Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Segen

Segen

Predigt zu Trinitatis
Pastorin

Dr. Claudia Tietz

Sonntag Trinitatis, 26. Mai 2024

Predigt zu Epheser 1, 3–14

Predigttext: Epheser 1, 3–14

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus. 4 Denn in ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, dass wir heilig und untadelig vor ihm sein sollten in der Liebe; 5 er hat uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens, 6 zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten. 7 In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden, nach dem Reichtum seiner Gnade, 8 die er uns reichlich hat widerfahren lassen in aller Weisheit und Klugheit. 9 Gott hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens nach seinem Ratschluss, den er zuvor in Christus gefasst hatte, 10 um die Fülle der Zeiten heraufzuführen, auf dass alles zusammengefasst würde in Christus, was im Himmel und auf Erden ist, durch ihn. 11 In ihm sind wir auch zu Erben eingesetzt worden, die wir dazu vorherbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt, nach dem Ratschluss seines Willens, 12 damit wir zum Lob seiner Herrlichkeit leben, die wir zuvor auf Christus gehofft haben. 13 In ihm seid auch ihr, die ihr das Wort der Wahrheit gehört habt, nämlich das Evangelium von eurer Rettung – in ihm seid auch ihr, als ihr gläubig wurdet, versiegelt worden mit dem Heiligen Geist, der verheißen ist, 14 welcher ist das Unterpfand unsres Erbes, zu unsrer Erlösung, dass wir sein Eigentum würden zum Lob seiner Herrlichkeit.

 

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede von dem,
der da ist und der da war und der da kommt!

Die Fragen nach dem Großen und Ganzen, nach dem berühmten „Sinn des Lebens“ – manchmal kommen sie ganz unschuldig und unverhofft daher. Wie auf der Fähre nach Dänemark, als ein kleiner Junge neben mir stand, sich am Geländer festhielt, nach unten in die grau-blauen Fluten schaute und seine Mutter fragte: „Und was war da vor dem Meer?“ Oder als meine kleine Enkeltochter auf die Aussage, dass ihr verstorbener Urgroßvater jetzt im Himmel sei, fragte: „Und wo im Himmel?“ Die großen Fragen, die manchmal gar nicht so leicht zu beantworten sind …

Unser Predigttext heute, der Anfang des Epheserbriefes – er gibt uns seine Antwort. Eine Antwort des Urchristentums auf die Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält. Er antwortet darauf mit einem großen Gotteslob:

Gelobt sei Gott,
der Vater unseres Herrn Jesus Christus,
der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen
im Himmel durch Christus.
In ihm hat er uns erwählt,
ehe der Welt Grund gelegt war (V. 3+4)

Vor Beginn der Zeit, bevor es die Erde und die Meere gab, hat Gott uns Menschen gesegnet mit „allem geistlichen Segen“. Vor der Zeit, in der Ewigkeit, die unsere Zeit umspannt, hat Gott uns schon mit seinem Heiligen Geist und Segen bedacht.

In mir klingt bei diesen Worten das Weihnachtslied an „Ich steh an deiner Krippen hier“, in dem wir Christi Geburt besingen. Da formuliert Paul Gerhardt den gleichen Gedanken so:

„Eh ich durch deine Hand gemacht,
da hast du schon bei dir bedacht,
wie du mein wolltest werden.“ (EG 37, 2)

Diese innige, heilvolle Beziehung zwischen Gott und seinen Menschen – sie bildet für die Christinnen und Christen des Epheserbriefes den Grund des Lebens. Sie ist der Referenzrahmen für die Fragen nach Sinn und Zweck, Ethik und Glaube, Bestimmung oder Zukunft.

Gelobt sei Gott,
der Vater unseres Herrn Jesus Christus,
der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen
im Himmel durch Christus. (V. 3)

Dieser Segensraum unseres Lebens wird dann in den folgenden Strophen des großen Lobgesanges ausgemalt und ausbuchstabiert.

Beschrieben wird, wie sich der Segen Gottes des Vaters durch seinen Sohn für uns konkretisiert. Wie Jesus Christus der irdische Mittler des Segens ist und im Zentrum des Kraftfeldes steht, in das wir durch ihn hineingenommen sind:

In ihm hat Gott uns erwählt,
seine Kinder zu sein. (V. 4+5)
In ihm sind wir von den Mächten des Bösen befreit,
ist uns vergeben. (V. 7)
In ihm wissen wir die Geheimnisse Gottes. (V. 9)
In ihm sind wir als Erben eingesetzt (V. 11),
dass wir aus der Fülle des Segens leben
und Gott dafür danken. (V. 12+14)

Abstrakt mögen diese Bilder und Begriffe auf uns wirken. Fern der Fragen nach dem Sinn des Lebens, wie sie uns heute überfallen können, wenn wir denken an die Kriege, die weltweite Aufrüstung oder den Klimawandel, oder wenn wir miterleben, wie Menschen unter die Räder geraten oder Krankheit das Leben bedroht. Auf solche Fragen scheint das große Gotteslob des Epheserbriefes nicht unmittelbar zu antworten; mag die Vorstellung vom geistlichen Segensraum Gottes für uns nicht gleich zu greifen.

