Gott von Gott, Licht vom Licht
Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr, 9. November 2025
Predigttext: Markus 8, 27–29
Und Jesus ging fort mit seinen Jüngern in die Dörfer bei Cäsarea Philippi. Und auf dem Wege fragte er seine Jünger und sprach zu ihnen: Wer, sagen die Leute, dass ich sei? 28 Sie aber sprachen zu ihm: Sie sagen, du seiest Johannes der Täufer; andere sagen, du seiest Elia; wieder andere, du seiest einer der Propheten. 29 Und er fragte sie: Ihr aber, wer, sagt ihr, dass ich sei? Da antwortete Petrus und sprach zu ihm: Du bist der Christus! 30 Und er bedrohte sie, dass sie niemandem von ihm sagen sollten.
Text Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinoel (325)
Wir glauben an den einen Gott,
den Vater, den Allmächtigen,
der alles geschaffen hat,
Himmel und Erde,
die sichtbare und die unsichtbare Welt.
Und an den einen Herrn Jesus Christus,
Gottes eingeborenen Sohn,
aus dem Vater geboren vor aller Zeit:
Gott von Gott, Licht vom Licht,
wahrer Gott vom wahren Gott,
gezeugt, nicht geschaffen,
eines Wesens mit dem Vater;
durch ihn ist alles geschaffen.
Für uns Menschen und zu unserm Heil
ist er vom Himmel gekommen,
hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist
von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden.
Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus,
hat gelitten und ist begraben worden,
ist am dritten Tage auferstanden nach der Schrift
und aufgefahren in den Himmel.
Er sitzt zur Rechten des Vaters
und wird wiederkommen in Herrlichkeit,
zu richten die Lebenden und die Toten;
seiner Herrschaft wird kein Ende sein.
Wir glauben an den Heiligen Geist,
der Herr ist und lebendig macht,
der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht,
der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird,
der gesprochen hat durch die Propheten,
und die eine, heilige, christliche und apostolische Kirche.
Wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden.
Wir erwarten die Auferstehung der Toten
und das Leben der kommenden Welt. Amen.
Predigt
Gnade sei mit euch und Friede von dem,
der da ist und der da war und der da kommt!
„Ich bin getauft auf deinen Namen“ (EG 200, 1), haben wir eben mit und für den kleinen Täufling Franz gesungen, stellvertretend für ihn, der noch nicht sprechen, geschweige denn ein Glaubensbekenntnis ablegen kann. Und auch in Erinnerung an unsere eigene Taufe, wann und wo auch immer das war. Jedenfalls nehme ich an, dass die meisten unter uns getauft wurden – und dass andere unter uns sich vielleicht mit dem Gedanken tragen, sich taufen zu lassen.
„Ich bin getauft auf deinen Namen,
Gott Vater, Sohn und Heilger Geist …“
Auch in diesem Lied werden schon im ersten Satz „Gott Vater, Sohn und Heilger Geist“ genannt. Auf diesen Namen wurden wir alle getauft, den Namen des dreieinigen Gottes.
Keine christliche Taufe ohne die Taufformel, ein Mini-Glaubensbekenntnis, das unsere Identität markiert: Wir glauben an einen Gott, den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist.
Alle alten Glaubensbekenntnisse gehen ursprünglich auf Taufbekenntnisse zurück. Die Vorlage zum Bekenntnis von Nizäa-Konstantinopel, um das es heute geht, war ein Taufbekenntnis, das Eusebius von Caesarea aus Israel 325 zum Konzil nach Nizäa mitbrachte.
Darum ist es besonders schön, dass wir heute die Taufe von Franz feiern, ihn aufnehmen und herzlich willkommen heißen in der großen Gemeinschaft von Christinnen und Christen weltweit, die sich seit Jahrhunderten mit Worten des Nizänums – wie es abgekürzt heißt – zum christlichen Glauben bekennen.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen und euch beim Lesen des Nizänums gegangen ist? Was ihr gedacht, wo ihr hängengeblieben oder ausgestiegen seid?
