Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Beten ist wie …

Beten ist wie …

Predigt am 5. Mai
Pastorin

Dr. Claudia Tietz

Sonntag Rogate, 5. Mai 2024 mit Ausstellungseröffnung "Ich möchte nie ohne Himmel sein ..."

Predigt zu Lukas 11, 5–13

Predigttext: Lukas 11, 5–13

Und Jesus sprach zu ihnen: Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; 6 denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, 7 und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. 8 Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.

9 Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. 10 Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. 11 Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater um einen Fisch, und der gibt ihm statt des Fisches eine Schlange? 12 Oder gibt ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion? 13 Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten! 

 

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede von Gott!

Ein Festtag ist dies heute! Feiern wir doch neben der Einführung von zwei Mitarbeiterinnen auch die Eröffnung einer kleinen Ausstellung. „Klein“, denn es handelt sich nur um wenige, dafür großformatige Bilder, die an den Seitenwänden im hinteren Teil des Kirchenschiffes bis Ende Mai zu sehen sind.

Bilder in Acrylfarbe, gemalt an der Nordsee und in Schleswig-Holstein. Sie zeigen das Meer und die Elbe, Wiesen und Weite und den Himmel. Er ist immer mit dabei.

Die Künstlerin Nina Catharina Nollen hat der Ausstellung den Titel gegeben: „Ich möchte nie ohne Himmel sein …“

Mal ist der Himmel im Hintergrund des Bildes zu sehen, bildet den Horizont, die Grenze der Landschaft. Mal spiegelt sich der Himmel im Wasser, ist sein Gegenüber. Mal steht der Himmel mit seinen Wolkenformationen und Farbspielen im Vordergrund, füllt das Bild fast ganz aus.

Nina Catharina Nollen hat schon viele verschiedene Dinge in ihrem Leben gemacht und ist erst relativ spät zum Malen gekommen. Aber dann hat es sie gepackt! Beim Malen, so sagt sie, kommt sie in Verbindung mit ihrer eigenen inneren Kraft und Kreativität – und auch mit ihrer Umgebung, der Außenwelt, die von einer anderen Kraft – ich würde sagen: von Gottes Kraft – mit durchdrungen ist.

„Ich möchte nie ohne Himmel sein“ – das könnte man in ihrem Fall also übersetzen mit: „Ich möchte nie ohne Beziehung zur schöpferischen Kraft sein“.

Der Sonntag Rogate – „Betet!“ – ist der Dritte in einer Reihe von österlichen Sonntagen, deren Namen zur Beziehungsaufnahme auffordern. Beziehung aufzunehmen, Verbindung zu suchen zum lebendigen, schöpferischen Geist Gottes, den das Leben aus der Auferstehungskraft Christi verleiht: Jubilate – „Freuet euch!“, Kantate – „Singt!“ und nun: Rogate – „Betet, bittet!“

Das Freuen, das Singen und das Beten als drei Weisen, nach Jesu Tod und Auferstehung in Kontakt zu treten mit Himmel und Erde, Gott und den Menschen. Das erschütternde Geschehen von Jesu Kreuzigung und dann seiner unfassbaren Auferweckung irgendwie zu verarbeiten. Damit umzugehen, dass Jesus nicht mehr hier auf der Erde lebt, wie er es zuvor tat, aber dennoch als Auferstandener gegenwärtig und erfahrbar ist. Den Jüngern damals in den 40 Tagen nach seiner Auferweckung noch so real und nah, dass sie ihn leibhaftig schauten.

Die Wochen nach Ostern als eine Zeit, uns für Gottes Gegenwart offenzuhalten und ihr anzunähern, obwohl diese seit Karfreitag und Ostern irgendwie in der Schwebe ist.

Wer schon einmal einen nahestehenden Menschen verloren hat, wird dies kennen: den Schwebezustand, die zunächst noch offene Wunde, vielleicht wie ein Taubheitsgefühl, eine Unsicherheit gegenüber dem Alltag und der Realität. Die Fragen nach dem eigenen Leben und nach Gott.

Die Namen der Sonntage nach Ostern kann man lesen als Hinweise zu den Wegen, auf denen wir – im Zyklus des Kirchenjahres gedacht – nach Jesu Abschied wieder Zugang zu unserer eigenen Lebendigkeit und Kreativität finden:

Jubilate – verbunden mit der Frage nach unseren Gefühlen, nach unserer Achtsamkeit und Empfindsamkeit: Worüber freue ich mich, noch oder wieder? Ist meine Freude eher laut oder eher leise? Wie kann ich meiner Freude Ausdruck verleihen?

Kantate – verbunden mit der Frage nach unserer Stimme, unseren inneren Klängen und unserer Phantasie: Was kann ich singen? Wie und wovon möchte ich singen oder summen oder pfeifen?

Und nun Rogate – die Frage nach meiner Kraft und Beharrlichkeit: Wie kann ich im Gebet bleiben – oder ins Beten kommen?

