Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Die Schlumper in St. Johannis

Die Schlumper in St. Johannis

Gottesdienst zur Ausstellungseröffnung
Pastorin

Andrea Busse

Predigt am 26. Oktober

Predigt zu Kunstwerken & zu 1. Könige 8

Bibeltext:

Die Lesung aus dem Alten Testament, aus dem 1. Buch der Könige erzählt davon, dass Gott König David zugesagt hat, dass sein Sohn, einen Tempel bauen wird. Und so ist es geschehen. König Salomo, der Sohn und Nachfolger von David, weiht den neuen Tempel ein. Er sagt:

So habe ich nun ein erhabenes Haus gebaut dir zur Wohnung, eine Stätte, dass du ewiglich da wohnest. (…) Und Salomo trat vor den Altar des HERRN angesichts der ganzen Gemeinde Israel und brei­tete seine Hände aus gen Himmel und sprach: HERR, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knech­ten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen; der du gehal­ten hast deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast. Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit deiner Hand hast du es erfüllt, wie es offenbar ist an diesem Tage. Nun, HERR, Gott Israels, halt deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast: Es soll dir nicht fehlen an einem Mann, der vor mir steht, der da sitzt auf dem Thron Israels, wenn nur deine Söhne auf ihren Weg achthaben, dass sie vor mir wandeln, wie du vor mir ge­wandelt bist. Nun, Gott Israels, lass dein Wort wahr werden, das du deinem Knecht, meinem Vater David, zugesagt hast. Denn sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Him­mel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe? Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, HERR, mein Gott, auf dass du hörst das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir.

Predigt

Liebe Gemeinde, liebe Schlumper,

für Sie als Künstler:innen ist es sicher nicht alltäglich, in einer Kirche auszustellen. Als ich angefragt habe, ob das möglich ist, habe ich mich deswegen auch sehr über die positive Antwort gefreut. Dies hier ist ein besonderer Raum, um Kunst­werke darin aufzuhängen und zu zeigen. Sie haben sich diesen Raum vorher angeguckt. Wir sind gemeinsam rumge­gangen. Sie haben entdeckt, dass es hier schon viele Bilder, schon andere Kunstwerke gibt – in den Fenstern z.B. aber auch auf diesen runden Steinmedaillons. Und das hat Sie inspiriert, ebenfalls auf runde Form zu malen oder auf andere Weise mit den runden Formen zu arbeiten, z.T. sogar dreidimensional. Sie haben speziell für unserer Kirche Kunst geschaffen – in der Form, manche von Ihnen auch inhaltlich.

Wir haben z.B. im hinteren Kirchenschiff links unseren Namens­patron hängen. Der Johannis, den Sie, Horst Wäßle, geschaf­fen haben, sieht ganz anders aus, als der, der hier vorne in einem unserer Kirchen­fenster abgebildet ist.

Bei Ihrem Johannis fallen mir die aufgerissene Augen und der große Mund auf. Johannis der Täufer hatte einen sehr wachen und genauen Blick auf seine Zeit, auf seine Zeitgenossen und er hat sich nicht gescheut, den Mund aufzureißen und man­ches, was schieflief, auch lautstark zu kritisieren. Er war es auch, der mit seinem aufmerksamen Blick gleich erkannt hat: Der ist’s, dieser ist Gottes Sohn.

Johannis der Täufer ist in den biblischen Berichten einer, der auf Jesus hinweist. Auf einem der berühmtesten Gemälde auf dem Isenheimer Altar von Matthias Grünewald aus dem 16 Jh. sieht man Johannis mit seinem langen Zeigefinger auf Jesus deuten. Hier in Ihrem Bild sehe ich das auch: der lange Arm, mit dem sich Johannis fast selbst zu umarmen scheint, deutet nach oben. Himmelwärst. Er deutet über sich hinaus, auf etwas anderes. Ich habe selten einen so ausdrucksstarken Johannis gesehen wie diesen und freue mich, dass er ein paar Wochen in unserer Kirche wohnen und hoffentlich viele Menschen ansprechen wird.

