Wo fängt Weihnachten an?
Gottesdienst am 26. Dezember 2024
Aus Johannes 1:
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.[1] 2 Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.[2] 4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.
Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. Es war in der Welt, und die Welt ist durch dasselbe gemacht; und die Welt erkannte es nicht. Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden: denen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus menschlichem Geblüt noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
Predigt:
Gnade sei mit euch und Friede. Gott gebe uns ein Wort für unser Herz und ein Herz für sein Wort. Er segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Gemeinde,
wo fängt es eigentlich an?
Wenn ich Sie frage: „Wie war Weihnachten?“, wo fangen Sie an zu erzählen: an Heiligabend, als das erste Geschenk ausgepackt wurde? Oder zwei Wochen vorher, als Sie das Geschenk ausgesucht und gekauft haben? Oder im September, als Sie geplant haben, wer zu Besuch kommen soll?
Wo fängt die Geschichte von Weihnachten an?
Auch die vier Evangelisten, die vom Leben Jesu erzählen, haben sich gefragt: Wo fängt das an, dass Gott in die Welt kommt?
Einer – Markus – hat gesagt: Das fängt an, als Jesus zum ersten Mal öffentlich in Erscheinung tritt, und das war, als Johannes ihn taufte. Ein anderer – Lukas – findet, das fing schon eher an, schon als Maria schwanger wurde. Der nächste – Matthäus – sagt: Ich gehe noch weiter zurück, bis zu den Wurzeln, zu den Vorfahren: Abraham ist der Stammvater, der erste, der Gottes Verheißung bekommt. Daraus leitet sich alles ab, auch Jesus. Und der vierte, Johannes, fängt noch früher an, ganz am Anfang nämlich: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, er schuf es durch sein Wort. Er sprach: „Es werde“, und es wurde.
Im Anfang war also das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Alle Dinge sind durch das Wort gemacht, und ohne das Wort ist nichts gemacht, was gemacht ist.
– so beginnt Johannes seine Erzählung davon, wie Gott in die Welt kam.
Am Anfang sprach Gott. Gott sprach und die Welt entstand, er sprach und die Menschen wurden. Dann sprach Gott zu den Menschen: zu Abraham und Sarah, zu Mose und Miriam und zu vielen anderen. Gott erklärte den Menschen seine Liebe und redete ihnen ins Gewissen. Er schenkte ihnen 10 Worte, Gebote, um ihr Leben danach auszurichten. Er sagte ihnen, wo’s lang geht, raus aus Ägypten, rein ins verheißene Land, weg ins Exil, zurück in die Heimat. Er sprach zu seinen Menschen durch die Propheten, wies sie zurecht, richtete sie auf, tröstete sie, erneuerte die Verheißung und versicherte seine Gegenwart. Worte Gottes aufgesammelt, weitergesagt durch die Jahrhunderte und Jahrtausende. Und was wir heute in den alten Texten nachlesen, ist noch immer Gottes Wort, das zu uns spricht.
Durch sein Wort baut Gott eine Brücke zu uns, er setzt sich zu uns in Beziehung. Ich glaube nicht, was manche meinen, dass Gott diese Welt erschaffen und dann sich selbst überlassen hat. Gott verschanzt sich nicht in seiner Transzendenz. Ich bin überzeugt, Gott will eine Beziehung zu uns.
Und wie macht man Beziehung? Durch Kommunikation, am einfachsten, indem man miteinander redet. Die Bibel ist ein Zeugnis dieses miteinander Kommunizierens von Gott und Mensch. Gottesworte und Menschenworte. Menschen antworten auf Gott, sie ver-antworten sich für ihr Tun, sie jammern und klagen, sie danken und loben, sie jubeln und jauchzen.
Helft mir spielen, jauchzen, singen,
hebt die Herzen himmelan,
jubele, was jubeln kann.
So hat der Chor gerade für uns gesungen.
