Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Licht der Welt

Licht der Welt

Predigt am 10. August
Pastorin

Dr. Claudia Tietz

8. Sonntag n. Trin.

Predigt zu Matthäus 5, 13–16

Predigttext: Matthäus 5, 13–16

Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten. 14 Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. 15 Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind. 16 So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen. 

 

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede von Gott!

Es gibt eine schöne Geschichte von Pablo Picasso: Er wollte einmal für sein Schloss in Südfrankreich einen Mahagonischrank bauen lassen. Er ging also zu einem Möbeltischler. Um dem Handwerker zu zeigen, wie der fertige Schrank aussehen sollte, zeichnete er ihm eine Skizze. „So soll der Schrank aussehen. Meinen Sie, das bekommen Sie hin?“ – „Klar“, sagte der Tischler. – „Und was wird das ungefähr kosten?“ – „Nichts“, sagte der Tischler, „signieren Sie einfach die Skizze!“

Was ist etwas wert – und woher rührt sein Wert? Vom Material, vom künstlerischen Design oder vom handwerklichen Geschick des Herstellers?

Und was ist ein Mensch wert – und woher rührt sein, rührt ihr Wert? Von der Familiengeschichte, der Staatsangehörigkeit, dem Einkommen, der Bildung oder der Leistung?

Die berühmte Passage aus der Bergpredigt Jesu im Matthäus-Evangelium: „Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein.“ (Matth 5, 13+14) – als ich diese Verse jetzt wieder las, hörte ich sie vor allem als eine Zusage. – Vielleicht, weil wir in diesen umstürzenden Zeiten Zuspruch so nötig haben.

„Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt.“

Jesus sagt nicht: Ihr sollt das Salz der Erde sein. Ihr müsst das Licht der Welt sein. Ihr müsst nicht, ihr habt nicht, ihr werdet nicht – sondern ihr seid so unendlich wertvoll wie Salz und Licht! Dafür gebe ich euch meine Unterschrift. So ist es.

Durch Jesu Wort, seine Zusage und Signatur sind wir Salz der Erde und Licht der Welt. Weil er es sagt – und weil wir durch die Taufe seinen Namen tragen und zu ihm gehören. Weil die Taufe das Siegel des Bundes mit ihm ist. Und weil wir so etwas wie eine Skizze, ein Bild Gottes sind, mit dem Wasser der Taufe unabwischbar signiert. Wir sind Salz der Erde, Licht der Welt.

Was Salz ist und wozu es gut ist, wissen wir. Man weiß es in einer Stadt wie Hamburg durch den Salzhandel der Hanse, vom Einsalzen von Fisch und Einpökeln von Fleisch. Salz ist wertvoll, nützlich, lebensnotwendig und gibt Geschmack.

Auch was Licht ist, weiß jeder. Ohne Licht wächst nichts. Ohne Licht sieht man schlecht. Ohne Licht wird es innerlich und äußerlich dunkel. Auch wenn wir in der Großstadt oft eher unter zu viel künstlichem Licht leiden …

Zwei einfache, alltägliche Bilder verwendet Jesus, um seinen Jüngern damals und uns heute zu sagen, wer oder was wir sind als Christen, als Menschen, als Bilder Gottes. Woher unser Wert, unser Ansehen oder unser Daseinssinn rührt.

Aber was bedeutet diese Zusage? Was trägt der Vergleich aus?

Ich glaube, viele von uns haben schon so oft gehört, was wir als Christinnen und Christen tun und wie wir uns verhalten sollen, um Licht für die Welt und Salz für die Erde zu sein, dass es gar nicht so leicht ist, von den ethischen Implikationen, die darin liegen, erst einmal Abstand zu nehmen.

„Ihr seid Salz der Erde. Ihr seid Licht der Welt. Ihr seid es als Einzelne und als Gemeinde, als christliche Gruppe oder Gemeinschaft.“

Wie klingt das? Hören wir nur den Auftrag darin, den Appell – oder gelingt es uns, die Zusage, die Bestätigung zu hören?

Wo haben wir dies schon einmal gespürt oder die Erfahrung gemacht, so etwas wie Salz zu sein? Würzig, wirksam und wertvoll – und dabei zugleich fast unsichtbar und löslich … Auch das liegt ja im Bild vom Salz! Wo haben wir schon einmal einen Unterschied gemacht, und wie haben andere und auch wir selbst dies bemerkt?

Das wird auch eine Frage der Jüngerinnen und Jünger damals gewesen sein: so kleine Gemeinden, so wenige Leute, so wenig Geld, keine Netzwerke, kein Ansehen …

Woran erkennt man Christinnen und Christen? Wie sollen wir wissen, ob es Wert hat und Sinn macht, worauf wir hoffen, woran wir glauben und wie wir leben?

„Ihr seid Salz der Erde“, sagt Jesus. Unsichtbar, winzig, leicht zu übersehen. Aber man kann euch schmecken. Das ist eine andere, mehr innere, aber elementare Sinnesempfindung! Ihr macht einen Unterschied im Geschmack – vielleicht könnte man auch sagen: im Stil, in der Art oder der Atmosphäre …

Wenn ich an den bestimmten Salzgeschmack oder -stil von Christen denke – und ich kenne vor allem die nord- und nordostdeutsche evangelische Ausprägung – dann denke ich an eine gewisse Bescheidenheit, an Freundlichkeit und Gastfreundschaft.