Es ist wesentlich länger als das sogenannte Apostolische Glaubensbekenntnis, das wir gewöhnlich im Gottesdienst sprechen. Es verwendet seltene Worte: „Gottes eingeborener Sohn“, „gezeugt, nicht geschaffen“ … Eine poetische Sprache: „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott“ …
Ein bisschen erinnert das Nizänum an eine Kathedrale. Vielleicht kennen manche die Kathedralen von Chartres, Reims oder die alten englischen Kathedralen? Man geht hinein, blickt nach oben – und staunt! So ein hohes Gewölbe, so starke Pfeiler, so viele Ecken, Gänge und Türen, so viele Kunstwerke! Kathedralen sind aufs Staunen angelegt. Sie wollen uns in ihren Bann ziehen, damit wir eintreten und sie entdecken.
So ähnlich kann man sich auch das Bekenntnis von Nizäa-Konstantinopel vorstellen: wie eine imposante Kathedrale. Ich betrete sie, ich stelle mich in die große Gemeinschaft derer, die dieses Gebäude schon lange kennen, wir sprechen gemeinsam die Worte und lassen unsere Augen und unser Herz nach oben ziehen: zu dem „einen Gott […], der alles geschaffen hat“, und dem „einen Herrn Jesus Christus“, „Gottes eingeborenen Sohn“, „Gott von Gott, Licht vom Licht“.
Ein Hymnus im ersten Teil, der uns aus dem Alltag, von der Erde emporhebt, himmelwärts.
Der Boden aber, auf dem wir in den meisten alten Kathedralen stehen, sind wenn nicht Mosaike, so schlichte Steinplatten. Ausgetreten und glatt poliert durch Abertausende Schritte, die Menschen schon auf ihnen gegangen sind.
Im übertragenen Sinn sind dies die biblischen Texte. Sie bilden den Boden des Nizänums. Die Geschichten von Gott im Alten Testament, der zu Beginn aller Zeiten das Licht schafft, der Herr ist über Himmel und Erde, Leben und Tod. Der sich seinem Volk als Befreier, Hirte und Richter erweist.
Daneben die späteren Geschichten im Neuen Testament von Gottes Sohn, der Kranke heilt und zum Leben erweckt, der Frieden, Gerechtigkeit und Liebe lebt und den Menschen als „Licht der Welt“ (Joh 8, 12) und „Brot des Lebens“ (Joh 6, 35) erfahren.
Und in diesen Texten im Alten und im Neuen Testament immer wieder die mal unausgesprochene, mal direkt adressierte Frage: „Was glaubst du?“ (Joh 11, 26) Oder wie im Markus-Evangelium heute: „Was sagen die Leute, wer ich bin?“ (Mk 8, 27)
Wer oder was ist Gott? Und wer ist Jesus? Ein Prophet, der Messias, ein Mensch oder Gottes Sohn?
Vor Jahren habe ich an einem Buch mitgearbeitet, für das wir Interviews mit Frauen geführt und sie nach Jesus gefragt haben: „Wo, wann, durch wen haben Sie Jesus Christus kennengelernt? Was verbinden Sie mit ihm? Was bedeutet Jesus für Ihren Glauben?“
Für einen Großteil der Frauen war Jesus vor allem ein ethisches Vorbild. Ein Lehrer, ein Modell für christliches Leben. Für Vorurteilsfreiheit gegenüber anderen, Hilfsbereitschaft und Friedfertigkeit. Nur am Rande, leise und schwierig auszudrücken gab es Äußerungen wie: Er gibt mir Hoffnung. Er steht für das Gute. Er schenkt mir Geborgenheit.
„Was sagen die Leute, was sagst du, wer ich bin?“, fragt Jesus. Ja, was würden Sie, was würdet ihr sagen: Wer ist Jesus für euch, was bedeutet er euch, was gibt er euch?
