Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Lebendig

Lebendig

Predigt im Osterfrühgottesdienst am 31. März
Pastorin

Dr. Claudia Tietz

Ostersonntag, 31. März 2024

Matthäus 28

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede von dem,
der da ist und der da war und der da kommt!

„Den Tod über- …“ Ich konnte den Titel zuerst gar nicht richtig lesen. Der Wind hatte mir eine Zeitungsseite vor die Füße geblasen. Darauf unten die Werbung für eine Neuerscheinung: Das Portrait eines weißhaarigen Mannes und neben ihm der Buchtitel, den ich dann ganz las:

„Den Tod überleben, wie geht das?“

Ich war auf dem Weg in die Diakoniestiftung Altenheim im Mittelweg. Ich dachte an die Bewohnerinnen im Rollstuhl, im Bett, teils sehr schwach, teils dement, teils pflegebedürftig …

„Den Tod überleben, wie geht das?“

Ich fragte mich, wollen sie das, will ich das? Möchte ich meinen eigenen Tod erleben und überleben? Wäre das eine schöne Vorstellung?

Der Autor des Buches, Wilhelm Schmid, nach eigenen Worten ein „Lebenskunstphilosoph“, schreibt, wir würden das in unserer Gesellschaft versuchen – den Tod zu überleben –, indem wir über ihn schwiegen. Indem wir ihn leugneten und so täten, als gäbe es ihn nicht. Jedenfalls nicht für uns selbst, jedenfalls nicht, solange wir am Leben sind.

Und dann geht Schmid der Frage nach, die Menschen schon immer umtreibt: Wohin gehen die Toten? Gibt es vielleicht ein Leben nach dem Tod? Wie wäre dies vorstellbar?

Unsere Tradition antwortet auf diese Fragen mit dem Tod und der Auferstehung von Jesus Christus. Aber ich würde sagen, sie antwortet nur zum Teil. So viel sie voraussetzt – den Glauben an Gottes Sohn, an seine Worte und Werke, seine Kreuzigung und Auferstehung – so viel lässt sie auch offen. Wie das Leben nach dem Tod ist, wo, wann und in welcher Gestalt die Toten leben, beantwortet sie nicht.

Aber dass es ein Leben nach dem Tod in der Auferstehung gibt, dass Jesus Christus uns in die Auferstehung vorangegangen ist – das ist eigentlich das Zentrum unseres Glaubens. Davon singen wir: „Wir wollen alle fröhlich sein …“

Die christliche Auferstehungshoffnung heißt nun jedoch gerade nicht: „den Tod überleben“!

Die Berichte der Evangelien lassen keinen Zweifel daran, dass Jesus wirklich litt und starb. Dass er tot war und bestattet wurde, wie Menschen zu allen Zeiten sterben. Auch von den Toten, die Jesus den biblischen Geschichten nach zu neuem Leben erweckte, wie Lazarus, heißt es, dass er wirklich, schon tagelang tot war. Schmerzen, Krankheit, Verfall und Tod werden nicht geleugnet.

Ich denke, hier liegt die Pointe des christlichen Glaubens: dass Leid und Kreuz nicht ausgespart oder übersprungen werden. Und die Auferstehung, das neue Leben hier einsetzt.

Manche Menschen, die große Krisen oder tiefe Trauer kennen, die um das Gefühl und den Zustand wissen: Es geht nicht mehr weiter. Es ist aus. Ich bin am Ende … Die den Tod im Leben erfahren haben, durch berufliches oder persönliches Scheitern, durch Flucht, durch Trennung oder den Tod naher Angehöriger – sie können auch erzählen, wie Auferstehung geschieht. Welche Anzeichen sie begleiten. Wie wir neues, von Grund auf verändertes Leben erfahren, eben weil das alte Leben, wie wir es kannten, zu Ende gegangen ist. Wie etwas Wesentliches von uns oder von dem, was zu uns gehörte, wirklich gestorben ist.

„Die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe.“ So setzt die Erzählung von der Schöpfung ein. Bevor Leben überhaupt entsteht, herrschen die Todesmächte Chaos und Finsternis.

Noah und seine Familie harren monatelang in der verschlossenen Arche aus. Tausende sind in den Fluten ertrunken. Die Zukunft ist ungewiss; was sie kannten, gibt es nicht mehr.

Und neben diesen beiden Geschichten haben wir heute zu Beginn in der Dunkelheit von dem Gräberfeld gehört, auf dem die Gebeine durch Gottes Geist wieder lebendig werden sollen.

Wie Auferstehung geschieht, ist ein Geheimnis. Wie das Licht in die Welt und in unser Leben kommt. Wann die Fluten abziehen, die das Leben bedrohen. Wodurch wir neue Kraft und Lebensmut bekommen – all das bleibt Gottes Geheimnis. Wir können nur staunend bemerken, dass neue Lebenskraft entsteht. Wie, wann, wodurch – oft wissen wir es nicht.

Ich denke an einen Freund, der nach einem schweren Schlaganfall wieder sprechen und gehen gelernt hat. Ich denke an eine Frau, deren erstes Kind an einem Herzfehler starb. Es dauerte Jahre, aber sie wurde wieder lebensfroh und bekam ein zweites Kind. Ich denke an die Frauen und Männer, die aus Syrien, dem Iran, der Ukraine zu uns kommen. Wie lange es oft dauert, bis für sie wirklich ein neues, gutes Leben beginnt! Aber es geschieht.

Menschen kommen aus Trauer, Erstarrung und Dunkelheit ins Leben. In ein anderes, verwandeltes Leben.

Auf Ikonen, wie sie in den orthodoxen Kirchen des Ostens verbreitet sind, wird der Ostermorgen traditionell anders dargestellt als bei uns im Westen. Jesus schiebt hier nicht einfach den Sargdeckel beiseite, steigt aus dem Sarkophag und schwenkt die Siegesfahne, als hätte er nur eine kurze Zeit geschlafen.

Die Auferstehungsikonen zeigen, wie Jesus die Toten aus dem Totenreich heraufführt. Er nimmt sie an die Hand und zieht sie aus der dunklen Unterwelt ans Licht. Auf die Erde, ins Leben.

Manchmal trägt Jesus ein weißes Gewand, manchmal hat er große Flügel. Oft steht er auf einem zerbrochenen Kreuz, die Folterwerkzeuge liegen verstreut. Sein Tod hat dem Tod die Macht genommen.

Denn so soll es nach Gottes Willen sein: dass wir leben und andere ins Leben ziehen. Dass wir auferstehen im Leben wie aus dem Tod. An der Hand unseren Herrn und Bruders Jesus Christus. Amen.