Aufmerksamkeit, Phantasie und Beharrlichkeit, die es für jeden kreativen Prozess braucht, sei es das Malen, Schreiben oder Musizieren. Sei es das Beten.

Ich führe zur Zeit Gespräche mit einer jungen Frau, die sich taufen lassen möchte. Sie ist in unserem Stadtteil aufgewachsen, kennt unsere Kirche vom Sehen, aber es gab in ihrer Familie keinen Impuls zur Taufe oder zur Konfirmation, zur Verbindung mit der Kirche. Als ich sie fragte, woher ihr Wunsch rühre, meinte sie ebenso kurz, wie für mich überraschend: „Ich habe gemerkt, dass Beten hilft.“

Auf Nachfrage meinte sie, Beten würde für sie im Alltag etwas verändern. Nicht dass alles genauso passiert, wie sie es sich wünsche. Aber es würde anderes passieren, das sei spannend! Und sie würde das, was geschieht, auch anders wahrnehmen, sich selbst, die Prüfungen, die fremde Stadt, in der sie studiert, die vielen neuen Leute. „Beten hilft mir!“

Ich verstehe sie so, dass sie sich durch ihre Zwiesprache mit Gott weniger allein fühlt, sondern geborgen und begleitet. Und dass das bewusste Gebet sie auch ihr Leben bewusster erfahren lässt, sie aufmerksamer, konzentrierter und irgendwie erwartungsvoller stimmt für das, was auf sie zukommt.

Im Grunde macht die Studentin ähnliche Erfahrungen, wie die, von denen der heutige Predigttext aus dem Lukas-Evangelium spricht. Die beiden Beispielerzählungen Jesu vom bittenden Freund und vom freundlichen Vater, in deren Mitte der eindrückliche Vers steht:

Bittet, so wird euch gegeben;
suchet, so werdet ihr finden;
klopfet an, so wird euch aufgetan.
(Lk 11, 9)

Nicht, dass der Studentin, dass uns genau das gegeben wird, worum wir bitten: weder eine bestimmte gute Note in der Klausur, noch unverwüstliche Gesundheit oder der Mann, die Frau unseres Lebens. Und doch kann uns gegeben werden, so wir bitten: Konzentration zum Lernen, Zuversicht in Heilung oder Offenheit für glückliche Begegnungen, Freundschaft und Anteilnahme.

Nicht, dass wir immer das finden, was wir suchen. Manchmal geht es beim Beten wohl eher darum, dass wir uns selbst ehrlich begegnen und uns selbst finden – oder uns von Gott finden lassen.

Nicht, dass uns immer die Türen und Ohren aufgetan werden, an die wir anklopfen, wo wir unbedingt gehört und gesehen werden möchten. Aber dass uns Gottes Ohren und Gottes Haus offenstehen, dass Menschen – vielleicht auch andere, als wir zunächst hofften – sich für uns öffnen. Dass auch wir selbst uns für andere, auch für Gott öffnen können …

Mit diesen Möglichkeiten zu rechnen, auf solche Erfahrungen zu setzen – dazu fordert Jesus uns auf. Dem zu vertrauen, was Gott uns Menschen verheißen hat: dass wir Kraft oder Hoffnung oder Liebe empfangen können, so wir darum bitten, danach suchen und fragen. Dass Gottes heiliger, Gottes schöpferischer Geist uns an Leib und Seele erneuern kann.

„Ich möchte nie ohne Himmel sein“ – das sagt Nina Catharina Nollen über ihr Malen, über ihre Suche nach ihrer schöpferischen Kraft. Und es könnte auch über unseren Versuchen stehen zu beten, über unserer Suche nach Kraft, Hoffnung und Liebe.

Der Himmel – als den wir Gottes Raum beschreiben, Gottes Herrlichkeit und heilige Geistkraft – ist da. Immer. Über jeder und jedem von uns.

Das hat der griechische Dichter Jannis Ritsos in einem wunderbaren kurzen Gedicht so ausgedrückt:

„Jeder Mensch hat einen Himmel über seiner Wunde
und einen kleinen gesetzwidrigen Frühlingszettel in seiner Tasche.“

Das Vertrauen, dass der Himmel da ist – auch über unseren Wunden. Und dass wir mit diesem himmlischen Raum in Beziehung treten können, zum Beispiel durchs Malen, zum Beispiel durchs Beten.

Der „kleine gesetzwidrige Frühlingszettel“, den wir in uns tragen, hält uns in Verbindung mit der Kraft, die von oben kommt, die heilt und versöhnt und inspiriert. Auf diesen „Frühlingszettel“, auf euer Herzensgebet, gebt gut Acht! Dass ihr bittet, sucht, klopft – und bleibt. In Beziehung zu Gott und eurer eigenen schöpferischen Kraft! Amen.