Gott ist ein Gott des Wortes, schreibt Johannes, und als sein Ebenbild sind wir ebenfalls Wort-Wesen. Reden ist ein Grundbedürfnis des Menschen: Kinder kommen aus der Kita und quasseln den Eltern die Ohren voll. Jugendliche hängen am Handy und tauschen sich mit denen aus, die sie vor einer halben Stunde noch in der Schule gesehen haben. Und wenn älteren Menschen der Gesprächspartner wegstirbt, dann fehlt dem Leben etwas ganz Entscheidendes. Wenn mich etwas Schönes begeistert oder etwas Schweres bedrückt, dann will ich das teilen, will mich mitteilen. Sorgen lassen sich besser aushalten, wenn man darüber redet, Konflikte lösen, wenn man miteinander spricht.
Was für das Verhältnis zwischen Menschen gilt, gilt auch für unsere Beziehung zu Gott. Menschen liegen Gott im Ohr mit dem, was sie sich erhoffen, sie reden sich im Gebet ihre Sorgen von der Seele und werden ihre Fragen los, auch wenn sie nicht gleich eine Antwort bekommen. Wie in jeder Beziehung kann miteinander Schweigen natürlich auch mal ganz angenehm sein, aber nur, wenn nichts Unausgesprochenes in der Luft liegt. Zu langes Anschweigen stellt eine Beziehung in Frage. Auch davon erzählt die Bibel: Menschen beklagen, dass Gott schweigt. Gott beklagt, dass der Mensch nicht zuhört. Kommunikation kann auch misslingen.
Denn Worte sind ja beides: mal mächtig und mal ohnmächtig. Vieles, was gesagt wird, kommt nicht an. Vieles wird überhört – bewusst oder unbewusst. Manchmal kann man sich den Mund fusselig reden und es verpufft. Es hat kein Gewicht und hinterlässt keine Wirkung. Eltern kennen das zur Genüge, wenn man an die Kinder ranredet, dass es doch vernünftig wäre, dies oder jenes zu tun. Das prallt ab, genervtes Weg-Hören. Will man nicht wissen! Und ehrlich gesagt, machen wir Erwachsene das genauso: Wie oft haben wir gehört, dass wir mit unserer Lebensweise die Lebensgrundlage für künftige Generationen gefährden, wenn nicht zerstören. Der Mensch besitzt genug Logos, genug Vernunft, um zu wissen, dass das nicht gut gehen kann. Dass es auch nicht gut gehen kann, wenn in unseren Gesellschaften Wohlstand so ungerecht verteilt ist. Das hören wir nicht so wirklich gerne. Da fangen wir dann an über Worte zu feilschen: Was ist eigentlich reich und wer definiert das? Da bleiben lieber bei den Worten. Und was gesagt wird, bleiben dann eben auch „nur Worte“. Ohnmächtige Worte.
Und dann gibt es auf der anderen Seite die Macht-Worte oder macht-volle Worte. Sie können Welten erschaffen und zerstören. Sie können die Welt verändern. Sie bewirken auf jeden Fall etwas. Kein Wunder, dass Goethe einst seinen Faust das Johannes-Zitat „Am Anfang war das Wort“ umformulieren ließ. Aus „Wort“ wird unter seiner Feder erst „Sinn“, dann „Kraft“ und schließlich „Tat“. „Am Anfang war die Tat.“ Wenn Gott spricht, tut er etwas. Er erschafft. Auch menschliches Wort kann Fakten schaffen. Die Worte „Der Angeklagte wird schuldig gesprochen“ verändern ein ganzes Leben. „Ich erkläre euch zu Mann und Frau“ ebenfalls. Menschliche Worte können nachhaltig beschämen, kränken, verletzen, sie können genauso wirkungsvoll trösten, aufrichten, heilen.
Wenn Gott spricht, will er das Gute. Das war von Anfang an so. „Und siehe es war sehr gut“, heißt es über das, was Gottes Wort ganz am Anfang schafft. Und als es dann nicht gut wurde, setzt Gott einen neuen Anfang: Am Anfang war das Wort und das Wort ward Fleisch.
