Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Kanate – Singt!

Kanate – Singt!

Gottesdienst am 28. April
Pastorin

Andrea Busse

Predigt zum Sonntag Kantate

Predigt über Offenbarung 15,2–4

Predigttext:

Und ich sah, wie sich ein gläsernes Meer mit Feuer vermengte, und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen 3 und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. 4 Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine Urteile sind offenbar geworden. 

 

Predigt:

„Ein gewaltiges Bilderbuch aus biblischen Texten“ hat jemand mal die Offenbarung des Johannes genannt. (Mark Meinhard). Es ist ein rätselhaftes Buch mit starken einprägsamen Bildern, die sich auf uralten Gemälden genauso wiederfinden wie in aktuellen Filmen. Uns begegnet dort eine überwältigende Symbol­­welt mit 7 Schalen und 7 Posaunen, mit apokalyptischen Reitern, die Kriege, Teuerung und Tod bringen und für das Böse die Zahl 666, die bis heute im Satanismus eine Rolle spielt. Diese apokalyp­tischen Texte, die uns manchmal wirklich er­scheinen wie das sprich­wörtliche Buch mit den 7 Siegeln, eine Redewendung, die sich ja aus der Offen­barung selbst ableitet, ist geschrieben am Ende des 1. Jahr­hunderts, in einer Zeit der Not für die noch sehr junge Christen­heit. Die Anhänger:innen Jesu werden zunehmend verfolgt und getötet. (Dass es später noch schlimmer kommen sollte, weiß man da noch nicht).

Weil diese Weltuntergangsszenarien so anschaulich und ein­drücklich sind, übersieht und überliest man manchmal, dass die Offenbarung genauso starke Hoffnungsbilder malt: neuer Himmel und neue Erde, Gott bei den Menschen, er wischt ihre Tränen ab, und kein Leid und kein Geschrei und kein Schmerz wird mehr sein. Anklänge an das Paradies kann man dort zu­recht heraushören. Johannes schreibt das alles ja nicht, um seine Leserinnen und Leser zu gruseln oder zu verängstigen, sondern um ihnen Mut zu machen und sie zu trösten. Alles, was sie an Schlimmem erleben: die Verfolgung, die Kriegsgefahr, auch die Probleme in der Gemeinde – Irrlehren, soziale Unterschiede, Gleichgültigkeit – all das wird vorbeigehen. Es ist eine Zwischenphase, sie wird vorübergehen und dann bricht Gottes neue Welt an. Johannes malt Hoffnungsbilder und für uns heute singt er ein Hoffnungs­lied:

An einem gläsernen Meer aus Feuer stehen die, die den Sieg behalten haben, und machen Musik. Sie haben göttliche Harfen in den Händen und sie singen:

Groß und wunderbar sind deine Werke,
Herr, allmächtiger Gott!
Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. 
Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen?
Denn du allein bist heilig!
Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine Urteile sind offenbar geworden. 

So klingt die Zukunftsmusik. Aber ganz neu ist sie nicht, im Gegen­teil sie verbindet Vergangenes mit Zukünftigem: Das Lied des Mose und das Lied des Lammes. Das Lied des Mose wird zunächst von seiner Schwester Miriam angestimmt, als die Israeliten vor dem Pharao fliehen und mit Gottes Hilfe durch das Meer entkommen, in dem die Ägypter ertrinken:
Und Mirjam sang ihnen vor: Lasst uns dem HERRN singen, denn er ist hoch erhaben; Ross und Reiter hat er ins Meer gestürzt.
Und – so heißt es weiter:
Damals sangen Mose und die Israeliten:
Ich will dem Herrn singen, denn er hat eine große Tat getan. Der Herr ist meine Stärke und mein Lobgesang und mein Heil.

Es ist ein Lied das von Befreiung singt. Diese Befreiung aus der Gefangenschaft und Unterdrückung in Ägypten wird ja oft als „Urknall“ der jüdischen Religion angesehen: Hier haben Menschen Gott er­fahren als den, der ihr Leid sieht, der sie heraus­holt, der sie beschützt und befreit. Und sie haben als Antwort ihr Loblied angestimmt.

In der Offenbarung ist es ein zweistimmiges Lied oder besser ein Lied mit zwei Strophen geworden, denn es mündet ein in das Lied des Lammes. Mit dem Lamm ist natürlich Jesus gemeint. Und zwar immer dann, wenn es darum geht, dass er uns von Sünden befreit: „Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt“ singen wir beim Abendmahl. Das Lamm – sie sehen es hier vorne ganz oben auch in einem der Kirchenfenster – trägt die Oster­fahne – rotes Kreuz auf weißem Grund – und verweist damit auch auf die Befreiung vom Tod durch die Auferstehung Jesu.

Das Lied, das hier angestimmt wird, besingt die Erfahrungen, die Menschen vor uns mit Gott gemacht haben – und die wir einst mit Gott machen werden, es verbindet Vergangenheit und Zukunft – aber beim Singen ist man, das weiß jeder, der oder die gerne singt, absolut in der Gegenwart, im Hier und Jetzt. Und ja: Singen kann befreien. Schon allein im körperlichen Sinne: Es schenkt uns Luft und weitet uns. Da ist nicht nur unser Kopf beteiligt, sondern unser ganzer Körper: die Lungen, das Zwerchfell, die Stimmbänder, der Mund. Gottes Gegenwart geht da durch Leib und Seele, und es ist gut, wenn wir das in Gottesdiensten beim Singen auch spüren.

