Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Der Mönch am Meer

Der Mönch am Meer

Predigt in der Reihe zu Caspar David Friedrich am 17. März von Pastor Michael Stahl

Die Gnade Gottes, die Liebe Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde!

Gleich am Anfang der Ausstellung der Hamburger Kunsthalle zu Caspar David Friedrich begegnet den Besuchenden der „Mönch am Meer“. Es ist eines der bekanntesten Bilder des Malers. Der Saal ist abgedunkelt, das Gemälde ist ausgeleuchtet und zieht so alle Aufmerksamkeit auf sich. Fast wie ein kleines Heiligtum. Das Bild scheint in den 200 Jahren, seitdem Caspar David Friedrich es gemalt hat, nichts von seiner Faszination verloren zu haben. Es wird in diesen Wochen bestimmt auch über Handy und soziale Medien millionenfach geteilt in die ganze Welt. Was für ein Bild. Normalerweise sammeln sich Menschentrauben davor. Ich hatte an einem Nachmittag das Glück, das Bild für einen Moment für mich zu haben.

Mich begleitet dieses Bild schon seit meiner Kindheit. Es berührt mich immer wieder, weckt bei mir religiöse Gefühle. Allein, mit dem Rücken zum Betrachter, steht da dieser kleine Mönch am Strand. Vor sich die Weite des Meeres. Über ihm der offene Himmel. Von Nahem erkannt man: Einige Möwen fliegen über das Meer. Zu erkennen ist der Hinterkopf des Mönchs und sein blonder Haarschopf. Wahrscheinlich ist, dass Caspar David Friedrich sich hier selbst ins Bild gesetzt hat. Was verrät uns die Haltung des Mönchs? Seine Hände? Betet er?

Jede und jeder von uns hat bestimmt schon mal so oder ähnlich am Meer gestanden. Das Meer ist immer ein guter Ort, den Kopf freizubekommen und durchzuatmen. Nirgendwo sonst können die Gedanken so frei sein und in die Ferne wandern. Nirgendwo sonst können wir uns unserer eigenen Existenz im Horizont des weiten Himmels bewusst werden. Das Meer ist ein guter Ort, um über Gott und den Glauben nachzudenken. Nicht zufällig gehören Strandgottesdienste im Kirchentourismus zu den am besten besuchten Veranstaltungen.

Caspar David Friedrich stammte aus Greifswald. Er kannte das Meer, die Ostsee, aus eigener Anschauung. Immer wieder war er auf Rügen unterwegs. Zahlreiche seiner Landschaftsstudien und Skizzen, die er auf seinen Reisen angefertigt hat, sind in der Hamburger Ausstellung zu sehen. Beim Mönch am Meer hatte er wohl einen Strand im Süden der Insel vor Augen, auf dem Mönchsgut. Gemalt hat er das Bild erst Jahre später in seinem Atelier in Dresden. Zwei Jahre hat er sich dafür Zeit genommen, von 1808-1810. Mehrfach hat er sein Bild übermalt. Röntgenfotos zeigen, dass ursprünglich links und rechts Schiffe zu sehen waren, in Ufernähe einige Fischreusen. Aber die müssen Friedrich irgendwann gestört haben und so hat er sie übermalt.

Das Bild wechselt in den Stimmungen. Die Wellen schäumen, am Horizont ziehen dunkle Wolken auf. Schlechtes Wetter kündigt sich an. Oder macht der Himmel doch bald der Sonne Platz? Entsprechend könnte man das Bild deuten. Entweder als ein Angstbild in unsicheren Zeiten: im Mittelpunkt ein Mensch, der einsam und traurig ist, der sich verloren und nichtig fühlt, voller Fragen und Zweifel – vielleicht Friedrich selbst, der beim Malen um seine verstorbene Schwester und Mutter trauerte. Man kann es aber auch als Hoffnungsbild deuten: Blauer Himmel reißt auf und lässt die Sonne durchscheinen. Das ist ein Mensch, der die Luft des Meeres einatmet und im Horizont des offenen Himmels neue Kraft tankt und sich von Naturerfahrungen beschenken lässt.

Schon unter den Zeitgenossen Friedrichs hat das Bild sehr unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Die einen sahen in dem Bild die Nichtigkeit und Verlorenheit des Einzelnen angesichts der Größe und Weite des Universums zum Ausdruck gebracht, die anderen zogen Trost und Hoffnung aus der dargestellten Erhabenheit der Natur.

Der Dramatiker Heinrich von Kleist, Zeitgenosse von Friedrich, empfand den Mönch, auf dessen Schultern ein düsterer Himmel lastet, wie ein Abbild seiner eigenen schweren Depression. „Nichts kann trauriger und unbehaglicher sein: der einzige Lebensfunke im weiten Reich des Todes, der einsame Mittelpunkt im einsamen Kreis. Das Bild liegt…wie die Apokalypse da.“ Das schrieb der Dichter, der sich ein gutes Jahr später das Leben nahm, zu dem Bild.

Es ist das gleiche Gemälde, das einen jungen Kronprinzen tröstete, als er um seine jung verstorbene Mutter Königin Luise trauerte. Traurig und teilnahmslos schlendert der 15jährige Prinz von Preußen durch die 1810 eröffnete Kunstausstellung der Berliner Akademie, als sein Blick auf das dort gerade erst aufgehängte Gemälde von Caspar David Friedrich fällt: den Mönch am Meer, in dem sich vielleicht auch der Prinz wieder entdeckt hat, aber in seinem Fall voller Hoffnung. Den Mönch wünsche ich mir, soll er seinem Vater, dem König, eingeflüstert haben. So wechselte das berühmte Bild erstmalig seinen Besitzer. Solange er lebte, bis 1861, hing es bei dem späteren König Friedrich-Wilhelm IV im Berliner Schloss und das hat wohl auch dazu beigetragen, dass das Bild uns heute noch so gut erhalten ist.

