheidenem Umfang – sogar politischen Widerstand! Wissen Sie, das macht eigentlich jeder so oder fast jeder. Unmoralisch, sagen Sie? Ach, wissen Sie, die Moral ist ein flottierende Währung: Was gestern noch als unmoralisch galt, ist es heute oft nicht mehr. Ich halte mich selbst sogar für einen besonders moralischen Menschen, ich vertrete Doppelmoral – aber das ist kein Alleinstellungsmerkmal, ich befinde mich damit in ausgezeichneter Gesellschaft in meinem Lande. Aber Steuern sind grundsätzlich natürlich gut und richtig, auch ich profitiere von mit ihnen finanzierten Schulen, Straßen und und und.
Doch nun zum Grundsätzlichen: Obrigkeit von Gott? Also, wir wählen unsere Obrigkeit, und nach allerspätestens 16 Jahren wählen wir sie auch wieder ab. Und das ist auch gut so, dass wir unsere Obrigkeit nicht religiös überhöhen. In anderen Ländern auf unserer Erdkugel, in denen das durchaus noch oder wieder üblich ist, möchte ich nicht leben – man ist dort gemeinhin seines Lebens nicht sicher, denn die Obrigkeit allein legt fest, was gut und was böse ist – in ihrem Interesse, das nicht immer deckungsgleich mit meinem sein muss – und schon gar nicht mit dem der Frauen!
Und in unserem Land hatten wir einst eine Obrigkeit, personifiziert in einem Menschen namens Adolf Hitler, der war, das versichere ich Ihnen hoch und heilig, ganz gewiss nicht von Gott eingesetzt!
Wenn Sie damit aber nur andeuten wollten, es sei sinnvoll, dass es im weltlichen Leben staatliche Obrigkeit, Ämter, Verwaltungen, auch Ordnung und Ordnung gewährleistende Polizei und Gerichte gäbe, dann möchte ich Ihnen zustimmen. Ich halte Anarchie – also Abwesenheit aller Obrigkeit, also staatlicher Gewalt – nicht für lebensdienlich, kämen doch mutmaßlich als erste die Schwächsten unter die Räder.
Das Gute, sehr geehrter Herr Paulus, an unserem System: Staatliche Gewalt wird gewählt und oder abgewählt, das ist das eingebaute Korrektursystem. Auch wenn manche oder zunehmend viele behaupten, man dürfe sich in diesem Lande nicht mehr frei äußern, so scheint mir dies doch weit übertrieben, auch wenn ich nicht zu leugnen vermag, dass es mich erschüttert, wenn Politiker*innen bestimmter Couleur zunehmend Hass und Bedrohung ausgesetzt sind.
Aber, ein anderes Beispiel: Man darf sich in diesem Lande sogar, vorgeblich um unser Klima zu retten, auf Straßen oder Flugbahnen kleben und Sicherheitsglas vor Kunstwerken mit Kartoffelbrei beschmieren – wenn man bereit ist, die juristischen Konsequenzen zu tragen, was nur fair ist. Allerdings kann man sich natürlich auch fragen, wozu diese Aktionen dienen, dem Klima kaum, denn sie verweisen nicht auf das Problem, sondern selbstreferentiell auf die Aktion. Nun, hoffen wir, dass es den Protagonisten wenigstens das gute Gefühl gibt, auf der richtigen Seite zu stehen, sachgemäß tun sie es ja eigentlich.
Sie schreiben: „So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.“
Sehr geehrter Herr Paulus,
je mehr ich darüber nachsinne, bewundere ich Ihre Raffinesse: Für das Seelenheil relativ bedeutungslose Dinge wie Steuern und Zölle gilt es zu entrichten, da sind sie sehr konkret. Und im Entscheidenden bleiben sie allgemein: „Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.“ Ich verstehe es so: Im Zweifel ist Gott mehr zu gehorchen als der Obrigkeit, so haben sich Ihre Mitchristen ja auch geweigert, Soldaten zu werden oder den Kaiser als Gott anzubeten.