Die große Frage, die die Kirchenväter umgetrieben hat, die etwa 300 Bischöfe aus dem gesamten Römischen Reich, die sich damals auf Einladung von Kaiser Konstantin dem Großen in seiner Residenz in Nizäa in der heutigen Türkei versammelten – deren Frage lautete:
Wie kann man sich Jesus Christus so vorstellen, dass er nicht „nur Mensch“, sondern „auch Gott“ ist? Wie kann man das so denken, dass man nicht am Ende zwei Götter hat, einen Vater und einen Sohn? Und wie kann man Jesus Christus so denken, dass sein Leben, sein Tod und seine Auferstehung für uns eine heilvolle, erlösende Bedeutung haben? Dass es um mehr geht als um ein ethisches Vorbild – um Hoffnung, Trost oder Frieden, um die Verbindung zu Gott.
Im Bild der Kathedrale ist es vielleicht die Frage danach, wie das Fundament und das Gewölbe zusammenhängen. Gehört der Sohn auf den Boden und der Vater in den Himmel? Oder hat nicht eigentlich Jesus Gott aus dem Himmel auf den Boden gebracht?
Es gibt einen älteren Song, der in den 90ern die Charts stürmte, „One Of Us“. Ihr habt einen Auszug des Liedtextes am Eingang bekommen.
„If God had a name, what would it be?
And would you call it to His face …“
Wir hören einmal hinein!
Ausschnitt Song einspielen
„What if?“ Was wäre, wenn Gott einen Namen hätte und du ihn ansprechen könntest? Was wäre, wenn Gott ein Gesicht hätte und du ihn anschauen könntest? Was wäre, wenn Gott einer von uns wäre, im Bus nach Hause …
Was der Song „One Of Us“ in Worten und Bildern unserer Zeit andeutet, umschreibt, wonach er fragt: Ob und wie es Gott vielleicht geben könnte und welchen Unterschied das für uns machen würde – das beschreibt das alte Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel mit Worten und Vorstellungen seiner Zeit:
Ein Gott, der schon immer war – aber auch jetzt ist, der Zeit und Ewigkeit kennt. Ein Gott, der „Himmel und Erde“ und alles geschaffen hat, aber selbst auch lebendig ist. Ein Gott, der nicht allein sein will im Himmel, von der Welt abgeschnitten, sondern von seinem Wesen her auf Beziehung angelegt ist. Der schon „vor aller Zeit“ ein Kind gezeugt hat, das nicht weniger wert ist als er selbst, und in diesem Menschenkind auch auf der Erde ist, unter uns.
„If God had a name“ – dann gleich mehrere, sagt das Nizänum: Vater, Allmächtiger, Schöpfer oder Licht …
„If God had a face“ – dann zuerst das seines Sohnes Jesus Christus, eines jungen verletzlichen Menschen, der geliebt und gelitten hat und früh starb. Für den Gott die Tore des Todes aufgebrochen hat, damit er ihn zu sich holen konnte, an seine Seite.
Weil unser Gott kein einsamer, kein entfernter Gott ist. Sondern ein Gott, der Verbindung sucht, Nähe, Liebe, Gespräch. Ein Gott, der in und mit seiner Schöpfung lebt und leidet. Ein Gott im Himmel und auf der Erde, für den noch die größte Kathedrale zu eng wäre.
Aber uns, für uns kann das Nizänum wie eine Kathedrale sein, die wir betreten und die uns die Schönheit, die Vielfalt und die Architektur unseres Glaubens erkennen lässt. Ein Gebäude, das unsere Gedanken und unser Herz emporhebt, zu Gott hin, dass wir mit ihm in Beziehung treten.
Und es ist nicht schlimm, wenn wir in dieser Kathedrale nicht alles gleich verstehen, nicht alles erkennen, auch nicht alles schön oder richtig finden! Wir müssen sie ja nicht halten, sind kein tragender Pfeiler. Wir dürfen einfach mit dazugehören durch die Taufe. Und gewiss sein: Auch du und ich – und seit heute auch Franz – haben einen Platz in Gottes Haus. Amen.