Singen hat ja nicht nur mit Stimmen, sondern auch mit Stimmungen zu tun, und zwar ganz unterschiedlichen:
Wir haben das Bedürfnis zu singen, wenn wir fröhlich sind, dann ist es ein Ventil für die Freude oder den Übermut. Menschen singen, wenn sie verliebt sind, sonst gäbe es nicht unendlich viel Liebeslieder. Und natürlich auch, wenn sie traurig sind. Manchmal ist es leichter, die Schwermut in eine Melodie zu legen als in Worte. Gesungen wird schon auch immer auch gegen die Angst – notfalls hilft im dunklen Keller auch Pfeifen – und gegen den Schmerz: „Heile, heile Segen“ ist wohl eines der wirksamsten Schmerzmittel. Singen macht es leichter, mit überschwänglichen Gefühlen, egal welcher Colour umzugehen.
Das funktioniert auch ganz gut, wenn man alleine singt. Singt man mit mehreren, kommt noch das Gemeinschaftsgefühl hinzu. Gemeinsames Singen lehrt uns, aufeinander zu hören, uns miteinander einzustimmen und abzustimmen, Harmonie zu üben, die eigene Stimme einzuordnen in ein vielfältiges Ganzes, das nur gemeinsam gut klingt.

Jetzt habe ich ein Loblied auf das Singen gesungen, aber es gibt da auch einen Misston. Denn Musik ist zweideutig. Ich glaube nicht an das Sprichwort: „Wo man singt, da lass dich nieder, böse Menschen kennen keine Lieder.“ Natürlich kann Musik auch missbraucht werden und ist missbraucht worden. Es gibt sie doch die Hass- und Hetzlieder, die Feindbilder effektiv in den Herzen verwurzeln. Alte und neue Nazis waren und sind sich dieser Wirkung bewusst und haben sie gezielt eingesetzt. Tausende sind zu Marschklängen begeistert in den Krieg gezogen. Die Musik hat auch dabei gegen die Angst geholfen, nämlich gegen die Angst vor dem Tod und auch gegen die Angst vor der eigenen Grausamkeit. Es ist also wichtig, genau hinzuhören, was da gesungen wird.

Manch einer von Ihnen tut das auch bei unseren Gesangbuch­liedern. Und manchmal sind Sie dann vielleicht verwundert, was da so alles besungen wurde und wird. z.B. die Bitte an Gott: „Du musst uns rüsten mit Waffen aus der Höh“ und „Gib uns die scharf geschliffnen Waffen der ersten Christenheit.“ Natürlich sind da keine echten Waffen gemeint, aber diese Bild­sprache kann man schon kritisch sehen. In vielen Gesangbuch­strophen wird das Jammertal der Erde besungen, die Sehn­sucht nach dem süßen Jenseits, auch Satan und Höllenpfort, spielen eine große Rolle. „Er will das ich mich füge“ heißt es in einem bekannten Morgenlied, in dem Gläubige als Sklaven bezeichnet werden. Auch das kann man hinter­fragen.
Schon das Lied des Mose rühmt Gott dafür, dass die Ägypter im Meer elendiglich abgesoffen sind. In Martin Luthers Klassiker eine feste Burg (362), soll man nicht nur Gut und Ehre, sondern auch Weib und Kind, mal eben geschwind dahinfahren lassen. Paul Gerhard (17. Jh, 83) beschreibt in seinem Passionslied die Würgebank des Lämmleins, und Philipp Spitta (19. Jh, 137) lässt zu Pfingsten den Geist des Gehorsams und der Zucht besingen. Diese Sprache ist uns fremd geworden, die Vor­stel­lungen dahinter auch. Hier spiegelt sich die Frömmigkeit aus vorigen Jahrhunderten. Will ich das wirklich singen?
Dass diese Lieder in unserem Gesangbuch abgedruckt sind und weiterhin in unseren Gottesdiensten gesungen werden, stellt uns in unsere jahrhundertealte Tradition. Diese Lieder haben uns ­– neben den biblischen Texten – den Glauben über­liefert. Damit müssen wir, damit dürfen wir uns ausein­ander­setzen. Manchmal tut es gut, sich Worte von anderen zu leihen, die anders klingen, als das, was wir selbst formulieren könnten. Manchmal ist es richtig, den zeitlichen Abstand zu spüren, die Fremdheit und auch das Verbindende. Ich glaube, wir brauchen die alten und gute neue Lieder. Unser Kantate-Psalm – selbst ein uraltes Lied – fordert ja genau dazu auf: Singt dem Herrn ein neues Lied!
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft wird in einen Vielklang gebracht, und sehr wahrscheinlich gibt es dabei auch mal Dis­sonanzen. Und doch stimmen wir immer wieder ein in diesen Lobgesang, der laut Bibel schon seit Ewigkeiten im Himmel gesungen wird und den wir einst am gläsernen Meer in Ewigkeiten singen werden. Und jetzt schon können wir erleben, dass man sich beim Singen über sich selbst hinausheben kann, man kann auch über das Düstere, das die Offenbarung ja wirklich zur Genüge beschreibt, hinaus­wachsen. Die da singen, sind nicht in den apokalyp­tischen Szenarien unter­gegangen, sondern befreit worden und singen nun dem ihr Loblied, der sie befreit hat.

Natürlich ist das alles ein Ausblick, ein Vor-klang sozusagen. Ich musste ehrlich gesagt erst einmal nachschauen, ob es das Wort „Vor-Klang“ überhaupt gibt. Im Duden nicht, aber im deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm wird es aufgeführt. Aber Sie wissen sicher sowieso, was ich meine: So wie es einen Vor-geschmack geben kann, so bekommen wir heute in diesem Text des Johannes einen Vor-klang auf das ewige Loblied. Und wir können diesen Vor-klang erahnen in jedem Loblied, das wir hier im Gottesdienst singen. In diesem Sinne: Kantate – Singt! Amen.