Aber was es im Einzelnen bedeutet, haben sie nicht konkretisiert: Sie schreiben: Es sei notwendig, sich unterzuordnen, „nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen.“ Ja, das Gewissen, das uns lehrt, was das Rechte und Gute und das zu meidende Böse ist. Ein hübscher Gedanke! Mit nur einem Strickfehler, meine ich: Schaue ich mir etwa die Geschichte meines Gewissens an, dann fällt mir auf, dass eben jenes Gewissen durchaus in der Lage ist, mir Gefälligkeitsgutachten zu erstellen. Kennen Sie das auch?
Ach, wie ich Sie zu kennen meine, höre ich geradezu Ihren empörten Ausruf: Mä gennoito! – Keineswegs! Lassen wir das, also vielleicht eine Art kollektives, somit untereinander sich korrigierendes System? Nun ja, es gab Zeiten, in denen, vor allem im südlichsten unserer Bundesländer, an Wahlsonntagen Kollegen einer anderen Konfession denn meiner von der Kanzel herab verkündeten, bei welcher Partei fromme Menschen ihr frommes Wahlkreuz zu setzen hätten.
Und meiner Kirche wirft man gelegentlich vor, sie sei nur noch politisch und linksliberal. Nun will ich gar nicht in Abrede stellen, das bei Einzelnen das politische Engagement zur Ersatzreligion mutierte, pauschal scheint mir dieses Urteil aber unangemessen, zumal der Einsatz für Geflüchtete, für Gottes Schöpfung, für Frieden und Gerechtigkeit dem Gotteswillen kaum stracks entgegen sein dürfte – so wie ich die Heiligen Schriften verstehe.
Natürlich, natürlich, da haben Sie recht, verehrter Herr Paulus, das ist auch subjektiv-eklektischer Umgang mit der heiligen Schrift. Aber notwendig! Einige Aussagen des Profeten Elia etwa klingen so, als hätte Björn Höcke – nur andere Vorzeichen setzend – bei ihm gelernt, damit möchte ich mich nicht gemein machen! Außerdem sind gerade Sie, verehrter Herr Paulus, selbst ein großartiges Beispiel für die Praxis eklektischen Umgangs mit der Schrift, Unsinn, man muss natürlich sagen: der Schriften.
Nun, ich möchte ein letztes Mal zu Ihrem grandiosen Schlusssatz zurückkehren: „Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.“ So allgemein, so auf den Heiligen Geist vertrauend, der uns schon helfen werde, die Geister zu unterscheiden. Ich mag das. In aller Hilflosigkeit: Ich mag das. Zur Habermasschen Hoffnung, durch herrschaftsfreien Diskurs zum Konsens zu kommen, werden wir wohl nie gelangen, aber wir könnten uns dem annähern, in der Überzeugung, man hätte selber recht, andere aber vielleicht ja auch; Hinhören wäre da was, wobei ein gewisser Dissens zwischen Verantwortungs- und Gesinnungsethikern wohl nie ganz zu eliminieren sein wird.
Aber eine roten Linie würde ich setzen wollen: Menschenverachtende Politik, ob von Obrig- oder von Untrigkeit, ist im Namen Gottes nicht zu rechtfertigen, sind doch ALLE Menschen seine Kinder!
Ach, lieber Paulus – ich darf Sie doch so anreden? – ich berufe mich dabei auch auf Sie, auf den nächsten Abschnitt Ihres Briefes, denn da heißt es: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Das ist die Zusammenfassung aller Gottesgebote. Da, lieber Paulus, stimme ich dir zu. Und ich schließe meinen Brief mit den Worten, mit denen du oft deine zu beschließen pflegst:
Die Gnade unseres Herrn Jesus sei mit dir – und mit uns allen. Amen.