Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Wer mein Wort hat …

Wer mein Wort hat …

Predigt am 2. Juni
Pastorin

Dr. Claudia Tietz

Predigt zu Jeremia 23,16–29

Predigttext: Jeremia 23,16–29

So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch, sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN. 17 Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohlgehen –, und allen, die im Starrsinn ihres Herzens wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen. 18 Aber wer hat im Rat des HERRN gestanden, dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort vernommen und gehört? 19 Siehe, es wird ein Wetter des HERRN kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen. 20 Und des HERRN Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen. 21 Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen, und doch weissagen sie. 22 Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren. 23 Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? 24 Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe?, spricht der HERR. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?, spricht der HERR. 25 Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt. 26 Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen 27 und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, so wie ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal? 28 Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen?, spricht der HERR. 29 Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt? 

 

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede von Gott!

Es gibt Kombinationen von Situationen und Bibelworten, die sind schwierig. Da prallen Gottes Wort und unsere Erwartungen unvereinbar aufeinander; da verdunkelt sich der Himmel über unserer Festfreude.

Mir geht es heute so mit dem Predigttext aus dem Buch des Propheten Jeremia. Gerade erst haben wir Nouriels Taufe gefeiert. Gerade erst haben wir am Eingang Freundinnen und Bekannte begrüßt, freuen uns jetzt zusammen zu sein – da donnert uns dieser Text entgegen.

So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN.

Schon in der hebräischen Bibel trägt dieser Abschnitt den Titel „Über die Propheten“. Es ist kein zusammenhängender Text, sondern eine Sammlung von Worten, zusammengehalten durch die Frage: Wer sind die wahren Propheten? Woran erkennen wir, was wirklich Gottes Wort und was bloß menschlicher Traum ist?

Verkündet sind diese Prophetenworte dem Volk Israel, als es nach der Zerstörung des ersten Jerusalemer Tempels nach Babylon deportiert ist. Warnende Worte, sich jetzt in der Not des Exils nicht an die falschen Propheten zu hängen. Zugleich auch eine nachträgliche Reflexion der Gründe, die zur Katastrophe geführt haben: Auf wen hatte man gehört, und warum? Eine Auseinandersetzung mit der Verführbarkeit von Menschen – und mit der Fremdheit des Wortes Gottes.

Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen!

So hebt der Prophet Jeremia gegen seine Berufsgenossen an.

Sie betrügen euch; denn sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN. Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohlgehen -, und allen, die nach ihrem verstockten Herzen wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen.

„Hört nicht hin! Glaubt nicht so schnell“ Manchmal möchte ich das Menschen sagen, die auf der Suche sind. Manchmal sage ich es mir selbst: Glaub nicht so schnell, du, ihr könntet entkommen! Wir könnten uns selbst kleine heile Welten bauen. Uns allein auf unsere Gesundheit, eine gute Work-Life-Balance, eine harmonische Umgebung konzentrieren. Glaub nicht so schnell, es wird kein Unheil über dich, über euch kommen! Nur weil du gute Ärzte, eine bessere Krankenversicherung, mehr Bildung, eine größere Familie hast als andere.

So bedrohlich ist unsere Situation im Blick auf die Demokratie in Europa, auf die vielen Kriege weltweit und den Klimawandel, dass viele von uns geneigt sind, sich zurückzuziehen. Uns auf unser eigenes Wohlergehen zu fokussieren und nach solchen tröstenden Botschaften auszustrecken, wie Jeremia sie zitiert: „Es wird euch wohlgehen. Es wird kein Unheil über euch kommen.“ Eure landwirtschaftlichen Flächen werden nicht dem Anstieg des Meeresspiegels zum Opfer fallen. Der Krieg wird nicht nach Westeuropa kommen. Unsere demokratische Verfassung hat Bestand.

Wir brauchen Hoffnung, um in die Zukunft zu gehen, um Kinder wie Nouriel und Emilian ins Leben zu begleiten und nicht den Lebensmut zu verlieren. Und gleichzeitig macht uns diese Sehnsucht nach Sicherheit, Trost und Zuspruch mitunter auch verführbar. Kann sie uns träge oder undifferenziert machen.

Der Prophet Jeremia tritt auf als ein Anwalt der Realität. Er benennt unsere Verführbarkeit und hält unserer inneren Not stand. Er will nicht Angst schüren, aber er will aufrütteln. Gar nicht so sehr gegenüber der äußeren, gesellschaftspolitischen Lage – wiewohl sich das Volk Israel in einer hoffnungslosen politischen Lage befand – als vielmehr gegenüber unserer inneren, emotionalen Lage. Er will uns sensibilisieren für unsere Neigung das auszublenden, was uns unangenehm ist, womit wir uns nicht befassen möchten. Er will die Spannung bewusst machen zwischen dem, was wir hören und glauben möchten – und dem, was wir Mühe haben wahrzunehmen oder anzuerkennen.

Aushalten, wahrnehmen können wir unsere eigenen Spannungen zwischen Sehnsucht und Angst, Wunsch und Wirklichkeit aber wohl nur im Vertrauen auf eine dritte Stimme, auf ein anderes, auf Gottes Wort. Das uns anders trägt als unsere eigenen Wünsche und Sorgen. Das Zukunft eröffnet, wo wir Angst haben sie zu verlieren. Gottes Wort, das Gottes Blick auf uns und seine Schöpfung spiegelt.