Johannis weist auf den Himmel und da passt es, dass uns die Künstlerin Stefanie Bubert, einen Himmel gemalt hat. Diesen können Sie hier vorne sehen – in dunklem Blau mit einer großen weißen Wolke, die an den Rändern etwas ausfranst, und in etwas hellerem Blau steht das Wort „Himmel“ auf dem Bild. Damit holt Stefanie Bubert für ein paar Wochen den Himmel in unsere Kirche hinein. Etwas, was eigentlich unmög­lich ist. Und doch ist es irgendwie naheliegend. Wenn ich Kinder frage, wo ist Gott, dann sagen sie oft: Der wohnt im Himmel ODER in der Kirche. Und beide Antworten sind irgend­wie richtig und auch nicht ganz. Schon vor Jahrtau­senden haben Menschen gespürt, dass Gott so weit und groß ist, dass selbst der unendliche Himmel ihn nicht fassen kann.

„Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen“

– sagt Salomo, als er seinen Tempel einweiht. Und doch hat er ein Gotteshaus gebaut Gott zur Wohnung, so sagt er in seinem Gebet, „eine Stätte, dass du, Gott, ewiglich da wohnest.“

Im Alten Orient war ein Tempel nicht in erster Linie ein Ort, wo Gläubige sich versammeln, so wie wir das heute tun, sondern eine Wohn­stätte für Götter oder im Judentum für den einen Gott. Es war der Versuch, Gott greifbar zu machen. Nahbar, vielleicht auch verfügbar. Aber schon Salomo wusste: Das funktioniert so nicht.

Der Himmel ist der Gegenentwurf zu einem Haus aus festen Steinen. Er ist offen und weit und groß. Angemessener als Wohnort für einen unendlichen Gott, der sich eben nicht greifen lässt. „Vater im Himmel“ beten wir deswegen. Das Problem ist: auch der Himmel hat einen festen Ort – nämlich oben. Vielleicht ist es nur bei uns im Deutschen ein Problem, weil wir nur ein Wort haben für „sky“ – das ist das, was da oben blau ist oder auch mal grau und wo die Wolken hängen und „heaven“, das ist der Himmel, der keinen festen Ort hat oder vielleicht eher einen Ort in uns hat. Und das kann eben auch ein Ort der Gottesnähe sein. Ich kann diese Unterscheidung in dem Bild hier vorne auch sehen. Stefanie Bubert hat etwas gemalt, das eindeutig als Himmel erkennbar ist – Blau mit Wolke – und dann trotzdem noch das Wort „Himmel“ er­gänzt, denn Himmel ist eben mehr als, das was da über unseren Köpfen schwebt blau und mit Wolke. Für mich steckt mit diesem Schriftzug beides – sky und heaven – in diesem Bild.

So wie Johannes aus seinem Bild hinausweist, wenn er auf Jesus deutet, so deutet dieses Himmelbild über sich hinaus, wenn wir fragen: Wo wohnt Gott? So weisen auch Kirchen als Gebäude über sich hinaus – mit ihren hohen Türmen deuten auch sie gen Himmel.

Salomo war ein weiser Mann, das ist sprichwörtlich. Obwohl er sich darüber im Klaren ist, dass Gott nicht an einem festen Ort wohnt, baut er ihm ein Haus. Weil er nämlich weiß, dass wir Menschen einen Ort brauchen, an dem wir Gott besser zu fassen kriegen. Einen Ort zumindest für unsere Frage „Wo ist Gott?“

Und manchmal ist diese Frage ja ganz dringlich. „Wo ist Gott eigentlich?“ Manchmal haben wir ja wirklich das Gefühl, der Himmel über unseren Köpfen ist leer. Oder schlimmer noch: Er ist voll mit Drohnen, mit Raketen. Wo ist da Gott? Die ganze Grausamkeit des Kriegs stellt Gott in Frage. Wie kann er das zulassen, wo ist er denn da?

Und auch wenn wir nicht in die große Weltpolitik schauen, sondern in unser Leben, da gibt es genügend Momente, wo wir Gott nicht spüren: Momente der Trauer, der Angst der Einsam­keit.

Wir erleben dieselbe Spannung, die Salomo benennt: Gott ist nah und fern. Manchmal ist er mir ein Halt und ich finde in meinem Glauben Geborgenheit. Und manchmal ist er einfach nicht zu greifen, un-begreifbar auch. Und dann brauche ich einen Ort, wo ich mit meinem Fragen hingehen kann. Dann brauche ich auch Bilder, wie ich sie hier in der Kirche finde:

Dieses ganz zentrale Bild z.B. hier vorne am Altar in Gold. Das lässt mich eine Antwort zumindest ahnen auf die Frage: Wo ist Gott, wenn Menschen im Krieg leiden? Die Antwort, die mir dieses Bild gibt, heißt: Er leidet selbst, er leidet mit, er ist an der Seite der Opfer, selbst im Sterben.