Der preußische König war nicht der einzige prominente Zeitgeist, der sich für Caspar David Friedrich interessierte. Auch Goethe soll in seinem Atelier zu Gast gewesen sein. Ebenso einer der großen Theologen der Romantik, der Berliner Theologe Friedrich Schleiermacher. Er ist das theologische Pendant zur Kunst von Friedrich. Er ist es gewesen, der dafür gesorgt hat, dass das Gemälde in die Ausstellung der Berliner Akademie gelangte. Als er Friedrich in seinem Atelier 1810 besuchte, stand das Bild gerade auf der Staffelei. Im „Mönch am Meer“ fand Friedrich Schleiermacher sein eigenes, romantisches Verständnis von Religion ausgedrückt.

Schleiermacher vertrat für seine Zeit eine sehr fortschrittliche, liberale Theologie. Er vertrat die Position, dass es im Glauben und der Religion auf das religiöse Gefühl an. Das gilt es zu wecken, durch Gottesdienst und Liturgie, aber auch die Kunst. Religion hat für Schleiermacher ihren Ort genau da, wo der Mönch in diesem Bild steht – nämlich in der unendlichen Anschauung des Universums. In der Anschauung der Weite und Unendlichkeit des Himmels wird sich der Mönch bewusst, wie klein und abhängig das demgegenüber eigene Leben ist. Er entwickelt das religiöse Gefühl einer schlechthinnigen Abhängigkeit und Angewiesenheit auf eine größere Macht und Kraft. Und daraus entsteht nach Schleiermacher eine Sehnsucht nach dem Ewigen und Göttlichen. Der Mensch begegnet Gott in der Erhabenheit der Natur und Schöpfung. Religion, so Schleiermacher, ist „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“.

„Sinn und Geschmack für das Unendliche“ wecken auch die Bilder von Friedrich. Sie sind heute vielleicht gerade deshalb so populär, weil sie Naturerfahrung als eine religiöse Erfahrung deuten. Viele Menschen finden, dass sie Gott eher in der Natur entdecken können als in den Kirchen. Angesichts der Zerstörung unserer Natur und der Klimakrise merken wir mehr denn je, wie schlechthinnig abhängig wir von der Natur und der Schöpfung sind. Friedrichs Bilder können uns dies bewusst machen. Sie inspirieren dazu, sich mit Respekt und Demut in der Natur zu verhalten, sparsam mit den Ressourcen unseres Erde umzugehen und sich selbst zu begrenzen. Die Bilder wecken unseren Sinn und Geschmack für die Großartigkeit von Gottes Schöpfung, Luft und Meer.

„Zauber der Stille“ hat Erfolgsautor Florian Illies sein neues Buch über Caspar David Friedrich betitelt. Er schreibt darin: „In den Bildern von Caspar David Friedrich steht die Luft. Selbst wenn die Wolken sich in einem nächtlichen Himmel über dem Meer türmen, so scheint er den einen stillen und angespannten Moment eingefangen zu haben, bevor etwas passiert. Die Natur hält kurz inne, wenn Friedrich sie sieht; sie hält den Atem an für ihn – und das macht auch die Figuren stumm, die in seinen Bildern vor ihr stehen oder durch sie wandeln. Es fällt kein Wort. Stattdessen: Andacht, Wundern, Ergriffensein.“

Andacht, Wundern, Ergriffensein. Caspar David Friedrich vermittelt in seinen Bildern eine religiöse Erfahrung, die mich an die biblische Geschichte von der Sturmstillung Jesu erinnert, das heutige Evangelium. Auch wenn Friedrich die Segelschiffe im „Mönch am Meer“ übermalt hat, könnte man sich das in Seenot geratende Boot mit dem seelenruhig schlafenden Jesus an Bord auch gut auf den schäumenden Wellen des Meeres vorstellen, die Friedrich hier gemalt hat: Und die verängstigten Menschen, die es mit ihrer Angst zu tun bekommen, Jesus wecken und fragen: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? Und dann dieser unbeschreibliche Glaubensmoment, in dem Jesus, wie es in der Bibel heißt, den Wind bedrohte und zu dem Meer sprach: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es war eine große Stille.

Die Bibel beschreibt hier den tiefen Moment, in dem ein Mensch seine Angst überwindet und Vertrauen lernt. Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? An diesem Punkt steht auch der „Mönch am Meer“. Das Meer hat auf einmal nichts Bedrohliches mehr, die dunklen Wolken können ihm nichts anhaben. Aus dem Schweigen und Verstummen entsteht neue Lebenskraft. Dieser Mönch weiß sich von Gott geborgen und getragen. So macht das Bild auch uns Betrachtenden Mut zum Leben: Wir können in den Stürmen ängstlicher Gedanken und Gefühle darauf vertrauen, dass die dunklen Wolken weiterziehen und der Himmel sich öffnen wird. Wir sind nicht verloren in den Wogen der Zeit. Gott schenkt uns neuen Atem und Kraft. Er stellt unser Leben ins Licht.

Gottes Frieden sei mit euch! Amen.