Davon spricht ein anderes Wort aus dem Predigttext:

Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?, spricht der HERR.

Ich denke an Gespräche mit Kranken oder Trauernden, mit Menschen, die Schweres erleben und fragen: „Warum hilft Gott nicht? Ich fühle ihn nicht. Ich höre ihn nicht.“

Zu Zeiten kann Gott einem fern sein, so fremd! Man kann sich wie abgeschnitten fühlen, taub und blind für irgendwelche Worte oder Zeichen der Liebe Gottes! Das gilt nicht nur für Krisen, das berührt Fragen, die sich viele stellen: Wie kann ich sicher sein, dass es Gott gibt? Wie zeigt sich mir Gottes Kraft?

Jeremia hält auch hier der menschlichen Sehnsucht stand: Nicht die Nähe, Liebe oder den Segen Gottes verkündet er, sondern seine Abständigkeit und Fremdheit. Gott „haben“ wir nicht wie einen Schutzmantel; Gott „kennen“ wir nicht wie einen Freund. Gott sprengt unsere Vorstellungen und läuft sicher so manchen unserer Gedanken und Wünsche zuwider.

Gott ist so groß und fern, sagt Jeremia, dass er Himmel und Erde ausfüllt. Seine Ferne begründet zugleich die Fülle seiner Herrschaft und Gegenwart. Während Nähe verkleinern und einengen kann, kann Ferne Raum schaffen, Luft zum Atmen und Denken geben.

Jeremia verkündet uns einen Gott, der nah und fern ist zugleich. Der uns Menschen als Gegenüber anspricht und zugleich in die Freiheit entlässt.

Wie aber von diesem Gott reden? Wie können wir, wie kann ich sicher sein, dass ich euch nicht meine Träume, sondern Gottes Wort verkünde?

Auf diese Gefahr weist ein dritter Vers aus dem Predigttext hin:

Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht.

Ich höre diese Mahnung als eine Aufforderung, Gott nicht vorschnell zu vereinnahmen. Und auch anzuerkennen, dass manche Einsichten, die wir heute in der evangelischen Kirche formulieren, durchaus nicht von innen, aus der Kirche heraus angestoßen wurden, sondern von anderen außerhalb der Kirche mutig vorangetrieben wurden. Ob dies die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung betrifft oder den kritischen Blick auf die frühere Missionsarbeit der Kirchen oder das Engagement für Klima und Umweltschutz. Wir sind als Christen nicht davor gefeit, Gottes Wort misszuverstehen, sind angewiesen auch auf die Fragen und Einsichten anderer.

Ich höre Jeremias Wort als eine Aufforderung, für unseren Glauben das richtige Zeugnis zu geben. Aber wie geht das, Gottes Wort „recht“ zu predigen? Unseren Kindern und Enkeln in einer angemessenen Sprache, in guten Bildern von Gott zu erzählen? Im Kollegenkreis den eigenen Glauben nicht zu verschweigen? Den „rechten“ Moment zu erkennen, um Gottes Wort durch unser Handeln zu bezeugen?

Dazu sind wir ja alle gerufen: die frohe Botschaft weiterzugeben, so schwer uns das oft fällt, weil uns die rechten Worte fehlen oder weil es die anderen schlicht nicht interessiert. Wie von Gott reden, wenn Gott fern und fremd ist und wir vor allem menschliche Worte im Ohr haben? Wie Gottes Stimme von den Stimmen in uns selbst unterscheiden?

Einen Hinweis gibt uns Jeremia, dieser widerständige, unbequeme Prophet:

Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?

Drohend und erschreckend klingt das. Als könne wahre Prophetie nur Unheilsprophetie sein. Eine Lust an Zerstörung und Untergang kann man daraus hören. Aber es steckt noch etwas anderes darin: Eine Verkündigung, die sich jenseits eingefahrener Hörgewohnheiten bewegt. Die von uns fordert, Abstand zu nehmen von der Sehnsucht nach Beruhigung und Trost. Die uns etwas von der Abständigkeit und Fremdheit Gottes zumutet.

Ihr, liebe Michelle und lieber Danny, habt für Nouriel als Taufspruch das Wort aus dem Johannes-Evangelium ausgesucht:

Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben. (Joh 8,12)

Und damit verbindet sich für uns – und auch für Jesus selbst – die Erwartung, dass Gottes Wort wie Gottes Sohn für uns wie ein unmissverständlich erkennbares Licht wirken. Dass Gottes Wort Orientierung schafft, wo wir uns unklar sind darüber, was zu tun ist. Dass es hilft die Geister zu scheiden, wenn es um Menschenfreundlichkeit oder Menschenverachtung, um Zuwendung oder Hass geht. Dass Gottes Wort die Dunkelheit nicht scheut, weder die Finsternis unserer Zukunftsängste noch die unserer inneren Nöte – sondern dort wirkt, wo wir uns der Nähe und auch der Ferne Gottes aussetzen, den unvorstellbaren Möglichkeiten der Wahrheit Gottes.

So gebe Gott uns seinen Heiligen Geist, dass er uns helfe, Gottes Wort recht zu hören und die Geister zu scheiden! Amen.