Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Auf die Reise

Auf die Reise

Gottesdienst zum Ferienbeginn
Pastorin

Andrea Busse

5. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zu Apostelgeschichte 8, 26–39

Bibeltext:

Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, ihr Schatzmeister, war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja. Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen! Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest? Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. Die Stelle aber der Schrift, die er las, war diese: »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.« Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem? Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Schriftwort an und predigte ihm das Evangelium von Jesus. Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert’s, dass ich mich taufen lasse? Und er ließ den Wagen halten und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich.

Predigt:

Es ist Sommer, in wenigen Tagen beginnen die Ferien und für viele Menschen heißt das: Reisezeit. Es gibt sehr unterschiedliche Arten zu verreisen: Die einen reisen, um irgendwo weg zu kommen, um auf Ab­stand zu gehen, um Distanz zwischen sich und das Gewohnte, den Alltag, die Arbeit zu bringen. Andere reisen, um irgendwo hinzukommen: um Menschen zu besuchen, mit denen man sonst nicht so viel Zeit verbringen kann oder um neue Ort zu entdecken. Manche fühlen sich am wohlsten, wenn sie alle Jahre wieder in das ver­traute Ferienhäuschen nach Dänemark fahren, andere reizt es, die entlegensten Winkel der Welt zu erkunden. Manche verbringen Aktiv- oder Abenteuerurlaub, machen Rund­reisen, Fahrrad- oder Wandertouren, bleiben also immer in Be­wegung. Andere wollen nur eines: Sich in die Hängematte fallen lassen, sich möglichst wenig rühren, einfach mal alle Viere von sich strecken und ohne Termine oder Programm chillen. Also die Ziele, zu denen oder mit denen man reist, sind sehr verschieden und zwar nicht nur in geographischer Hinsicht.

Der Reisende, von dem wir gerade in der Lesung gehört haben, der Kämmerer aus Äthiopien, er hat ein ganz besonders Ziel: Jerusalem, die heilige Stadt, und er weiß auch, was er dort machen will: anbeten. Er ist damit eine ziemliche Ausnahmeerscheinung, denn in biblischen Zeiten war Reisen kein Vergnügen, sondern an­strengend und gefährlich. Man war zu Fuß unterwegs, oder wenn es ein längerer Weg war dann auch mit Esel, Pferd oder Kamel. Nur wer richtig reich war, konnte sich einen Wagen leisten, der von zwei Pferden gezogenen wurde. Unser Mann war offensichtlich wohlhabend genug: als Mächtiger am Hof der Königin von Äthiopien wird er beschrieben, ihr Schatzmeister. Er hat also Karriere gemacht, er hat finanziell ausgesorgt, aber er legt sich nicht in die Hängematte und chillt. Selbst in einem Wagen ist es eine sehr lange Reise, die er da auf sich nimmt: mehrere Tausend Kilometer zum Teil durch Wüstengebiet. Das muss man schon wollen. Er wollte. Er wollte anbeten. Er, der kein Jude war, ist auf der Suche nach Gott. Er reist zum Tempel, er kauft sich eine Schriftrolle, er versucht zu verstehen. Das ist mehr als eine Bildungsreise, das ist eine religiöse Suche. Dieser Mann hat alles und doch fehlt ihm etwas.

Auch bei uns machen sich viele Leute im Sommer auf die Suche: Auf die Suchen nach neuen Eindrücken, nach Gemein­schaftserlebnissen als Familie, Freundeskreis oder auch mit Fremden in einer Reisegruppe. Viele suchen sicher einfach nach Ruhe und Erholung, nach Unterbrechung und Verände­rung. Für manche ist die Urlaubszeit die Chance nachzuspüren: Was fehlt? Was kommt sonst in meinem Leben zu kurz? Und je länger man sucht, je tiefer man blickt, desto mehr landet man bei den Fragen nach dem Wesentlichen. Die Unterbrechung im Sommer – sei es nun auf Reisen oder auf Zuhause – sind ein guter Anlass, dem nachzuspüren. Aber eigentlich ist das eine Frage für die gesamte Lebensreise: Ziehe ich meine Straße fröhlich oder fehlt etwas?

