Kirche St. Johannis Harvestehude, Hamburg – Ströme der Liebe

Ströme der Liebe

Predigt im Gottesdienst für Liebende am 11. Februar
Pastorin

Dr. Claudia Tietz

Estomihi / Valentinstag, 11. Februar 2024

Predigt zu dem Lied "How deep is your Love"

Predigt zu „How deep is Your Love“

Liebe Braut- und Ehepaare,
liebe Liebende und Geliebte,
liebe Gemeinde!

„How deep is your Love“?

In der Originalfassung der Bee Gees von 1977 wurde es in meiner Jugend auf jeder Party in der Schule oder im Gemeindehaus, auf jeder Kellerfete gespielt. Das Stück für „Engtanz“ – wobei man sich bei den ersten Takten entscheiden musste, in wessen Nähe man sich jetzt schnell unauffällig bewegte – oder aus wessen Nähe man jetzt sofort floh!

Andere mögen den Song aus der Charts-stürmenden Version von Take That kennen oder aus einer der vielen anderen Cover-Versionen.

Unterschiedlichste Erinnerungen und Gefühle mag der Song in Ihnen und euch wecken … So, wie auch der Text – wie ja bei vielen Liebesliedern – erstaunlich deutungsoffen ist:

„I know your eyes in the morning sun
I feel you touch me in the pouring rain …“

„Ich kenne – oder sehe – deine Augen in der Morgensonne,
ich fühle deine Berührung im strömenden Regen …“

Mit Nähe, Berührung und Zärtlichkeit setzt das Stück ein. Ruft Bilder in uns wach von Morgen im Bett, wenn das Sonnenlicht hell ins Schlafzimmer fällt, sich an den Wänden und in den Augen des oder der Geliebten spiegelt. Oder auch Bilder aus dem Urlaub: Von einem Regenschauer durchnässt am Strand, barfuß im nassen kalten Sand an der Nordsee, wahrscheinlich mit Pulli und Regenjacke bekleidet …

Bilder, die viele von uns in sich bewahren als Erinnerungsschätze der ersten Zeit des Verliebtseins. Als der Sonntagmorgen im Bett wichtiger war als das Kaffeetrinken oder der Sport nachmittags mit Freundinnen und Freunden. Als fünf Tage Regen an der Ostsee einen überhaupt nicht gestört haben. Als jede Nachricht ein kostbares Geschenk war, jedes Abendbrot ein romantisches Rendez-vous und sich die Welt gefühlt nur um uns als Paar drehte …

Von dieser leidenschaftlichen, manchmal besinnungslosen Liebe finden sich Spuren auch in der Bibel, im Hohelied der Liebe im Alten Testament, einem alten orientalischen Liebesgedicht wie aus 1001 Nacht. In dem die erotische Liebe eines Paares wechselseitig und seitenlang in wunderschönen Bildern besungen wird:

Die Braut „wie ein Lustgarten von Granatäpfeln mit edlen Früchten“ (Hld 4, 13); der Körper des Freundes „wie reines Elfenbein, mit Saphiren geschmückt. Sein Mund ist süß und alles an ihm ist lieblich.“ (Hld 5, 14+16)

Die Zeilen vom „Siegel“ – „Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm“ (Hld 8, 6) – die wir eben in der 1. Lesung gehört haben, sind dagegen vergleichsweise zahm. Aber auch sie benennen die Glut und Hitze der Liebe, das Lodern der Leidenschaft, das jedenfalls zur romantischen Liebe oft und glücklicherweise als eine gute Gabe Gottes dazugehört.

Die Zärtlichkeit des Anfangs, mit der auch der Song der Bee Gees einsetzt. Im mittleren Teil von „How deep is your Love“ wird dann – wie in der üblichen Abfolge des echten Lebens – die Zusammengehörigkeit beschworen:

„We belong to you and me …“

Und dann, noch inniger:

„I believe in you
You know the door to my very soul
You‘re the light in my deepest, darkest hour
You‘re my savior when I fall“

Auf Deutsch:

„Ich glaube an dich,
du kennst die Tür zu meiner innersten Seele,
du bist das Licht in meinen tiefsten, dunkelsten Stunden,
du bist mein Retter, wenn ich falle.“

Das Glück, einen Menschen gefunden zu haben, dem ich mich anvertrauen und öffnen kann, meinen Körper und auch meine Gedanken und Gefühle. Der mich und meine Grenzen respektiert. Die meine Schwächen und Ängste aushält. Auch das, was ich an mir selbst nicht mag, ist in seinen Augen gut aufgehoben. Er verlässt mich nicht, wenn ich mich verzagt oder hässlich oder unausstehlich fühle. Sie ist meine Retterin, mein Fels, wenn ich drohe zu stolpern oder zu fallen.

