Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Erneuerung

Erneuerung

Predigt am 21. April
Pastorin

Dr. Claudia Tietz

Sonntag, Jubilate, 21. April 2024

Predigt zu 2. Korinther 4, 14-18

Gnade sei mit euch und Friede von Gott – und: „Jubilate!“ Freut euch!

Freuet euch in dem Herrn allewege,
und abermals sage ich: Freuet euch! (Phil 4, 4)

Dies ist der Tag, den der HERR macht;
lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein. (Ps 118, 24)

Über 200mal kommt der Begriff „Freude“ im Alten Testament vor und mehr als 100mal im Neuen Testament. Es ist die in der Bibel am häufigsten genannte Gefühlsregung – und zugleich das in der wissenschaftlichen Theologie exegetisch am seltensten untersuchte Gefühl.

Vielleicht, weil es banal wirkt – freuen kann sich jeder. Oder unspezifisch, denn anders als bei Trauer oder Klage wird oft nicht der Anlass genannt. Man kann sich einfach so freuen! Oder weil gerade uns Deutschen zu viel Heiterkeit schnell suspekt wird …

Und dabei sehnen sich doch die meisten Menschen nach Freude – oder in einem umfassenderen Sinn nach Glück. Unternehmen einiges, um dieses schönen Gefühls habhaft zu werden: Durch Einladungen und Feste, auf die wir uns freuen. Komödien oder Kabarett, wo wir uns kringeln vor Lachen. Oder auch durch Anteilnahme und Mitfreude an dem, worüber sich unsere Freunde, Partner und Kinder freuen.

So viele Möglichkeiten und Anlässe zur Freude – und trotzdem können wir oft den guten Mut verlieren.

„Musenküsse“ heißt ein kleines Büchlein, in dem ich manchmal blättere. Es handelt von den individuellen Strategien von Künstlern, jedem Tag ein Kunstwerk abzutrotzen. So turnte Kafka täglich nackt bei offenem Fenster. Friedrich Schiller ließ sich von Wein, Schokolade und dem Duft fauler Äpfel inspirieren. Toni Morrison schrieb gerne im frühen Morgengrauen. Und Glenn Gould ging nie vor fünf Uhr früh zu Bett.

Was, frage ich mich, hilft uns, damit wir uns täglich frohen Mutes einlassen auf den neuen Tag mit allem, was er bringen und fordern wird? Im Vertrauen, dass uns die nötige Kraft und Freude an den Dingen, die wir tun, zufließen werden.

Dass dies nicht selbstverständlich ist, was wir meistens unbewusst, routinemäßig vollziehen, weiß, wem das Zutrauen, die fraglose Lebensbejahung schon einmal abhandengekommen ist. Sei es durch Krankheit, den Verlust eines geliebten Menschen oder eine Lebenskrise. Für andere von außen nicht immer wahrnehmbar, für die Betreffenden aber von erschütternder Tragweite.

Einen guten, einen klugen, konstruktiven Umgang damit zu finden, dass wir uns nicht immer auf uns selbst, unsere Kraft und unseren Lebensmut verlassen können; dass wir nicht immer, wie Freud es formulierte, „Herr im eigenen Hause“ sind – einen Umgang damit zu finden, fällt vielen von uns nicht leicht.

Der Apostel Paulus kannte dies aus eigener Erfahrung gut. Selbst zu den Hoch-Zeiten seiner Schaffenskraft und Energie war er immer wieder großer Erschöpfung, Unsicherheit und Zweifeln ausgesetzt. Spürte er, wie in den Gemeinden, die er selbst gegründet hatte, der Rückhalt schwand, wie man sogar über ihn spottete. Sich über sein schwächlich wirkendes Äußeres mokierte, ihn als Redner wenig charismatisch, als Leitungsfigur nicht attraktiv fand.

Umso interessanter, woran Paulus, der ja Zugang sowohl zu Erfolg und Tatkraft, als auch zu Enttäuschung und Verzagtheit hatte, sich selbst hielt, um nicht den Mut zu verlieren.

Im 2. Brief an die Gemeinde in Korinth, unserem heutigen Predigttext, schreibt er:

Es geschieht alles um euretwillen, auf dass die Gnade durch viele wachse und so die Danksagung noch reicher werde. Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsre Bedrängnis, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und große Herrlichkeit für uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig. (2. Kor 4, 15-18)

In einer für uns ungewohnten Sprache und Vorstellungswelt legt Paulus hier dar, welche Strategie er verfolgt, um den guten Mut, die Lebensfreude nicht zu verlieren.