Ich denke, vielleicht geben uns die keltischen Christinnen und Christen des Mittelalters einen Schlüssel an die Hand, können uns mit ihren Traditionen und Vorstellungen eine Brücke bauen:

Für die Kelten war es Jesus Christus, der sie faszinierte und der sie für diesen neuen Gott einnahm, sodass sie Christen wurden. Ein Gott, der die Gestalt eines Menschen annimmt, um ihnen auf Erden nahe zu sein. Jesus Christus wollten sie folgen. Von ihm erwarteten sie auch den Schutz und die Stärke, die sie brauchten, um auf ihren rauen und gefährlichen Wanderungen, in ihren vielen Kämpfen zu bestehen.

Zu den bekanntesten Schutzgebeten der keltischen Christen gehören die „Circle Prayers“, die Kreisgebete. Wenn die keltischen Heiligen bedrängt oder angegriffen wurden, zogen sie in der Richtung des Sonnenumlaufs einen Kreis um sich herum, den sogenannten „Caim“. Sie machten sich auf diese Weise die Gegenwart Gottes bewusst. So, wie wohl auch die keltischen Steinkreise Sonnenkalender und Gottesraum in einem darstellen.

Eins der ältesten Kreisgebete, das bis heute bekannt ist, geht auf den Schutzheiligen Irlands zurück, auf Saint Patrick. Es wird bis heute als Segenswunsch gesprochen:

„Der Herr sei vor dir,
um dir den rechten Weg zu zeigen.

Der Herr sei neben dir,
um dich in die Arme zu schließen
und dich zu schützen.

Der Herr sei hinter dir, um dich zu bewahren
vor der Heimtücke böser Menschen.

Der Herr sei unter dir, um dich aufzufangen,
wenn du fällst, und dich aus der Schlinge zu ziehen.

Der Herr sei in dir, um dich zu trösten,
wenn du traurig bist.

Der Herr sei um dich herum,
um dich zu verteidigen,
wenn andere über dich herfallen.

Der Herr sei über dir, um dich zu segnen.

So segne dich der gütige Gott.“

„Der Herr“ – das ist der alte Titel für Jesus Christus, mit dem wir ihn auch in der Liturgie anrufen: „Kyrie eleison“.

Christus zu imaginieren und ihn anzurufen – ihn vor mich, neben mich, hinter mich, unter und über mich zu rufen – das ist nicht Aberglaube oder Magie. Sondern ein Gebet, mit dem man gedanklich einen Kreis um sich zieht, vielleicht sogar mit sichtbaren und spürbaren Gesten. Zeichen, die helfen, nicht nur mit dem Kopf und nur nach oben zu Gott hin zu beten, sondern auch mit dem Körper das Anliegen in alle Richtungen nachzuvollziehen.

Körperlich spüren zu können, was unseren Verstand übersteigt. Räumlich zu markieren, was geistlich und ewig ist: Gottes Segensraum, in den wir von Anbeginn gerufen sind. In dessen Mitte, an dessen Rändern Jesus Christus steht, der uns mit dem Heiligen Geist anrührt und uns Schutz schenkt, Trost und Frieden.

So, wie wir zum Segen einander die Hand auf den Kopf, die Schulter oder den Rücken legen, um Gottes heilsame Kraft deutlicher zu spüren, so kann ein „Circle Prayer“ helfen, uns die Gegenwart Gottes bewusst zu machen. Zum Beispiel vor einem schwierigen Gespräch, auf das wir uns innerlich vorbereiten, vor Aufgaben, die uns einschüchtern, oder in Gedanken, die uns bedrängen. Wenn man sich schutzlos fühlt, kann man im Gebet mit der Hand, in Gedanken oder Worten einen Kreis um sich schlagen. Um in uns wachzurufen und uns zu vergegenwärtigen: Wir stehen in Gottes Schutz- und Segensraum. Wir sind „in Christus“.

Für mich gehört diese Vorstellung vom „Raum“ Gottes, in den wir gestellt sind, zu den wesentlichen Einsichten der sogenannten Trinitätslehre. Erst die Dreifaltigkeit spannt einen heiligen Raum auf, der die Zweierbeziehungen von Vater und Sohn, Gott und Geist, Gott und Mensch weitet. Der den Glauben ermöglicht, dass wir uns im Kraftfeld der Liebe Gottes bewegen können, dass wir von Gott umgeben sind.

Geliebt von Gott, geschützt durch Jesus Christus, berührt vom Heiligen Geist. Von Anbeginn, wie es der Epheserbrief sagt, „gesegnet mit allem geistlichen Segen“ (V. 3).

Dieser Segensraum Gottes sei der Grund unserer Fragen. Er gebe uns den Halt, die Orientierung und Kraft, die wir zum Leben brauchen. Amen.