Bibeltext:
Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen. Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.
Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an: wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass der Sommer schon nahe ist. So auch ihr: Wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist. Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht. Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen. (Lukas 21, 25–33)
Predigt:
Liebe Gemeinde,
„O Heiland reiß’ die Himmel auf“ – haben wir gerade gesungen. Das klingt fast brutal. Nicht: „Oh Heiland, komm sanft aus dem Himmel zu uns herabgeschwebt!“ Nein: „Reiß die Himmel auf, reiß Schloss und Riegel ab.“ Das Lied stammt auch aus einer brutalen Zeit. Es ist während des 30-jährigen Krieges entstanden. Geschrieben hat diese Zeilen Friedrich Spee. Ein Priester – ein mutiger Mann, der seinen Mut mit dem Leben bezahlen musste.
Spee erhielt von seiner Kirche in dieser Zeit eine Sonderaufgabe: Er wurde zum Beichtvater der Frauen ernannt, die in Hexenprozessen angeklagt und meist gefoltert, verurteilt und verbrannt wurden. Das war eine Erfahrung, die ihn nicht mehr losgelassen hat. Dass selbst 9-jährige Mädchen als Hexen verurteilt wurde, dass diese Frauen oft unschuldig unendliche Qualen erleiden mussten, das hat er hautnah erlebt. Und er – er konnte kein Urteil verhindern, er konnte nur trösten und begleiten bis zum Scheiterhaufen und so schreit er Gott an: „Wir leiden hier die höchste Not.
Wo bleibst du Trost der ganzen Welt?
Die Grausamkeit des Kriegs, die Unmenschlichkeit dieser Hexenprozesse, Seuchen, die grassieren und Spee im Endeffekt selbst das Leben kosten, – es ist eine unendliche leidvolle Zeit. Die ganze Welt scheint aus den Angeln. Eigentlich genauso wie Lukas es zuvor in seinem apokalyptischen Text beschrieben hat, den wir gerade gehört haben: Himmelskörper, Erde und Meer geraten ins Wanken – und die Menschen in Angst. Apokalypse gibt es nicht nur im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, sondern auch in den Berichten der Evangelisten. Lukas beschreibt hier eine Umkehrung der Schöpfung. In der Schöpfungsgeschichte bringt Gott Ordnung ins Chaos und siehe es ist gut. Hier stürzt der Kosmos zurück ins Tohowabohu und nichts ist mehr gut. Diese apokalyptischen Texte spiegeln auch das Leid, dem die Christinnen und Christen im 1. Jahrhundert ausgeliefert waren: die Anfeindungen, Verfolgungen und Hinrichtungen im römischen Reich. Und sie sprechen von ihrer Sehnsucht, dass Christus bald wiederkommen und sie erlösen möge. Diese Zeit war geprägt von der sogenannten Nahewartung: „Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis das alles geschieht“ so schreibt Lukas. Man erwartete, man erhoffte die Wiederkunft Christi noch zu den eigenen Lebezeiten, obwohl Lukas selbst an anderer Stelle betont: Keiner weiß wann das geschehen wird!
Apokalyptisch ging es in der Menschheitsgeschichte immer wieder zu. Christenverfolgung, Hexenverbrennungen, Kriegsgeschehen, das ist für uns historisch und /oder geographisch weit weg. Aber die Femizidquote sagt uns, dass auch heute in Deutschland fast jeden Tag eine Frau ermordet wird, ohne, dass sie irgendein Unrecht auf sich geladen hat. Wir kennen auch die Bilder von der Grausamkeit des Krieges, des Terrors, des Hungers. Und spätestens der Klimawandelt hat uns klar gemacht, dass diese Erde endlich ist. Weltuntergangsszenarien gibt es auch heute und gerade junge Menschen leiden psychisch darunter, dass ihre Welt sich so unsicher, chaotisch und bedroht anfühlt.
Und dann gibt es noch die ganz persönlichen Apokalypsen: Eine große Liebe oder langjährige Beziehung scheitert und nichts ist mehr wie vorher. Eine Krankheit verändert die Vorzeichen für das ganze Leben oder verkürzt die Zukunft. Der berufliche Weg hat in eine Sackgasse geführt und das Gefühl macht sich breit, am Ende zu sein. Für den, den es trifft, kann sich das wie ein Weltuntergang anfühlen.
Wo bleibst du Trost der ganzen Welt?
Dieser Adventssonntag wirft uns in eine Stimmungsachterbahn. Vermutlich sind Sie hierhergekommen, um eine besinnliche Stunde zu genießen. Um zu sehen, wie die 2. Kerze am Adventskranz angezündet wird. Vielleicht um sich zwischen hektischen Besorgungen und Erledigungen, zwischen gemütlichen Adventsfeiern und Glühweintreffen an das zu erinnern, worum es im Advent geht: die Ankunft Christi. Wir warten darauf, dass Christus kommt.