Zunächst, wie eine kurze Hinführung, die Ansage: Was Gott tut, geschieht um euretwillen. Unter euch, unter uns Menschen soll Gottes Gnade wachsen. Wir sollen mit Gottes Gnade erfüllt werden, damit wir Gott danken, in einer guten – man könnte auch sagen: glücklichen oder fröhlichen – Beziehung zu Gott stehen und unser gottgeschenktes Leben bejahen.

Wie das gelingen kann, dazu unterscheidet Paulus zunächst zwischen dem äußeren Menschen, der sichtbar und vergänglich ist, und dem inneren Menschen, der Tag für Tag erneuert wird. Dann unterscheidet er zwischen dem, was für alle sichtbar ist, und dem, was sich nur denen erschließt, die auch auf das Unsichtbare schauen. Und schließlich stellt er das Zeitliche des Sichtbaren fest, während das Unsichtbare ewig sei. Er verweist auf die Nicht-Zeitlichkeit und Unsichtbarkeit der Ewigkeit, die wir in unserem alltäglichen Fühlen und Tun oft nicht mitdenken.

„Ewig“ ist für Paulus, was uns ahnen hilft, dass unser Leben, so wie es von Gott her gedacht ist, nicht aufgeht in dieser Welt, in unserem Alltag, wie er uns vor Augen steht. Sondern dass unser Leben immer auch geprägt und durchwirkt ist von dem, woher wir kommen und wohin wir gehen, worin wir unsichtbar tief gegründet sind. Was bei Gott – wie das Meer – ohne Anfang und Ende ist.

Auf das Unsichtbare sehen – das klingt wie ein Paradox. Wie ist das Unsichtbare zu sehen?

Ein Perspektivwechsel, zu dem uns Paulus aufruft, gerade dann, wenn unsere Kräfte zu schwinden drohen und wir nur mit dem allzu Sichtbaren und Vorherrschenden beschäftigt sind: Wollen wir es dann bei unserem Blick auf die Enttäuschung und Erschöpfung belassen, auf das Leiden an dem, was nicht glückt oder uns noch nie geglückt ist?

Oder gelingt es uns, trotz dem, was uns traurig stimmt, wovon wir erschöpft oder enttäuscht sind, auch einen Zugang zu dem zu finden, was ebenso Gültigkeit hat? In dessen Licht das, was uns jetzt matt und müde sein lässt, sein erschlagendes Gewicht und seine Düsternis verliert.

„Was auch kommen mag“, könnte Paulus sagen, „ich werde mich doch nicht mutlos und verzagt machen lassen. Als gäbe es nicht auch und genauso diese andere Dimension meines Lebens, auf die ich meine Hoffnung setze und aus der ich meine Kraft schöpfe.“

Wenn es gelingt, diesen Blickwechsel zu vollziehen und mit unserem inneren Blick auf das für die äußeren Augen Unsichtbare, Ewige zu sehen, was schon jetzt für unser Leben wirksam ist, dann kann sich heilsam relativieren, was sich mitunter raumgreifend in den Vordergrund spielt. Dann kann uns gelingen, dass wir uns wieder auf das fokussieren, was in Paulus‘ Sinn ewig ist, uns hält und trägt: die Liebe, die Allgegenwart Gottes, die unsichtbare Beziehung zwischen mir und der ewigen, immer neuen Schöpfungsmacht Gottes.

Und das mag – je nach Temperament – beruhigen und trösten oder Freude oder Jubel in uns wecken. Eine Widerstandskraft gegen die Kräfte der Dunkelheit – oder in Paulus‘ Worten: gegen das Zeitliche und sichtbare.

Die amerikanische Theologin Angela Gorrell hat an der Universität Yale zur „Theologie der Freude und des guten Lebens“ geforscht. Sie macht aus der biblischen Tradition heraus stark, dass Freude eine Ressource der Kraft sei. Und um diese Ressource zu erschließen, plädiert sie dafür, Freude als spirituelle Tugend zu üben. Sich an Schönes zu erinnern, sich in Dankbarkeit zu üben, Räume für Freude zu öffnen.
[Vgl. https://www.reflab.ch/freude-ein-akt-des-widerstandes/]

Für mich eine zeitgemäße Übertragung des paulinischen Perspektivwechels vom Äußeren auf das Innere, vom Sichtbaren auf das Unsichtbare. Freude – wie Glaube und Hoffnung – eine Widerstandskraft, eine Orientierung an dem unsichtbaren, ewigen Gnadengrund unseres Lebens.

Und darum, nicht nur heute: „Jubilate!“ – Freuet Euch! Amen.