Gott versucht neu, durch sein Wort mit uns in Beziehung zu treten, diesmal anders: Da muss Fleisch ran ans Wort, mehr Substanz. Ein Wort, das nicht nur ein Laut ist, ein Atemzug, der verweht, hier rein, da raus, sondern ein Wort aus Fleisch und Blut. Zum Be-greifen. Zum ergriffen-Werden. Zum angefasst- Werden. Ein Wort, das berühren kann, ein Wort, das selbst Hände hat, um zu berühren. Gott teilt sich auf ganz neue Weise mit. Man könnte sagen: Ein neues Beziehungslevel ist erreicht. Gott will näher rankommen an die Menschen, damit niemand mehr weghören kann oder dran vorbeisehen. Deswegen malt Johannes sein Bild gleich weiter aus: nicht nur Wort, auch Licht kommt in die Welt: Gott zum Hören und zum Sehen. Das Wort wohnte unter uns, das Licht kommt in die Finsternis. Gott involviert sich in dieser Welt. In unserer Menschlichkeit. Näher geht nicht.
Wo fängt Weihnachten an? Mit Gott, der uns anspricht. Mit Gott, der Mensch wird, damit wir ihn hautnah erleben können. Mit einem Kind in der Krippe. Damit wir Kinder Gottes sein können. Und ja, auch das fleischgewordene Wort ereilt das Schicksal aller Worte: Man kann es hören oder über-hören. „Und die Welt hat’s nicht ergriffen.“ Johannes, der ca. 100 Jahre nach Jesus Tod schreibt, ist realistisch. Gott kommt, aber er kommt nicht überall an.
Wo fängt Weihnachten an? Ich denke, wir können die Frage nur so individuell beantworten wie die 4 Evangelisten das getan haben. Also: Wo fängt Weihnachten für mich an, für Sie? Wo und wie kommt Gott bei uns an?
Vielleicht würde eine sagen: Weihnachten beginnt, wenn ich bei O du fröhliche Gänsehaut bekomme. Ein anderer: Dann, wenn an Heiligabend alle im Bett sind, ich in die Kerzen schaue und innerlich ganz ruhig werde. Oder: Dann, wenn meine erwachsenen Kinder zu Besuch sind und miteinander rumalbern, als wären sie noch 5 Jahre alt. Oder: Wenn wir alles, was wir uns nicht schenken, weil wir eh schon alles haben, an Brot für die Welt spenden. Oder: Wenn ich am Ende des Jahres zurückblicke auf das, was mir nicht gelungen ist und weiß, es ist trotzdem ok, ich bin ok. Oder: Wenn ich darüber staune, dass ich trotz allem, was in dieser Welt und meine Leben schiefläuft, zuversichtlich bleibe und das Gottvertrauen nenne. Wenn ich einstimmen kann, in das, was der Chor gesungen hat:
Mein’ Leib, mein’ Seel, mein Leben,
und was er mir sonst geben:
er mach’s, wie’s ihm gefällt.
Weihnachten beginnt, wo ein Wort uns ergreift, eine Geste uns berührt, ein Lied uns fröhlich stimmt. Da beginnt Weihnachten. Und wo hört Weihnachten eigentlich auf? Heute am 2. Weihnachtsfeiertag? Oder dann, wenn der Besuch wieder abgereist ist? Wenn der Baum abgeräumt wird und das Jesuskind aus der Krippe in der Schublade verschwunden ist? Oder irgendwann unmerklich, wenn das Gefühlsduselige vorbei ist und wir zurück in der alltäglichen Routine?
Sie ahnen es schon: Wenn Weihnachten wirklich ankommt, dann hört es glücklicherweise nicht auf, auch wenn wir es nicht immer gleich stark spüren. Nähe Gottes ist nicht jahreszeitlich limitiert. Wir können das Wort, das uns angesprochen hat, mitnehmen, weitertragen, umsetzen – oder um noch einmal mit Buxtehude zu sprechen:
Greif an das Werk mit Freuden,
dazu mich Gott bescheiden
in mein’m Beruf und Stand.
Nehmen Sie das Wort mit, das das Gute schafft, denn es will bei uns wohnen. Mögen wir ihm Herberge geben in unserem Leben. Amen.