Ich denke an spontane Hilfsbereitschaft in Notlagen, an viele Menschen in unserer Gemeinde, die in ihrer Nachbarschaft ohne viel Aufhebens helfen. Ich denke an Großzügigkeit: an Spenden und Kollekten, an Lebensmittel-, Möbel- und Kleiderspenden für Ärmere. Ich denke an Gastfreundschaft gegenüber vertrauten und auch fremden Gästen oder gegenüber Geflüchteten.

Ein für mich erkennbar christlicher Stil wehte mich letzte Woche durch ein Gespräch in der U-Bahn an: Ein junger Mann in T-Shirt und Trekking-Shorts saß einer gleichaltrigen, deutlich schickeren Frau gegenüber, beide Mitte 30. Sie erzählte vom Urlaub: „Ich bin es mir wert, im Urlaub im Hotel zu schlafen. Mein Rücken, mein Körper sind es mir einfach wert. Das haben sie verdient. Isomatte bei Freunden im Wohnzimmer – das muss jetzt wirklich nicht mehr sein!“ – Und er hielt dagegen: „Nee, das ist doch schön bei Freunden! Alle mal zusammen. Klar, man schläft besser im Hotel. Aber ich mag das mit Isomatte und den anderen zusammen, so wie früher im Zeltlager und auf Freizeiten …“

Unterschiedliche Haltungen im Blick auf Gemeinschaft und eigene Bedürfnisse. Die Bereitschaft, sich auf einfache Verhältnisse einzulassen, um mit anderen zusammen zu sein, gemeinsam etwas zu erleben oder zu gestalten … Andere Prioritäten. Andere Begründungen. – Und natürlich entscheidet sich das Christsein trotzdem nicht an den Vorlieben für Hotel oder Isomatte!

Salz sein oder Licht sein … Wie ist das? Wie geht das?

Bestimmt sind wir nicht als Scheinwerfer gemeint, müssen nicht die hellste Kerze auf der Torte sein, keine besondere Leuchte. Aber Licht sein für andere, im Freundeskreis oder in der Familie, im Beruf, im Stadtteil … Dunkle Situationen aufhellen, Tränen trocknen, Orientierung geben, Freude teilen, anderen Mut machen …

„Ihr seid Licht für die Welt.“

Vielleicht so, wie die Sternschnuppen in diesen Nächten Mitte August, die Perseiden. Funkelnd, nur wenige Sekunden sichtbar, verschwindend klein im riesigen All. Ihr seid Licht.

Es gibt ein italienisches Sprichwort, das lautet: „Das Licht ist der Schatten Gottes.“

Wenn wir in Jesu Namen Licht sind, dann sind wir dies durch Gottes viel größeres und helleres Licht. Dann sind wir es von Gott her, wie ein Abglanz oder Schatten – und auf Gott hin, von dem alles Licht und Leben kommt.

„Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin“, formuliert es der Apostel Paulus (1. Kor 15, 10).

Jesus – oder der Evangelist Matthäus – hat die kurze Passage zu Salz und Licht in der Bergpredigt zwischen die Seligpreisungen und einige grundsätzliche ethische Anweisungen gesetzt. Die Seligpreisungen malen das große Hoffnungsbild vom Reich Gottes aus:

„Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ (Matth 5, 5+7+9)

Das ist der leuchtende Horizont, die lichte Verheißung, auf die wir zuleben. Gottes zukünftiges Licht, das schon jetzt auf uns und in unser Leben fällt. Bilder, in die wir hineinwachsen, auf die wir zugehen.

Und nach der Zusage, Salz und Licht zu sein, erinnert Jesus an einige grundlegende Regeln im Zusammenleben aus dem Ersten Testament: Tötet nicht, verletzt nicht Vertrauen, bestehlt euch nicht, versöhnt euch miteinander und tut selbst euren Gegnern Gutes …

Dazwischen – zwischen der großen Verheißung der kommenden Herrschaft Gottes und den bekannten grundsätzlichen Lebensregeln, die Jesus gibt – steht seine Zusage: „Ihr seid Salz der Erde. Ihr seid Licht der Welt.“

Darauf kommt es an: Nicht perfekt zu sein, sondern da zu sein. Wach, offen, bereit für das, was uns begegnet. Mit den Möglichkeiten und Begabungen, die wir haben. Für die Menschen um uns, die uns anvertraut sind.

In dem Licht, das Gott auf uns wirft, sehen wir klarer. Nicht alles, nicht die ganze Zukunft, nicht das Reich Gottes – aber genug, um den nächsten Schritt zu gehen. Genug, um einen Unterschied zu machen, da wo wir sind. Es ist nicht unsere Stärke, die zählt. Nicht das fehlerfreie Handeln, die überragende Tat oder die makellose Lebensbilanz.

Es zählt, dass wir da sind. Dass wir leuchten, wie und wo wir es können. Dass wir würzen, was sonst fade bleibt. Dass wir spüren: Wir sind von Gott gemeint. Gemeint als Salz der Erde, als Licht der Welt. Nicht aus uns selbst – aber auch nicht ohne uns.

Und so gehen wir in Gottes Licht. Schritt für Schritt. Wertvoll, wichtig und wirksam. „Denn durch Gottes Gnade sind wir, was wir sind.“ Amen.