Die Kunstwerke, die wir hier in der Kirche sehen, sie erzählen alle auf unterschiedliche Weise davon, wo und wie Gott ist. Hier vorne im runden Steinmedaillon sehen sie den Barmherzigen Sama­riter. Auch er zeigt uns, wo wir Gott finden. Nämlich in unserem Nächsten, der uns braucht oder den wir brauchen.

Dieses Steinmedaillon hier an der Seite erzählt davon wie Jesus ein Mädchen auferweckt. Talita Kumi! Steht daneben – auf aramäisch, der Muttersprache von Jesus heißt das: Steh auf! Richte dich auf! So heißt heute eine Schule im Westjor­danland, wo palästinensische Kinder eine Schulbildung bekommen, palästinensisches und deutsches Abitur machen können – und damit eine Chance auf eine Zukunft haben. In solchen Projekten zeigt sich für mich Gottes Gegenwart, wo Hoffnung mitten in dieser von Ausweglosigkeit geprägten Region entsteht. Da wird für mich Gott greifbar.

Wir brauchen viele Bilder, die von dieser Hoffnung erzählen, wir können gar nicht genug davon bekommen. Und so freue ich mich von ganzen Herzen über diese neuen Kunstwerke, die jetzt einen Monat lang in unserer Kirche hängen.

So wenig, wie wir Gott in ein Gebäude einsperren können, so wenig können und sollen wir ihn in ein Denkgebäude ein­sperren. Und deswegen reicht nicht ein Bild, deswegen ist es wichtig, die biblischen Bilder und Erzählungen fortzuschreiben mit dem was Menschen heute zu sagen und zeigen haben.

Das Schöne an Kunstwerken ist ja ihre Offenheit. Natürlich drückt der Künstler, die Künstlerin etwas ganz Bestimmtes damit aus. Aber trotzdem kann und darf ich als diejenige, die das Bild anschaut, auch etwas anderes darin entdecken, etwas darüber hinaus. So werden diese Bilder – unsere alten Stein­reliefs genauso wie die neuen runden Bilder eine Art Guck­löcher für uns in eine andere Wirklichkeit. Es sind Fenster, die uns helfen hinauszuschauen, sie helfen uns das Leben zu ent­decken in seiner ganzen Vielfalt, seiner Rätselhaftigkeit, seiner Schönheit und Verwundbarkeit, seiner Verletztheit, Begrenzung und Kreativität. Und in all dem können wir Gott entdecken: als den Schöpfer und Bewahrer, den Unverständlichen und den verlässlichen Begleiter.

Vielleicht brauchen wir dazu auch Bilder, die mal ganz anderes sind, die nicht auf den ersten Blick religiöse Motive zeigen, sondern Menschlichkeit in all ihren Facetten. Martin Gertler hat ein Bild geschaffen, das wimmelt vor kleinen grauschwarzen Personen. Alle sehen gleich aus. Ein anderes Bild von Miriam Hosner zeigt einen einzigen Menschen: ein winziges Baby riesengroß. Der Mensch, mal Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, mal verschwindend klein in der Masse.

Silke Marohn und Katharina Ellrich haben das zweidimen­sionale Format aufgebrochen, andere haben ganz abstrakt gemalt, was unseren eigenen Gedanken vielleicht besonders gut erlaubt, auf Wanderschaft zu gehen, zu fragen, warum bin ich in diesem Raum, was suche ich hier, was finde ich hier.

Ich möchte Sie auf jeden Fall einladen, sich einzulassen auf diese runden Kunstwerke: die neuen zu entdecken, unsere alten neu in den Blick zu nehmen. Ich bin mir sicher, sie können darin jede Menge Himmel und Himmlisches, vielleicht auch Gott und sich selbst entdecken. So wie Angelus Silesius einmal dichtete:

Halt an, wo willst du hin,
der Himmel ist in dir,
suchst du Gott anderswo,
du fehlst ihn für und für. Amen.