Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Jesu Erbe

Jesu Erbe

Predigt zu Gründonnerstag am 28. März
Pastorin

Dr. Claudia Tietz

Gründonnerstag, 28. März 2024

Predigt zu Johannes 13, 1-15. 34-35

Predigttext Johannes 13, 1-15. 34-35

1 Vor dem Passafest aber erkannte Jesus, dass seine Stunde gekommen war, dass er aus dieser Welt ginge zum Vater. Wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende. 2 Und nach dem Abendessen – als schon der Teufel dem Judas, dem Sohn des Simon Iskariot, ins Herz gegeben hatte, dass er ihn verriete; 3 Jesus aber wusste, dass ihm der Vater alles in seine Hände gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott ging – 4 da stand er vom Mahl auf, legte seine Kleider ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich. 5 Danach goss er Wasser in ein Becken, fing an, den Jüngern die Füße zu waschen und zu trocknen mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war. 6 Da kam er zu Simon Petrus; der sprach zu ihm: Herr, du wäschst mir die Füße? 7 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren. 8 Da sprach Petrus zu ihm: Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir. 9 Spricht zu ihm Simon Petrus: Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt! 10 Spricht Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist, bedarf nichts, als dass ihm die Füße gewaschen werden; er ist vielmehr ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle. 11 Denn er wusste, wer ihn verraten würde; darum sprach er: Ihr seid nicht alle rein. 12 Als er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider und setzte sich wieder nieder und sprach zu ihnen: Wisst ihr, was ich euch getan habe? 13 Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin’s auch. 14 Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen. 15 Denn ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.

34 Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. 35 Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt. Amen.

 

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede von Gott!

Im letzten Winter hat mich ein Kinofilm besonders beeindruckt: „Perfect Days“, der jüngste Film des bekannten Regisseurs Wim Wenders. Manche erinnern sich vielleicht noch an seine Filme „Himmel über Berlin“ oder „Paris, Texas“.

„Perfect Days“ schildert die alltägliche Routine eines etwa 50-jährigen alleinstehenden Mannes, der in Tokio als Reinigungskraft arbeitet. Morgens früh klingelt sein Wecker. Er streckt sich, klappt sein Futon zusammen, legt Decke, Laken und Kissen darauf. Geht die steile Treppe hinunter, putzt sich am Küchenwaschbecken die Zähne, stutzt seinen Schnurrbart, besprüht seine Pflanzen, kleine Schösslinge, die er in seiner Mittagspause im Park ausgräbt und in Brottüten und Joghurtbechern nach Hause trägt. Er zieht einen Energydrink aus dem Automaten, steigt ins Auto und fährt los.

Hirayama arbeitet als Kloputzer. Mit einem weißen Werkstattwagen, beladen mit allen möglichen Reinigungsmitteln, Bürsten und Lappen, mit Werkzeug und Toilettenpapier fährt er von einer öffentlichen Toilette zur nächsten. Hingebungsvoll – konzentriert und ruhig, ohne Hast, ohne Ärger – putzt er eine der von Star-Architekten des Landes entworfenen Sanitäranlagen nach der anderen.

Er wischt Handwaschbecken aus, reibt Spiegel blank, füllt Handtuchbehälter auf, schrubbt die WC-Schüsseln von innen und außen, kontrolliert die Spülung, leert Müllbehälter, sammelt Taschentücher, Dosen und Kippen ein, wischt die Böden auf.

Tag für Tag. Nur einen Tag in der Woche hat er frei. Dann kauft er sich ein neues Buch im Antiquariat, geht in ein Badehaus und isst abends in einem kleinen Restaurant mit Live-Musik.

Die deutschen Filmkritiken werden nicht müde, bei dem Film „Perfect Days“ darauf hinzuweisen, dass das Reinigen von Toiletten in Japan ein hochgeachteter, geradezu heiliger Beruf sei.

Ich habe meine Zweifel. Denn als Hirayama seiner Schwester begegnet, mit der er wenig Kontakt hat, steigt sie, ganz anders als er, vornehm gekleidet aus einem dunkelblauen BMW und äußert deutlich ihr Unverständnis über seine äußerst bescheidene Wohnung und Lebensweise.

Weder verdient er mit seiner Tätigkeit viel Geld, noch wird er von den Passanten mit besonderem Respekt behandelt. Es scheint mir eher so zu sein, wie bei uns in Westeuropa: dass Reinigungskräfte im öffentlichen Raum wie selbstverständlich zur Kenntnis genommen bzw. übersehen werden.

Dieser Film hat mir viel zu denken – und auch zu freuen – gegeben. Er ist inspirierend! Und er hat mich an Jesu Aufforderung erinnert, einander zu dienen.

In der Geschichte von der Fußwaschung, die wir eben gehört haben, sagt Jesus: „Ein Beispiel gebe ich euch, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.“ (V. 15)

„Ein Beispiel“ – das verstehe ich in zweifacher Hinsicht. Jesus sagt zum Einen, dass er uns als Beispiel oder Vorbild vorangeht. Dass die Fußwaschung – das Bücken, Hinknien und Dienen – eine für Christinnen und Christen vorbildliche Haltung ist. Eine Körperhaltung geradezu: in die Knie zu gehen, sich klein zu machen. So, wie sich der Toilettenmann in Tokio unter Waschbecken und vor WC-Schüsseln hockt, um sie gründlich von allen Seiten zu reinigen.