Und genau davon schreibt Lukas. Aber wir hatten da doch mehr das liebliche Kind in der Krippe vor Augen als den endzeitlichen Retter. Unser innerer Countdown läuft eher auf einen Anfang zu: auf eine Geburt, auf das neue Leben. Und jetzt geht es hier um den Countdown auf das kosmische Ende hin. Das irritiert und verwirrt, es stört doch auch. Es stößt uns unsanft auf die Tatsache, dass auch Krippe und Stall nicht idyllisch waren, auch wenn wir uns das gerne so ausmalen. Kein Mensch stellt sich auf der Wohnzimmeranrichte als Weihnachtsdeko ein Flüchtlingscamp auf, dabei war der Stall auch nicht viel anderes als eine Notunterkunft.
Und die Ambivalenz ist ja da: Die Nachrichten über das Gemetzel im Sudan und den Beschuss in der Ukraine hören nicht auf, weil wir hier Lichterketten aufhängen. Der die Überschwemmungen in Südostasien hinterlassen 1500 Tote und für die andere ein Leben in Trümmern, während die Weltklimakonferenz in Belem Enttäuschung hinterließ. Und eine Bekannte von mir kämpft weiter um das Leben ihres 6-jährigen Kindes, das an Leukemie leidet. All das auch im Advent.
Die Klage über das Leid, auch die Angst vor Bedrohung – sie braucht ihren Raum, sie kann nicht unter den Teppich gekehrt oder verschwiegen werden. Es ist kein Zufall, dass apokalyptische Vorstellungen ein eigenes, sehr erfolgreiches Filmgenre hervorgebracht haben: Da kann man – inzwischen sehr professionell animiert – endzeitliche Katastrophen wie Fluten, Meteoriteneinschläge oder neuartige Seuchen die Menschheit bedrohen sehen. Manchmal gibt es dann eine Heldenfigur, die in letzter Minute doch noch die völlig Katastrophe abwendet. Eine Figur, die dann Züge eines Heilsbringers trägt. Oft endet das Ganze aber auch tragisch.
Bei Lukas nicht. Der christliche Endzeit-Countdown endet nicht in Hoffnungslosigkeit:
Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!
Mit dieser Kernaussage schafft es Lukas, selbst die Apokalypse hoffnungsvoll zu intonieren. Nicht Drama, sondern Happy End. Trost ist nahe! Denn alles Schreckliche wird ein Ende haben. Welches Schicksal mich auch trifft, welche Herrscher die Welt in Trümmer legen – nichts hat unbegrenzte Macht. Am Ende kommt Erlösung. Lukas redet nichts schön – das tut er nun ganz und gar nicht. Die Klage über den Zustand der Welt und die Sehnsucht nach Erlösung sie brauchen ihre Stimme und sie finden sie bei Lukas oder auch bei unserem Liederdichter Friedrich Spee. Aber sie haben nicht das letzte Wort. In den drastischen Beschreibungen wird die Angst ernst genommen. Lukas geht mit seinen kosmischen Bildern durch alle Befürchtungen hindurch, er erkennt die Bedrohung an. Aber obwohl sie so groß ist, gibt es etwas Größeres. Das ist seine Adventsbotschaft.
Wir müssen uns nicht wegducken, sondern wir können das Haupt heben. Es ist eine adventliche Körperübung: Wer den Kopf heben will, der muss sich gerade machen, das ändert die ganze Körperhaltung. Schon das „Kopf Heben“ richtet uns auf. Und dieses Aufrichten ist bei Lukas kein banales „Kopf hoch“. Lukas wagt es ja wie kein anderer, darüber nachzudenken und zu schreiben, was falsch läuft und was ein Ende haben müsste. Sie alle kennen sicher seinen viel berühmteren adventlichen Text: das Magnificat, das Loblied der Maria. Ein revolutionäres Lied: „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.“ – heißt es darin. Das stellt die Welt auf den Kopf. Genauso wie das Kind in der Krippe all unsere Vorstellungen von einer „Retterfigur auf den Kopf stellt. Und doch ist genau dieses Kind die versprochene Erlösung, die naht.
Der Schlüssel liegt vielleicht am meisten im letzten Wort: Es geht um Erlösung, die naht. Erlösung, die uns nahekommt. Sie geht eben nicht über unseren Kopf hinweg, wie so viele der apokalyptischen Entwicklungen. Der Erlöser kommt uns nahe. Und darauf setzen wir, wenn wir heute hier sind. Wir kommen ja hierher mit der Sehnsucht, dass Gott uns nahekommt, dass wir etwas von ihm spüren. Dass er greifbar wird. Und das ist Weihnachten: Gott zum Greifen, zum Anfassen. Und wenn Gott dafür Mensch werden muss, um Menschen nahe kommen zu können, sie berühren zu können, dann wird er Fleisch und Blut. Näher geht nicht.
Auch Weihnachten macht keine heile Welt. Nicht Im Sudan, nicht in Indonesien, nicht auf der Kinderkrebsstation. Lukas lässt in diesem sperrigen Text die ganze Ambivalenz zu. Die Welt, mein Leben bleibt erlösungsbedürftig. Lukas macht den Rundumschlag durch unsere Lebensbefindlichkeiten – mit all dem Bedrohlichen, was wir erleben, mit der Sehnsucht, dass es anders sein könnte. Und mit der festen christlichen Zuversicht, dass es anders werden wird. Deswegen:
Seht auf, hebt eure Häupter, denn die Erlösung kommt euch nahe!
Amen.