Die, der Geliebte wie ein Retter: „my saviour“. Im Englischen ist das wie im Deutschen auch ein religiöser Begriff für den „Erlöser“ oder „Heiland“, der mich – mit alten Wendungen gesprochen – aus den Stricken des Todes und der Verzweiflung befreit, der Schuld, Sünde und Gottesferne von mir nimmt und mich mit Gott versöhnt. Jesus Christus, unser Retter, Fels und Freund.

Das ist die religiöse Dimension der Liebe, die man fühlen kann, auch ohne gläubig zu sein. So, wie der Vergleich, die Beschreibung von Gott als „Liebe“ vielen Menschen am meisten einleuchtet. Weil Liebe für uns etwas Rettendes, Heilendes oder Erlösendes sein kann:

Rettung aus dem schmerzlichen Gefühl des Unverstanden- oder Abgeschnittenseins von anderen und von Gott. Befreiung von Selbstzweifeln oder Unterlegenheitsgefühlen. Erlösung aus Gefühlen wie Perspektivlosigkeit, Zukunftsangst oder Sinnlosigkeit.

Die Liebe macht unser Leben reich. Die Liebe eröffnet uns die Fülle des Lebens.

Das ist eine Einsicht, die in der Bibel immer wieder formuliert wird, ein wichtiger Teil von Jesu Botschaft. Prägnant und poetisch durch den Apostel Paulus im 1. Korintherbrief formuliert:

„… und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.
Denn sie erträgt alles, sie glaubt alles,
sie hofft alles, sie duldet alles.
Die Liebe hört niemals auf.“
(1. Kor 13, 2+7-8a)

Von Gottes Liebe wird das gesagt, von der Macht der Liebe, in der wir Gottes Wesen am ehesten verstehen. Einen Begriff und ein Gefühl dafür bekommen, was wohl Gottes Wille für die Menschen und die Welt ist. Worauf wir im Glauben vertrauen dürfen und woran wir uns in unserem Handeln orientieren sollen.

Die Liebe als Gottes Macht, in der wir zu allen Zeiten – nicht nur zur Hoch-Zeit – geborgen sind. Und aus der wir zugleich Kraft und Ideen schöpfen können für ein liebevolles Leben mit anderen.

„How deep is your Love“? fragt das Lied am Ende immer wieder. Als wollte der Sänger sichergehen, dass die Liebe uns auch in der Tiefe hält. Dass „wir nicht tiefer fallen können, als in Gottes Hand“. (Arno Pötzsch, EG 533)

Und fügt im Lied hinzu:

„I really mean to learn
Cause we’re living in a world of fools“

„Ich möchte es wirklich lernen,
denn wir leben in einer Welt von Verrückten
– von Irren oder Narren,“

die eben nicht wissen und wertschätzen, dass die Liebe das Wesentliche ist, die Größte aller Mächte, die unser Leben bestimmen. Verrückte, die Hass verbreiten, Familien zerstören, Menschenleben riskieren – statt der Liebe und Verbundenheit von Menschen Raum zu geben.

Lernen, begreifen und erfahren, was Liebe ist – das geht wohl nur, wenn unser Vertrauen in die Liebe nicht missbraucht wurde und wir uns selbst trauen zu lieben. Liebe ist ein Tu-Wort. Ob es um die Nächstenliebe geht, um die romantische Liebe, um Liebe in der Familie oder zu Freundinnen und Freunden. Immer, glaube ich, braucht es Mut, Geduld und Freundlichkeit – und die Bereitschaft zum Tun.

So, wie wir in der 3. Lesung, im Kolosserbrief dazu ermutigt werden, uns nicht nur in schwärmerische Gedanken und Gefühlen einzukuscheln, sondern selbst das Lieben zu wagen:

„So zieht nun an als die Auserwählten Gottes,
als die Heiligen und Geliebten,
herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld …“
(Kol 3, 12)

Wie ein schönes Kleid, wie eine gute Ausrüstung mögen wir uns immer neu Barmherzigkeit und Freundlichkeit anziehen. Uns für die Liebe bereit und schön machen, dass uns miteinander gelingt, wonach wir uns sehnen und wozu Gott uns berufen hat: Als Paar, als Freundinnen und Freunde, als Fremde wie als Nächste Liebende zu sein. Menschen, die sich und anderen die Fülle des Lebens aufschließen, das Glück und den Segen unseres Lebens.

Amen.