Wir begreifen und lernen ja oft besser, wenn wir etwas nicht nur im Kopf nachbuchstabieren, sondern es leibhaftig tun und fühlen, durch bestimmte Bewegungen, Gesten oder Körperhaltungen. „Lernen mit Kopf, Herz und Hand“, wie die Reformpädagogen forderten.

In diesem Sinn sagt Jesus: sich mit Schürze und Handtuch vor andere hinzuknien und ihnen mit Wasser die müden und – wenn man, wie damals in Israel üblich, mit Sandalen unterwegs war – staubigen Füße zu waschen, das ist eine gute, beispielhafte Haltung. Als Christinnen und Christen seid ihr berufen, mir darin nachzufolgen: dass ihr einander Gutes tut, mit Hingabe und Dienstbereitschaft, in aller Ruhe, ohne Murren oder Aufregung.

Zum anderen steckt in Jesu Aussage „Ein Beispiel gebe ich euch …“ auch, dass dies eben nur ein Beispiel unter anderen ist. Es geht nicht darum, einander in der Gemeinde immerzu die Füße zu waschen. Die Fußwaschung ist kein Sakrament geworden, keine heilige Handlung. Sie ist nur ein Beispiel.

Eurer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, dieses Beispiel für eure Kultur und Zeit, für eure Lebensumstände und Themen anzupassen.

In einem der Persönlichkeitstests und Umfragen, die mein Handy mir alle paar Tage anbietet, wurde ich neulich gefragt: „Wem würdest du zuerst helfen?“ Gezeigt wurde eine Straße, wo eine ältere Dame mit Gehstock am Zebrastreifen steht, eine Katze ängstlich mitten auf der Fahrbahn hockt, ein Mann mit einem Autoproblem kämpft und eine Frau sich mit schweren Einkaufstaschen abmüht.

Ich habe den Test nicht gemacht, aber ich vermute, es ging darum herauszufinden, ob ich eher Tieren oder Menschen helfe, eher körperlich mit anpacke oder andere tröste …

Man könnte umformulieren: Welche Art von Hilfe oder Dienst liegt dir? Was kannst du, und was tust du gerne oder leicht?

Für Jesus, der nach dem Johannes-Evangelium mit der zeichenhaften Fußwaschung den Abschied von seinen Jüngern, von dieser Welt einleitet, hat der Dienst aneinander eine kaum zu überschätzende Qualität. Es geht ihm nicht bloß um Ethik, Moral oder Wohlverhalten.

Als Simon Petrus sich der Fußwaschung zunächst verweigert, sagt Jesus ihm: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir.“ (V. 8)

Der gegenseitige Dienst, die Orientierung an den Bedürfnissen der anderen, unsere Hingabe – sie macht uns zu Gliedern oder Teilen am Leib Christi. Sie inkorporiert uns, macht uns christusförmig …

Mir, uns ist bewusst, dass dies in unserer Zeit und Kultur keine beliebten Bilder oder Aufforderungen sind. Dass es heute bei uns viel mehr um Selbstliebe, Selbstachtung, sogar Selbstmitleid geht. Diese Bewegung, die Suche nach dem, was mir selbst guttut, hat in bestimmten Fällen sicher ihre Berechtigung. Es kann Lebensphasen geben, es kann Familienkonstellationen, beruflichen Stress, gesundheitliche Belastungen geben, wie auch ein Leiden an der Gewalt in unserer Welt … wo es gut ist, auf unsere eigenen und eigentlichen Bedürfnisse zu hören und ihnen nachzugehen.

Daneben bleibt aber Jesu Beispiel und sein Verständnis christlicher Existenz und Gemeinschaft. Die Radikalität seiner Passion, seiner Leidenschaft für die Menschen und für Gott. Seine Überzeugung, dass Hingabe und Verbundenheit uns die Fülle des Lebens aufschließen.

Und wenn ihr miteinander, mit Freundinnen und Freunden, mit Kindern oder älteren Menschen sprecht über das, was ihr Leben reich oder tief macht, wo sie Fülle und Glück erfahren – dann werden viele erzählen vom Besuch ihrer Kinder oder Großeltern, auf den sie sich freuen, von der alltäglichen Hilfe durch eine Nachbarin, von einem besonders guten Freund, der in allen Krisen zur Seite stand … Von Hingabe, Liebe und Verbundenheit, die wir durch und mit anderen Menschen erfahren. Die Schönheit der Natur, Ruhe, Einkehr oder Wellness oder was wir uns sonst selbst Gutes tun … kommt dann quasi noch obendrauf.

Jesus Christus ruft uns auf den Weg der Hingabe und Gemeinschaft. Und wir mögen ausprobieren und staunen, uns freuen, gespannt, vielleicht auch ängstlich sein, wohin er uns führt. Eines dürfen wir gewiss sein: Jesus selbst ist uns auf diesem Weg nah. So, wie er am Ende, nach der Fußwaschung sagt: „Wenn ihr dies wisst – selig seid ihr, wenn ihr’s tut.“ (V. 17)

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.