Unser Äthiopier ahnt, dass dieser Gott, der im Tempel von Jerusalem verehrt wird, eine Antwort auf seine Lebensfragen sein könnte. Deswegen macht er sich auf die weite Reise und obwohl er schon wieder auf dem Heimweg ist, sucht er immer noch. Er sucht in den Prophetenworten einen Sinn für sich zu finden. So einfach ist das offensichtlich nicht. Er versteht es nicht. Wie soll er auch, wenn niemand es ihm erklärt.

Aber Gott schickt einen Erklärer. Gott schickt Philippus auf die Reise. Eigentlich auf eine Reise ohne genaues Ziel, an eine öde Straße soll Philippus sich stellen. Wozu das denn bitte? Aber Philippus fragt nicht lange, er „stand auf und ging“, so berichtet es die Apostel­geschichte. Und vielleicht erleben wir das auch immer mal wieder in unserem Leben, dass Gott uns auf eine Reise schickt, in der wir gar nicht das Ziel aussuchen können und uns eher fragen, was dieser Umweg jetzt soll. „Der uns in frühen Zeiten, das Leben eingehaucht, der wird uns dahin leiten, wo er uns will und braucht.“ – so haben wir gesungen. Gott jedenfalls schickt seinen Engel, er schickt seinen Geist, damit Philippus zum Schatz­meister in den Wagen steigt und diese beiden einander zu Reisegefährten werden können.

Auch wir brauchen immer wieder Reisegefährten, Lebens­beglei­terinnen, die sich zu uns setzen, sich Zeit nehmen, unsere Fragen anhören, uns beraten, mit uns gemeinsam nach dem besten Weg suchen. Das Patenamt beinhaltet genau das: eine Art „Lebensreisebegleitung“. Sie, die Patinnen und Paten, haben heute versprochen, für Anouk bzw. für Olivia Bezugs­personen zu sein, vielleicht sind Sie es auch schon länger. Sie leben den beiden vor, was für Sie im Leben wichtig ist und zählt, worauf Sie ihr Vertrauen setzen und was Ihnen Orien­tierung bei Lebensentscheidungen gibt. Das heißt nicht, dass Sie immer auf alles eine Antwort haben müssen. Interes­santer­weise wird gar nicht genau erzählt, wie Philippus die Bibel­stelle aus der Jesajarolle eigentlich erklärt, aber er spricht von dem, was ihn selbst überzeugt und seinem Leben einen Sinn gibt.

Es ist auch nicht Philippus, der sagt: „Es ist sicher gut, wenn du dich taufen lässt.“ Nein, die beiden sind einfach miteinander unter­wegs, auf der Reise, sie fahren die Straße dahin – so heißt es. Und es ist der Kämmerer, der das Wasser sieht und fragt: „Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse!“ Auch bei Anouk und Olivia haben nicht die Eltern entschieden, „Ihr solltet jetzt mal!“, sondern ihr habt gefragt: „Kann ich nicht getauft werden?“ Es fühlt sich für euch richtig an, eure Lebens­reise unter Gottes Segen zu stellen. Ihr werdet damit auch Mit­glied in unserer Gemeinde. Hier sind lauter Menschen unterwegs, die sich immer mal wieder – allein oder gemeinsam – die Frage stellen: Wohin soll die Reise gehen? Was leitet uns? Wer behütet und bewahrt uns auf unseren Wegen?

Wir alle sind immer wieder auf der Suche. Das ist auch gut so. Ob wir schon lange getauft sind oder erst ganz kurz wie ihr beide oder noch gar nicht – wenn wir hier zusammenkommen, dann sind wir auf dem Weg wie der Kämmerer. Wir schauen auf die heiligen Texte und versuchen sie zusammen zu verstehen. Wir versuchen das zu finden, was wir für unser Leben brauchen: Trost in Krisen, Ermutigung, wenn wir unsicher sind, vielleicht auch Ermahnung, wenn uns alles zu gleichgültig wird, Orientierung, wenn wir nach dem richtigen Weg suchen. Wir sind zusammen auf dieser Reise und werden einander immer wieder neu zu Begleiterinnen und Gefährten.

Und was uns auf dieser Reise verbindet, ist das Vertrauen, dass Gott uns seine Engel schickt, seinen Geist, die Erkenntnis die wir brauchen und die Menschen, die uns begleiten, damit wir im Endeffekt – wie der Kämmerer – unsere Straßen fröhlich ziehen. Sei es im Alltag zuhause oder im Urlaub auf Reisen. Gottes Segen möge uns alle dabei begleiten. Amen.